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Musik Verrückt oder genial: Der rätselhafte Komponist Giacinto Scelsi

«Ein Genie, wie es vor und nach ihm keines gab», sagen die einen. «Ein Verrückter», sagen die anderen: Conte Giacinto Maria Scelsi d´Ayala Valva. Spross eines alten italienischen Adelsgeschlechts – mit spanischen Wurzeln mütterlicherseits. Ihn eigenwillig zu nennen, wäre stark untertrieben.

Conte Giacinto Maria Scelsi d´Ayala Valva : Einer, der von sich behauptete, im Jahr 2637 vor Christus in Mesopotamien geboren zu sein. Ein Scharlatan, der überhaupt nicht selber komponierte, sondern einen Ghostwriter beschäftigte. Der sagte, er sei auch gar kein Komponist, sondern ein Medium.

Der nachts stundenlang an seltsamen, experimentellen Instrumenten sass und improvisierte. Ein hochgebildeter Exzentriker, der prophezeite, er werde sterben, wenn das Datum aus lauter Achten bestehe. Das hat er im Rahmen des Möglichen geschafft: am 8. 8. 1988 starb er im Alter von 83 Jahren.

Ein Kreis, ein waagerechter Strich und eine Unterschrift: das gab Scelsi ab, wenn ihn jemand fotografieren wollte.
Legende: Scelsi hasste fotografiert zu werden, stattdessen gab er solche Zettel ab.. Fondazione Isabella Scelsi

Fotografieren liess er sich nicht. Den Leuten, die darauf bestehen zu müssen glaubten, übergab er das Zen-Symbol eines Kreises mit waagrechtem Strich darunter: die aufgehende oder die untergehende Sonne, je nachdem. Vielleicht auch nur eine grosse, unterstrichene Null oder: das Nichts – all diese Interpretationen liess er gerne zu. Biografische Daten allerdings verweigerte er strikt, und in der Öffentlichkeit gesprochen hat er nie.

Ein Medium

Viel weiss man nicht über seine Person. Dass er Kompositionsstunden genommen hat, das allerdings schon. Dass er sich ein wenig in Zwölftontechnik versuchte, sich aber bald angewidert abwendete.

Portrait von Scelsi am Klavier sitzend.
Legende: Scelsi, der stundenlang einem Ton hinterher hören konnte. Fondazione Isabella Scelsi

Dass er sich mit Anfang Zwanzig für Cocteau und den Surrealismus interessiert hat, dass er viele Reisen unternommen hat, besonders nach Fernost, wo er den Zen-Buddhismus kennenlernte. Dass er ein sehr spirituelles Weltbild entwickelte und dass ihn Esoterik, Metaphysik, Theosophie faszinierten.

Dass er einen schweren psychischen Zusammenbruch hatte, einige Jahre keine Musik mehr machte und anschliessend überhaupt nicht mehr «komponierte», sondern sich wandelte von einem kom-ponierenden, zusammensetzenden Subjekt zu einem empfangenden Objekt, einem Medium für Botschaften aus einer jenseitigen Welt. Diese Wandlung habe er selber herbeigeführt, sagte er. Er habe sich geheilt, indem er auf dem Klavier stundenlang ein und denselben Ton anschlug und diesem Ton nach hörte.

Scelsi im «Gare du Nord»

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Legende: Foto Ute Schendel

Vom 8 .– 10.1.2014 präsentiert «Gare du Nord» im Badischen Bahnhof Basel ein Scelsi-Minifestival mit Konzerten und Diskussionen.

Genau diese Erfahrung habe ihn gerettet und in einen «schöpferischen Winkel» geführt: Ein einziger Ton genüge, um eine komplexe musikalische Form zu entfalten.

Musik als Energie

Wenn er sich inspiriert fühlte, improvisierte er auf verschiedenen Instrumenten: auf dem Klavier, auf der Gitarre, mit Schlaginstrumenten und besonders gern auf der Ondioline (eine Vorläuferin des Synthesizers), auf der er vierteltönig spielen konnte. Das Tonband lief mit und die besten seiner aufgenommenen Interpretationen übergab Scelsi dann seinen Assistenten zur Transkription.

Heraus kam auch in der transkribierten Fassung eine schillernde, angeraute, fliessende, wilde Musik, die sich zwar wie eine Art Landschaft beschreiben, nicht aber analysieren lässt: Jede traditionelle Logik der Form ist in ihr auf den Kopf gestellt.

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