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Lästig oder vielversprechend? Warum es sich lohnt, bei Strassenmusikern genau hinzuhören

Man hat ja keine Zeit zum Trödeln – und so verpasst man meist die Musiker am Strassenrand. Dabei übersehen wir so manchen talentierten Musiker.

Wäre der letzte Akkord von Bachs Chaconne in einem Konzertsaal erklungen, gespielt von Stargeiger Joshua Bell, so wären ihm Ovationen gewiss gewesen.

Audio
«On my way to mars»
00:44 min
abspielen. Laufzeit 44 Sekunden.

Doch Bell wollte es wissen: Erkennen die Leute ästhetische Qualität, wenn sie ihnen an einem ungewohnten Ort vorgeführt wird? Nein, tun sie nicht. Wie dieses Video zeigt, gingen fast alle Passanten in der Washingtoner Metrostation an ihm vorbei. Nur zwei bleiben stehen und hören zu.

Qualität in der Bahnhofsunterführung

Klar, wenn man von A nach B muss, hat man keine Zeit zum Trödeln. So geht es den meisten. Und so übersehen wir vielleicht so manche Perle am Strassenrand. Das kann ein talentierter Musiker, eine ausserordentliche Musikerin oder eine Gruppe sein, die wirklich etwas zu sagen hat auf der Strasse.

Die Rede ist hier nicht von den vielen mittelmässigen Produktionen, die es auf der Strasse auch gibt. Und derentwegen wir vielleicht schon mit geschlossenen Ohren durch die Städte gingen. Die Rede ist von Talenten, die sich auf der Strasse ausprobieren.

Warum erkennen wir Qualität nicht?

Der Schweizer Musiker Dino Brandao ist so einer. Er hat lange in der Badener Bahnhofsunterführung gesungen und Gitarre gespielt. Mit dem Geld, das dabei hereinkam, hat er sich und seiner Band Frank Powers das erste Studioalbum finanziert. Er tourt heute durch die Konzertlokale der Schweiz und spielt an Festivals wie dem Gurten-Festival oder dem Zermatt unplugged.

Brandao wurde nicht auf der Strasse entdeckt. Es gab zwar Leute, die wollten, dass er in ihrem Chor mitsingt, aber den Erfolg hat er sich selbst erarbeitet. Mit seiner Band und einem ersten Album.

Buchhinweis

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Mark Nowakowski: «Strassenmusik in Berlin. Zwischen Lebenskunst und Lebenskampf». Transcript Verlag, 2016.

Warum erkennen wir Qualität auf der Strasse nicht? «Es liegt daran, dass wir nur das Ziel im Auge haben», sagt Mark Nowakowski. Er hat ein Buch über Strassenmusik geschrieben. «Würden wir den Weg zum Ziel nehmen, könnten wir so manche Entdeckung auf der Strasse machen.»

Im Hier und Jetzt erleben

Der Flaneur in uns ist also gefragt. Auch wenn er sich bisweilen durch Strassenmusik belästigt fühlt. Musik, die in grosser Freiheit entsteht, kann diese Freiheit eigentlich nur an uns zurückspiegeln.

Will man Halt machen, vielleicht den Zug verpassen, und dafür etwas erleben, was es nur hier und jetzt gibt? Wer diese Frage mit Ja beantwortet, kann nur gewinnen.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 12.12.2016, 9:02 Uhr

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