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Weltklasse – Sommerkonzerte Humor ist – der Vogelruf in der Zwölftonkomposition

«Humor» als Motto beim Lucerne Festival: Humor in der doch so ernsten klassischen Musik – «netter Versuch», mag sich da Mancher denken. Noch weniger Humor soll's nur noch in der Neuen Musik geben. Sie gilt als komplett humorfreie Zone. Zu unrecht.

Das Lucerne Festival ist ja seit jeher auch ein Festival, bei dem die Neue Musik eine grosse und immer grössere Rolle spielt. Und auf diesem Gebiet stehe es um den Humor doch noch viel schlimmer als in der Klassik: Neue Musik und Humor? – Ein Witz! Geht doch nie zusammen! Neue Musik ist schräg, kompliziert und humorfrei im Quadrat. Oder? Ja. Natürlich.

Für Humor war kein Platz

Humor war nicht das drängendste Thema, als sich die Komponistinnen und Komponisten nach 1945 neu orientieren wollten, nein: mussten, um sich zu befreien vom alten, klebrigen und vergilbt-vergifteten Pathos der Vorkriegszeit, wo Dur noch Schönklang hiess. Konstruktion und strenge Rationalität versprachen Lösung.

Das Raster der Theorie – wie zu komponieren wäre – legte sich über die lebendige Musik, und für Humor war kein Platz. Die Richtlinienpädagogik bestimmte wenn nicht Generationen, so doch viele Jahre. Humor: tot. Oder? Nein. Natürlich nicht.

Denn die komplizierte, verkopfte, humorfrei-anspruchsvolle Richtlinienpädagogik, die sich über weite Teile der musikalischen Landschaft gestülpt hatte (warum eigentlich? Aus Angst vor Sinnlichkeit?), kam in die Jahre, wurde schwach und schwächer – und hörte auf zu existieren. Es kam die Leichtigkeit zurück, es kam die Verspieltheit zurück. Und in letzter Zeit ist auch wieder Zeit für Pathos.

Und wo bleibt der Humor?

Humor hat es immer gegeben, selbst in Zeiten strengster Organisation oder anderer ästhetischer Doktrine. Wenn Humor bedeutet, dass wir Dinge aus unterschiedlichen Bezugsrahmen zusammenspannen, als Persiflage und/oder Unterlaufen von Erwartungen, was mal heiter-ironisch, mal sarkastisch daherkommt, dann ist das unmittelbar abhängig vom Erfahrungshintergrund des Schöpfers, der Schöpferin, der Hörerin, des Hörers. Und damit auch von der herrschenden Ästhetik.

Wie sonst hätte ein Dimitri Schostakowitsch seine Lust an der musikalischen Groteske derart schärfen und gleichzeitig verstecken können, dass keines seiner Parteioberhäupter die Ironie und den Sarkasmus der Musik verstand.

Musikalischen Humor gab's immer

Wie sonst hätte eine hintersinnige Frohnatur wie Mauricio Kagel, der Südamerikaner im Pelz der westlichen Kunstmusik, die Regeln ebendieser Kunstmusik gründlich aushebeln und den Musikbetrieb verspotten können.

Wie sonst hätte ein Pierre Boulez lächelnd sagen können, sein Lehrer Olivier Messiaen tue ihm eigentlich leid, denn er habe weder dessen Leidenschaft für Kathedralen noch Orgeln oder Vögel teilen können – nur um der ersten seiner «Notations», einer streng zwölftönigen Komposition, augenzwinkernd einen Vogelruf einzukomponieren.

Humor, auch musikalischer Humor, hat viele Facetten und Schichten. Mal derb und laut und kalauernd, mal fein, versteckt und hintersinnig. In der Neuen Musik ist das nicht anders als in der «alten». Nur eben heutiger, uns näher. Und wer weiss: Vielleicht kann ein Festivalmotto «Humor» nicht mehr und nicht weniger, als das Ohr zu schärfen. Humor ist eine von tausend möglichen Facetten der Musik. Machen wir uns auf die Suche nach den offensichtlichen und versteckten oder auch unfreiwilligen Humorinseln.

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