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Musik Westliche Musik aus dem fernen Osten

Die Pianistin Mitsuko Uchida feiert in Europa grosse Erfolge. Das macht sie zur Wegbereiterin zahlreicher Musiker aus Asien, die schon seit vielen Jahren die westliche Klassik-Szene verändern.

Das Lucerne Festival hat Mitsuko Uchida nicht wegen des diesjährigen Mottos «Revolution» als Artiste étoile eingeladen. Sie ist auch keine Revolutionärin, aber sie gehörte zu den Vorboten der Umgestaltung des klassischen Musikbetriebs. Nach Mitsuko Uchida kamen tausende ostasiatische Musikerinnen und Musiker in den Westen und haben die Klassik-Szene verändert

Mitsuko Uchida verkörpert mit ihrer nachhaltigen Solo-Karriere im Westen den – oft unerfüllten – Traum vieler ostasiatischer Musikerinnen und Musiker. Abgesehen davon, dass auch sie schon sehr früh Klavierunterricht in Japan erhielt, hat sie allerdings einen speziellen Werdegang: Als 12-jährige Diplomatentochter kam sie 1961 mit ihren Eltern nach Europa, studierte dann in Wien bei Richard Hauser und machte sich die europäische Kultur sowie die deutsche und englische Sprache zu eigen. Seither wohnt sie in Europa und tritt überall auf der Welt auf.

Erster Kontakt durch Militär-Kapellen

Die klassische westliche Musik gelangte erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Ostasien, anfänglich über Militär-Kapellen. Später dann machte die Opernsängerin Tamaki Miura besonders als Cio-Cio-San in Puccinis Oper «Madame Butterfly» von sich reden. Sukzessive gewann die Klassik an Bedeutung, die Japaner zum Beispiel fanden sie moderner und kultivierter als ihre eigene traditionelle Musik.

Klassische Musikausbildung gehört zum guten Ton

Um 1950 begründete der Japaner Shinichi Suzuki eine neue Musik-Didaktik, die auch im Westen viel beachtete Suzuki-Methode. Ihre Grundidee ist das Lernen durch Nachahmung, wie beim Spracherwerb. Der Schüler imitiert dabei die Lehrerin oder eine Aufnahme. Der Vorteil dieser Methode: Sie ist auch für sehr kleine Kinder verständlich und effizient. Ihr Nachteil ist der Mangel an individueller Reflexion und die strenge Hierarchie, damit verbunden die Abhängigkeit vom Lehrer.

Technik-Begeisterung

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Fritz Näf über ostasiatische Musikstudierende in der Schweiz
01:28 min
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Musikerinnen und Musiker aus Asien spielen mechanisch, so lautete lange ein verbreitetes Vorurteil. Tatsächlich betonte die Ausbildung anfangs eine solide Technik, Drill und Perfektion übertönten dabei Individualität, selbständiges Denken und Theorie.

Das stellte auch der berühmte Geiger Isaac Stern bei seinem Besuch 1979 in China fest. Gleichzeitig bewunderte er die grossen technischen Möglichkeiten der oft noch ganz jungen Studierenden, ihre schnelle Auffassungsgabe und Lernfähigkeit. Wenn wir heute die Erfolge dieser Musikerinnen und Musiker betrachten, scheint das Klischee des Mechanischen jedoch überwunden.

Frühe Förderung

Buchhinweise

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«Musik in Japan», Silvain Guignard (Hrsg.), iudicium Verlag München, 1996

«Musicians from a different shore», Mari Yoshihara, Temple University Press Philadelphia, 2007

«Die Mutter des Erfolges», Amy Chua, Carl Hanser Verlag München, 2011

In Japan, Südkorea und China begann die Musikausbildung nach 1950 zu boomen – nur in China unterbrach die Kulturrevolution den Trend einschneidend. Auch Schulen und Medien verbreiteten die klassische Musik, und die Schüler kamen einfacher und günstiger zu ihren Instrumenten.

Die meisten späteren Profimusikerinnen und -musiker aus Fernost lernen damals wie heute schon ab drei Jahren ihr Instrument, bevorzugt eines, das sich für eine Solokarriere eignet: Zum Beispiel Klavier, Geige oder Cello. Spätestens mit zehn Jahren kommen sie für ein intensiviertes Training in Kaderschmieden wie die Toho Gakuen School of Music in Tokyo oder das Zentralkonservatorium in Peking. Für die begabten Kinder ist das ein ähnliches Karrieremuster wie im Spitzensport und nicht selten mehr Pflicht als Wunsch.

In Westeuropa setzt die Musikausbildung andere Prioritäten

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Fritz Näf über verbesserte Musikausbildung in der Schweiz
01:23 min
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In Europa gibt es seit jeher nur vereinzelt Spezialschulen und Internate für Musik, und die gezielte Begabtenförderung ist erst seit den 1980er Jahren ein Thema. Der Grund ist wohl ein anderer pädagogischer Ansatz: Das Musik-Erlebnis steht beim Unterricht im Vordergrund.

Fritz Näf, ehemaliger Präsident der Direktorenkonferenz der Schweizerischen Konservatorien und Musikhochschulen, sagt aber, dass sich die Musikausbildung Europas und der Schweiz in den letzten 30 Jahren stark verändert hat – wohl auch wegen des grossen Konkurrenzdrucks aus Asien und Pionieren wie Seiji Ozawa, Fou Ts’ong, Kun-Woo Paik oder eben auch Mitsuko Uchida.

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