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Netzwelt Ein Videospiel aus Papier – aber nicht von Pappe

Die Welten in Computerspielen sind überwältigend. Aus Millionen Pixeln entstehen virtuelle Räume, die der Realität in nichts nachstehen. Ausser darin, dass sie nicht real sind. Spiele wie «Lumino City» versuchen das Paradoxe: gleichzeitig real und virtuell zu sein.

In «Lumino City» muss die Heldin Lumo ihren entführten Grossvater wiederfinden und auf dem Weg zu ihm zahlreiche Rätsel lösen: ein klassisches Point-and-Click Adventure. Der Inhalt des Videospiels ist schnell zusammengefasst. Mehr der Rede wert ist die Kulisse.

Ein Team, unter anderem bestehend aus einer Architektin, einem Bühnenbildner und Modellbauern, hat monatelang an «Lumino City» gewerkelt. Herausgekommen ist ein drei Meter hohes Rad, an dem Häuser, Plätze und Gärten hängen wie Gondeln an einem Riesenrad. Alles ist von Hand gemacht: aus Papier, Pappe und Karton. Die Arbeit am Rechner begann erst, nachdem das komplette Modell stand. Es wurde fotografiert, gefilmt und digital aufgearbeitet.

Digitalisierte Handarbeit

«Lumino City»

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Die Spielemacher «State of Play» haben drei Jahre lang an «Lumino City» gearbeitet. Das Spiel ist der Nachfolger des Puzzle-Spiels «Lume» von 2001, das ebenfalls aus Pappe hergestellt ist.

«Lumino City»

Nur Motoren und Mini-Lampen haben die Macher der papiernen Welt hinzugefügt. Ein Kniff, der grosse Wirkung zeigt: Im Gegensatz zu anderen Videospielen – in denen Bewegungen zumeist abgehackt aussehen – bringen Motoren fliessende Bewegungen ins Spiel. Das abfotografierte Licht wirkt echter und wärmer als digital entworfenes.

Auch grosse Produktionen versuchen mittlerweile die klinische Kühle aus künstlichen Bildern zu verbannen: Tapeten bekommen Risse, auf Steinen wächst Moos oder Dinge erscheinen abgegriffen. Mit solchen Spuren wollen die Macher vertuschen, dass die Bilder keine Fotos sind. Ablenken davon, dass zwar alles realistisch aussieht, aber keine Entsprechung in der Realität hat – so wie Fotos.

Das Paradox der digitalen Bilder

«Lumino City» schafft diese Täuschung. Wir kennen Papier aus der Realität, so wird es auch am Bildschirm sinnlich fassbar. Stephan Schwingeler, Kurator für Videospiele im Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe, spricht dabei vom «Paradox digitaler Bilder»: «Das digitale Bild versucht sich in der Wirklichkeit zu erden, indem es etwas Handgemachtes simuliert.»

Ein Zwerg steht in einer märchenhaften Höhle.
Legende: «Samorost»: ein tschechisches Spiel in Collagen-Technik. Amanita Design

Das klingt paradox, funktioniert aber. Mit Papp-Puppenhäuschen lädt uns «Lumino City» in eine gebastelte, heimelige Welt. Obwohl die Figuren am Computer entstanden sind, sehen sie aus, als wären sie aus Papier.

Hyperrealismus vs. Handarbeit

Handgemachte Spiele wie «Lumino City», «Samorost» (2003), «The Swapper» (2013) oder «Blue Flamingo» (2014) sind als Gegentrend zu grossen Blockbuster-Spielen wie «Assassins Creed» zu verstehen, die teilweise so viel kosten wie Hollywood-Filme.

Aber dieser Trend ist nicht neu: Schon in den 1990er-Jahren gab es «Skull Monkeys», ein Konsolen-Spiel, das komplett aus Knete gemacht ist. Oder «Kirby's Epic Yarn», das so aussieht, als wäre alles genäht und gestickt.

Games: ein Spiel mit allen Stilen

Fantastisch realistisch oder handgemacht, die Computerspiel-Branche versucht seit jeher mit allen möglichen Darstellungsformen zu spielen. Dass das auch in Zukunft so bleiben wird, davon geht Stephan Schwingeler aus: «Ich denke, dass sich das Medium Spiel immer mehr ausdifferenzieren wird. Allein weil fotorealistische Graphiken sehr viel teurer sind als handgemachte, werden beide Stile nebeneinander existieren.»

Das wohl auch, wenn die Rechenleistung weiter steigt, Graphiken detailreicher und Bewegungen fliessender werden. Videospiele sind eben auch Kunst. Und sie sind seit etwa zehn Jahren aus der Nerd-Ecke mitten in der Gesellschaft angekommen. Spiele-Macher sprechen heute die unterschiedlichsten Gruppen an: Schiesswütige, Strategen, spielend Lernende oder eben Schönheitssinn-Suchende. «Lumino City» ist vor allem für Letztere.

Sendung: SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 16.12.2014, 17:30 Uhr.

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