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Netzwelt Print-Redaktoren vom «Spiegel» wollen kein Web-Kurzfutter machen

Millionenfach gelesen ist «Der Spiegel» das wichtigste Nachrichten-Magazin im deutschen Blätterwald – und das seit Jahrzehnten. Noch mehr Leser hat mittlerweile «Spiegel Online». Chefredaktor Büchner trägt dieser Entwicklung nun Rechnung – zum Leidwesen der Print-Redaktoren.

Seit Wolfgang Büchner Spiegel-Chefredaktor ist, dringen immer wieder neue interne Streitigkeiten an die Öffentlichkeit. Nun sorgt Büchner mit seinem Projekt «Spiegel 3.0» erneut für Aufruhr. Was verbirgt sich dahinter?

Caspar Selg: Er will die Redaktionen des gedruckten Magazins und die Online-Ausgabe vom «Spiegel» zusammenlegen. Es wird schlicht zu teuer, zwei komplett getrennte Redaktionen zu führen. Büchner nennt das Projekt «Spiegel 3.0». Der Chefredaktor hat bereits allen Ressortchefs gekündigt, um die Fachbereiche neu zusammenzustellen. Das hat zu einem riesigen Aufruhr in der Redaktion des gedruckten Magazins geführt.

Die «Spiegel»-Belegschaft droht mit Streik. Was ist für sie so empörend?

Casper Selg

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Legende: casperselg.ch

Seit mehr als 35 Jahren ist Casper Selg Journalist. Er leitete das «Echo der Zeit» und war Radio-Korrespondent in den USA und nach 2010 in Berlin. Seit seiner Pensionierung im Sommer 2015 arbeitet er als freier Journalist und Ausbildner. Er ist Mitglied des Schweizer Presserates.

Zum einen sind die Redaktoren der Printausgabe vertraglich deutlich besser gestellt als ihre Online-Kollegen. Sie fürchten, dass sie durch die Fusion schlechter gestellt werden. Zum andern gehen sie davon aus, dass die Printausgabe seriöser geschrieben ist als das Online-Angebot.

Die Print-Redaktoren haben Angst, dass sie künftig Online-Kurzfutter produzieren müssen, statt der bisherigen längeren, seriös recherchierten Geschichten. Deswegen hat eine grosse Anzahl Print-Redaktoren kürzlich in einer Petition faktisch die Entlassung des Chefredaktors gefordert.

Geht es bei dem Streit eher um Meinungsunterschiede zur strategischen Weiterentwicklung vom «Spiegel» oder um zwischenmenschliche Unverträglichkeiten?

Ich glaube, es ist beides. Man ist sich zwar in allen Redaktionen weitgehend einig, dass man Print und Online näher zusammenbringen muss. Doch die Printredaktion traut dem neuen Chef nicht über den Weg. Wolfgang Büchner kommt aus der Online-Schule. Er hat bei «Spiegel Online» gearbeitet. Bei der Print-Redaktion war er dafür immer schon sehr umstritten. Die Print-Redaktoren fürchten einen inhaltlichen Substanzverlust und eine Boulevardisierung der Produkte. Denn die Artikel in «Spiegel Online» sind generell deutlicher auf den Leser zugeschrieben. Sie sollen möglichst viele Klicks generieren.

Bei der geplanten konvergenten Redaktion sollen die Weichen für die Zukunft gestellt werden. Was hat «Der Spiegel» heute für eine Bedeutung?

«Der Spiegel» hat in Deutschland immer noch eine enorm grosse Bedeutung. Das ist eigentlich auch der Hintergrund des Streits. «Der Spiegel» als Magazin wird immer noch gut gelesen und ist sehr wichtig im deutschen Blätterwald. Aber das Leitmedium, das alle täglich oder stündlich konsumieren, die sich für Politik interessieren, ist «Spiegel Online».

Die grundlegende Befürchtung ist, dass mehr Themen bearbeitet werden, die beim Leser gut ankommen, als solche, die sich der Redaktion inhaltlich aufdrängen. Stichwort: Akzeptanz statt Relevanz.

Am letzten Freitag fand eine Gesellschafterversammlung statt. Ihre Mitglieder sprachen dem Vorgehen des «Spiegel»-Chefredaktors ihre Unterstützung zu. Was heisst das?

Das bedeutet, dass man eine Art Burgfrieden gefunden hat, wahrscheinlich aus der Erkenntnis, dass man sich einen weiteren Streit nicht leisten kann. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass mit dem Entscheid alle grundsätzlichen Probleme gelöst sind. Ich glaube, es ist ein vorläufiger Frieden, kein endgültiger.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 25.8.2014, 8:10 Uhr.

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