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Wenn uns der Roboter pflegt

Sich im Alter vom Roboter waschen oder füttern zu lassen – für viele eine unwürdige Vorstellung. Aus Sicht der Ethik ist ein solches Urteil vorschnell, sagt die Philosophin Susanne Boshammer.

Es gibt zwar bereits einige Modelle von Pflegerobotern mit Namen wie «Robo-K» oder «Hospi», aber sie sind unerschwinglich teuer. Müssen wir uns mit dem Phänomen wirklich bereits auseinandersetzen?

Susanne Boshammer: Die Entwicklung der Pflegerobotik steckt in der Tat noch in den Kinderschuhen und ist enorm kostenintensiv. Zugleich macht das Ausmass privater und öffentlicher Investitionen deutlich, dass man sich von den entsprechenden Technologien offenbar viel verspricht. Ausserdem machen Modelle wie die von Ihnen genannten nur einen Teil der modernen Pflegetechnologien aus. Das, womit sich Informatiker, Ingenieure und Pflegewissenschaftler unter dem Stichwort «Gestaltung altersgerechter Lebenswelten» beschäftigen, ist ein weites Feld und zum Teil längst Praxis, wenn auch teilweise noch in Pilotphasen.

Zur Person

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Legende: zVg

Susanne Boshammer ist Professorin für Philosophie an der Universität Osnabrück. Sie baut dort einen Forschungsschwerpunkt auf zum Thema «Ethik und Alter» und erforscht unter anderem die ethischen Dimensionen der technisch unterstützten Hilfe.

Was interessiert Sie als Philosophin an Pflegerobotern?

Als ich zum ersten Mal von Pflegerobotern hörte, schien mir die Idee geradezu absurd. Vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen mit der Pflege von Angehörigen hat mich im ersten Moment allein die Vorstellung moralisch empört, dass Menschen in einer so verletzlichen Lage Maschinen überlassen werden. Es schien mir intuitiv sonnenklar, dass das nicht sein darf. Für Philosophinnen und Philosophen sind das interessante Momente, insofern es zu ihren Aufgaben gehört, solche moralischen Intuitionen kritisch zu prüfen.

Darüber hinaus bin ich der Ansicht, dass sich praktische Philosophie mit Fragen von lebensweltlicher Relevanz beschäftigen sollte. Meines Erachtens gehört die Frage, wie wir als Einzelne und als Gesellschaft mit den Erfahrungen von Alter und Pflegebedürftigkeit in anständiger Weise umgehen können, ohne jeden Zweifel dazu. Es interessiert mich, ob und unter welchen Umständen Pflegeroboter dabei hilfreich sein können.

Die Prototypen sind gegenwärtig noch Fachidioten: Sie bringen Medikamente, waschen Haare oder reichen Getränke. Glauben Sie an die Versprechungen der Robotik-Forschungslabors, dass wir dereinst den Pflegenotstand beheben können mit diesen Maschinen?

Ich glaube nicht, dass irgendjemand seriöse Prognosen dazu abgeben kann – weder mit Blick auf die zukünftigen technologischen Möglichkeiten noch mit Blick auf die demographische und medizinische Entwicklung beim Pflegebedarf. Klar dürfte aber sein, dass Pflege weit mehr ist und sein muss, als die Unterstützung eines Menschen bei der körperlichen «Versorgung» oder der Befriedigung seiner körperlichen Grundbedürfnisse.

Und worin besteht dieses Mehr?

Pflege findet im Rahmen einer wechselseitigen Beziehung statt. Sie braucht Achtsamkeit gegenüber der ganzen Person und nicht nur ihrem Körper, sie braucht – wenn man so will – «Menschlichkeit», und spätestens hier scheinen zumindest die derzeitigen Pflegeroboter an Grenzen zu stossen.

Auch Pflegefachpersonen stossen zuweilen an ihre Grenzen…

Da gebe ich Ihnen recht. Wer Erfahrung in der Pflege von Angehörigen hat, weiss, wie emotional und körperlich herausfordernd ein solches Engagement ist. Und auch die Pflegeprofis berichten längst, dass angesichts von Kostendruck und Personalknappheit die Bedingungen für wahrhaft menschliche Pflege vielerorts nicht mehr gegeben sind. Pflegeroboter und andere unterstützende Technologien versprechen diesbezüglich Linderung – sie sollen ja nicht nur die Pflegebedürftigen entlasten, sondern auch die sie Pflegenden. Wenn das gelingt, wäre das sicher ein starkes Argument zu ihren Gunsten. Die Pflegenden hätten dank der technischen Assistenz mehr Zeit für die menschlichen Seiten der Pflege.

Warum also die Skepsis?

Viele befürchten, dass der Einsatz entsprechender Technologien nicht dazu führen wird, den Pflegenden mehr Zeit für Zuwendung zu verschaffen, sondern lediglich dazu, die Pflege effizienter zu gestalten. Wer einen Roboter auf Station hat, kann dann eben zehn statt nur acht Personen aufnehmen. Und was den häuslichen Einsatz von Systemen betrifft, die medizinische Daten oder Bewegungsprofile überwachen, besteht die Sorge, dass er zu einer Abnahme menschlicher Kontakte führen kann: Nicht nur die Ärztin muss nicht mehr ins Haus kommen, da sie die notwendigen Daten ja schon per Computer übermittelt bekommt, auch die Verwandten können per Knopfdruck überprüfen, wie es dem Patienten geht.

Ein Japaner sitzt mit offenem Mund vor einer weissen Maschine, die ihm einen Happen Essen in den Mund schiebt.
Legende: Ist es erniedrigend, sich von einem mechanischen Arm füttern zu lassen? Keystone

Der fussgesteuerte Tischroboter «Bestic» hilft Schwerbehinderten, Essen aus einem Teller zu löffeln. Ist es nicht erniedrigend, von einem Roboter gefüttert zu werden?

Wenn man die jeweiligen Bilder betrachtet, kann man in der Tat zunächst diesen Eindruck gewinnen. Aber das liegt meines Erachtens nicht daran, dass da ein Mensch von einer Maschine gefüttert wird. Es liegt zunächst mal am Setting, also an diesem Foto, das eine einzelne Person in einem intimen Moment vermeintlicher Schwäche herausgreift und den Blicken anderer ausliefert. Ob es tatsächlich erniedrigend ist, von einem Roboter gefüttert zu werden, lässt sich meines Erachtens so generell nicht sagen, sondern hängt ganz entscheidend von den Bedingungen ab, unter denen das geschieht.

Ein Beispiel bitte.

Wenn Sie sich ein Betagtenheim vorstellen, in dem es eine Abteilung für finanziell schlechter gestellte Bewohner gibt, die von Robotern gefüttert werden, während nebenan in der Luxusabteilung psychologisch geschulte, jederzeit freundliche, endlos geduldige Pflegekräfte das Essen zum Mund reichen, dann wäre die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es als erniedrigend gilt und empfunden wird, von der Maschine bedient zu werden.

Aber was, wenn es genau umgekehrt ist? Wer es sich leisten kann, bekommt den Roboterservice, bei dem man das Esstempo selbst bestimmen kann, bei dem man vielleicht auch die Essenszeit selber festlegt und während der Mittagessen mit den anderen reden kann und niemanden damit aufhält, der unruhig auf der Stuhlkante sitzt und mir bereits den nächsten Bissen vor die Nase hält…

Kurzum: Solange ersichtlich ist, dass die durch Roboter unterstützten Personen gute Gründe haben, genau diesen Service zu wählen, scheint mir an der Tatsache, dass sie von einem Roboter gefüttert werden, nichts erniedrigend.

Ein Argument für Pflegeroboter ist die Unabhängigkeit der Patientinnen und Patienten. Sie müssen nicht warten, bis eine Pflegeperson oder eine Angehörige Zeit haben, sie müssen nicht dankbar sein. Ist uns Freiheit letztlich wichtiger als Zuwendung?

Ständig angewiesen zu sein auf andere kann sicher eine schwere Belastung darstellen – und zwar nicht nur für die betroffene Person selbst, sondern auch für die Beziehung zu derjenigen, die sie pflegt. Es scheint mir daher fraglich, ob Zuwendung auf der einen Seite und Unabhängigkeit auf der anderen, ob verkürzt gesagt Liebe und Freiheit, die relevanten Alternativen sind. Die Liebe hat sicher bessere Chancen, wenn sie in Freiheit erlebt wird – soll heissen, die vollständige und dauerhafte Abhängigkeit von anderen ist auch nicht der perfekte Nährboden für menschliche Zuwendung.

Auf den Punkt gebracht: Sind Pflegeroboter eine Chance oder eine Gefahr?

Lassen Sie es mich so sagen: Es muss uns in der Diskussion um Pflegeroboter unbedingt gelingen, zwei Fehler zu vermeiden: Erstens die Idealisierung und Nostalgisierung der klassischen Pflegesettings bei gleichzeitiger Verteufelung jeder technischen Intervention und zweitens die Fetischierung der Autonomie bis in die letzte Stunde bei gleichzeitiger massloser Überschätzung der technischen Möglichkeiten. Nur so können wir meines Erachtens die Chancen solcher Technologien zum Wohl aller Betroffenen nutzen.

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