In den Klassikern der Rabenvogel-Literatur wird die überdurchschnittliche Intelligenz der schwarzen Vögel ausführlich thematisiert. So berichtet der Biologe Josef H. Reichholf in seinem Buch «Rabenschwarze Intelligenz» von der Methode der Krähen, Nussschalen aufzubrechen: Sie werfen Walnüsse auf die Strasse und überlassen diese den Autos.
In Langzeitbeobachtungen folgte der Feldforscher Bernd Heinrich wilden amerikanischen Raben und erkannte ihre soziale Kompetenz – ein Indiz für Intelligenz. Rabenvögel, fachsprachlich Corviden, haben ein ausgeprägtes Problem-Bewusstsein, das auf erlerntem Wissen aufbaut.
Zukunft planen
Alle bisher durchgeführten Experimente lassen erkennen, dass Rabenvögel über ein komplexes kognitives Instrumentarium verfügen: Sie können kausal Denken, in die Zukunft hinein planen, zwischen mehreren Alternativen wählen und besitzen Kreativität im Bau von Werkzeugen.
Die berühmte neukaledonische Labor-Krähe Betty war in der Lage aus Drähten Futterwerkzeuge zu biegen. Nun rückt das Krähen-Hirn in den Fokus der Wissenschaft.
Ungewöhnlich grosses Hirn
Zahlreiche Forschungsprojekte widmen sich der bisher wenig erforschten Funktionsweise des Krähen-Hirns. Corviden haben im Vergleich zu vielen anderen Vögeln ein ungewöhnlich grosses Gehirn.
Grundsätzlich müssen Vögel für den Flug leicht sein, aber das Gehirn eines Rabenvogels macht fast zwei Prozent seiner Körpermasse aus – ein Wert der dem des Menschen ähnelt.
Professor Jonas Rose untersucht an der Ruhr-Universität Bochum die neuronalen Grundlagen des Lernens. Am Institut für Kognitive Neurowissenschaft arbeiten Jonas Rose und sein Team mit handaufgezogenen Krähen und Dohlen: «Ich möchte herausfinden, ob das ganz anders aussehende Vogel-Hirn, dem man so viel gar nicht zugetraut hätte, ganz andere Prinzipien hat als das Säuger-Gehirn oder doch die Evolution vielleicht in einer anderen Anatomie die gleichen Mechanismen umgesetzt hat wie eben Säuger-Hirn.»
Krähen im Labor
In Experimentalboxen und Lauf-Arenen werden die Vögel darauf trainiert, auf Bildschirmen Farbsymbole anzupicken. «Erfolgreiche» Pickvorgänge werden mit Futter honoriert. Daraus lassen sich Schlüsse ziehen, wie Vögel Bilder und Symbole wahrnehmen und bewerten. Wie bei diesen Experimenten das Vogel-Hirn funktioniert, wird mit bildgebenden Verfahren ermittelt, die Reizmuster in bestimmten Hirn-Arealen sichtbar machen.
Jonas Roses Experimente sind ein wichtiger Baustein einer Mensch und Tier vergleichenden Hirnforschung: «Für mich ist eine ganz spannende Frage, ob die Schaltkreise, die Verschaltung der Nervenzellen in diesen Arealen ähnlich ist, nur anders aussieht oder anders ist, aber trotzdem die gleichen Leistungen hervorbringen kann.»
Bewusstsein bei Krähen?
In den Laborversuchen in Bochum, vergleichbare gibt es auch an der Universität Tübingen, lassen die Vermutung zu, dass Krähen eine Art subjektives Empfinden haben: Selbst auf schwache Reize reagierten die Vögel entschlossen, und konnten feinste Nuancen unterscheiden.
Ob nun Krähen ein eigenes «Vogelweltbild» im Gehirn erzeugen können, also ein Selbst-Bewusstsein haben, das bleibt eine bislang noch offene Frage.