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Cannabis: Vom Heilmittel zur Droge – und zurück
Aus Kultur Extras vom 15.05.2017.
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Cannabis als Arznei Wenn nichts mehr hilft – ausser Cannabis

Pflegefachfrau Bea Goldmann über den Nutzen von Cannabis als Heilmittel und die Hürden bis zur medizinischen Anerkennung.

Das Wichtigste in Kürze

  • Bea Goldmann ist Pflegefachfrau und arbeitet mit Patienten, die schwere Nervenkrankheiten haben. Sie setzte sich jahrelang dafür ein, dass aus Cannabis ein Heilmittel entwickelt wird.
  • Bevor es ein Cannabis-Medikament gab, unterstützte Goldmann Wege für die Beschaffung von Cannabis als Arznei. Heute ist der Zugang zwar nicht illegal, aber aufwendig und umständlich.
  • Cannabis kann ein grosses Spektrum an Beschwerden lindern. Dabei müssen Patienten bei der Einnahme ärztlich begleitet werden.

«Er hat geschrien vor Schmerz», sagt Bea Goldmann über einen ihrer Patienten. «So stark waren seine Muskelkrämpfe. Seine Beine wurden davon so zusammengezogen, dass zwischen den Knien Druckstellen entstanden.» Nichts, was an medizinischen Möglichkeiten da war, habe ihm helfen können. Bis auf Cannabis.

Goldmann ist Pflegefachfrau und arbeitet in der Betreuung von Patienten mit schweren, unheilbaren Muskel- und Nervenkrankheiten. Dass es seit einigen Jahren ein standardisiertes Medikament aus natürlichem Cannabis gibt, ist auch ihr zu verdanken. Goldmann setzte sich hartnäckig dafür ein, dass aus der verbotenen Droge ein Heilmittel entwickelt wird.

Kinder um Cannabis fragen

Zwölf Jahre sei das Erlebnis mit dem krampfgeplagten Patienten nun her, sagt Goldmann. Damals gab es noch keine Cannabis-Medikamente. «Das war ein grosses Problem», sagt Goldmann. «Die Patienten haben gemerkt, dass es die einzige Substanz war, die ihnen half. Sie mussten sich das Kraut jedoch selber auf der Strasse organisieren.»

Eine Hand hält ein braunes Flascherl, auf der ein grünes Hanfblatt abgebildet ist.
Legende: Ärztlich verordnetes Canabis: Heute müssen sich Patienten nicht mehr in die Illegalität begeben. Getty Images

Damit wurde experimentiert: «Patienten haben Kekse gebacken, Tee gebraut», sagt Goldmann. «Oft mit Hanf, von dem sie nicht wussten, wie stark er war und ob er mit Pestiziden belastet war. Die Patienten haben sich damit in die Illegalität begeben», so Goldmann. «Sie haben oft ihre Kinder gefragt, ob sie jemanden kennen, der jemanden kennt, bei dem sie Cannabis kaufen könnten.»

Do-it-yourself Cannabisöl

Aus dieser Notlage heraus begann Goldmann damit, ihre Patientinnen und Patienten zu beraten. Gemeinsam mit der Universität Bern und der Patienten-Organisation ALS Schweiz starteten sie ein Projekt: «Wir zeigten den Patienten, wie sie selbst ein Cannabisöl herstellen konnten», erklärt Goldmann, «aber auch, wie man damit umgeht und es richtig dosiert.» Dabei konnten die Patienten jederzeit anrufen, wenn sie Probleme hatten.

Mehr Gras, weniger Medis

Oft erhielten Patienten auch inoffizielle Unterstützung von ihren Ärzten. «Wir haben das den Patienten angemerkt», sagt Goldmann. «Denn sie begannen unter ärztlicher Aufsicht, ihre Psychopharmaka, Schlafmittel und Schmerzmittel zu reduzieren, die dank des Cannabis nicht mehr in der gleichen Menge notwendig waren.»

Auch gegen die Beschaffung auf der Strasse fand Goldmann eine Lösung: «Es gab damals in der Schweiz eine Quelle, die Cannabis-Kraut an Patienten zu einem Sechstel des üblichen Marktpreises abgegeben hat. Aber nur, wenn vorgängig eine Krankheitsbestätigung gefaxt wurde. Der Patient hat es dann bestellen können und konnte sich damit das Öl selbst herstellen.»

Ein älterer Mann raucht einen Joint.
Legende: Bevor der Patient Cannabis bekommt, muss der Arzt belegen, dass der Patient auf kein anderes Medikament anspricht. Getty Images

Das revidierte Betäubungsmittelgesetz erlaubte als Erstes ein Medikament, das nur den Cannabis-Wirkstoff THC enthielt. Doch Goldmann setzte auf ein Medikament aus natürlichem Cannabis, da viele Patienten damit bessere Erfahrungen gemacht hätten.

Kiffen kann überfordern

Doch warum ein aufwändiges Öl entwickeln, wenn die Patienten das Cannabis auch rauchen könnten? «Wer zum ersten Mal kifft», erklärt Goldmann, «hat innert zwei Minuten den Maximalspiegel im Blut.»

Das kann negative Effekte haben wie Desorientierung oder eine Psychose, wenn jemand eine Veranlagung dazu hat. Auch sinkt der THC-Pegel nach dem Kiffen schnell wieder ab. Für viele ihrer Patienten aber, die an schweren Muskelkrämpfen oder Spastik leiden, sei das ungünstig, sagt Goldmann.

Morgens eine Portion Cannabis

Cannabis: Droge und Medizin

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Legende: Getty Images

«Bewährt hat sich am Abend eine relativ grosse Dosis zu nehmen, sodass der Patient beim Aufstehen einen guten Spiegel hat und sich gut bewegen kann, denn die Spastik ist am Morgen besonders ausgeprägt. Das spricht für eine orale Einnahme.»

Das standardisierte Cannabis-Medikament gibt es heute. Doch der Zugang ist aufwändig. «Der Arzt muss zunächst einen Antrag ans Bundesamt für Gesundheit stellen und begründen, warum der Patient von Cannabis profitieren könnte», erklärt Goldmann. Unter anderem muss der Arzt belegen, dass der Patient schwer krank ist und auf kein anderes Medikament mehr anspricht.

Langer Weg zum natürlichen Medikament

Wird der Antrag bewilligt, braucht es ausserdem ein Betäubungsmittelrezept, verschiedene Einverständnis-Erklärungen, die Bestellung in der Apotheke und regelmässige Berichte an das Bundesamt für Gesundheit.

Zu viele Schritte seien das, findet Bea Goldmann. «Gerade für Patienten, die unweigerlich an ihrer schweren Krankheit sterben werden und dabei an einer Vielzahl von Symptomen leiden.»

Muskelschmerzen, Krämpfe, Spastik, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, zählt Goldmann auf. «Es gibt keine andere Substanz, die das Potenzial hat, ein so grosses Spektrum an Beschwerden zu lindern wie Cannabis.»

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 17.5.2017, 9.02 Uhr

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