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Künstliche Intelligenz Zukunft ohne Kopfzerbrechen? Wie Maschinen bald für uns denken

Computer lernen die Kunst des Argumentierens. Nehmen sie uns bald die Entscheidungen ab?

  • Das Forschungsfeld Argumentation Mining beschäftigt sich damit, wie Computer die besten Argumente im Internet finden können.
  • Die Trefferquote für gute Argumente war bei einem Test mit einer Künstlichen Intelligenz erstaunlich hoch: 78 Prozent erreichte sie.
  • Künstliche Intelligenzen sind so undurchschaubar wie das menschliche Gehirn: Warum sie Argumente für die besten halten, ist unklar.
  • Die Forschung wird bald Realität: In fünf Jahren soll es Suchmaschinen für überzeugende Argumente geben.

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Computer lernen streiten
aus Wissenschaftsmagazin vom 07.01.2017. Bild: Colourbox
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 30 Sekunden.

Wie der Mensch, so der Computer

Soll die Schweiz aus der Atomenergie aussteigen? Sollen die Bürger ein bedingungsloses Grundeinkommen erhalten? Sind Veganer die besseren Menschen? Darüber lässt sich streiten.

Und darüber wird auch gestritten. Denn mit der Sprache hat der Homo Sapiens in 200'000 Jahren Menschheitsgeschichte eines gelernt: zu argumentieren. Das wollen Informatiker nun auch Computern beibringen.

Die besten Argumente auf einen Klick

Künstliche Intelligenzen sollen lernen, gute von schlechten Argumenten zu unterscheiden.

Hände auf Computertastatur
Legende: Künstliche Intelligenz kann lernen. Und Contra geben? Keystone

Wer sich heute durch Internet-Recherche ein fundiertes Urteil bilden möchte, muss eigenständig Dokumente und Statistiken durchforsten. Wäre es nicht praktisch, wenn eine Suchmaschine uns gleich die besten Argumente in einer kontroversen Debatte liefern könnte?

Argumentation Mining heisst das Forschungsfeld: Computer sollen Debatten im Internet analysieren und die überzeugendsten Argumente ausgraben.

Superhirn Watson sammelt Argumente

IBM bringt dafür sein künstliches Superhirn Watson in Stellung. In dem Pilotprojekt «The Debater» haben die Forscher Watson damit beauftragt, die wichtigsten Pro- und Contra-Argumente zu einer Streitfrage aus Wikipedia zusammenzutragen. Für die öffentliche Präsentation wählten sie die Frage aus: Sollte der Verkauf von Gewaltvideospielen verboten werden?

«Ich habe ungefähr vier Millionen Wikipedia-Artikel gescannt und die zehn relevantesten ausgewählt», antwortet die Computerstimme von Watson. «Alle 3000 Sätze gescannt. Ich möchte die folgenden Argumente für die Ausgangsfrage anführen: Wer Gewalt in Videospielen ausgesetzt ist, zeigt einen höheren Erregungsgrad, mehr aggressive Gedanken und Gefühle sowie ein schlechteres Sozialverhalten. Ausserdem fördern die Spiele aggressives Verhalten bei Heranwachsenden. Und schliesslich können sie Kinder aggressiver machen.»

Dann folgen drei Contra-Argumente, die Watson in Wikipedia gefunden hat. Seit der Vorstellung des Projekts vor drei Jahren hat man vom Watson-Debattierer wenig gehört, aber die IBM-Forscher arbeiten weiter am Argumentation Mining, wie aktuelle Publikationen zeigen.

Künstliche Intelligenz sammelt Argumente

Nun lässt sich darüber streiten, ob einzelne Tatsachenbehauptungen aus einem Online-Lexikon schon gute Argumente darstellen. Informatiker der Technischen Universität Darmstadt gehen einen Schritt weiter.

Sie haben Debatten analysiert, wie man sie auf Pro- und Contra-Seiten im Internet findet: Sie suchten sich 16 Streitfragen aus und sammelten von der Webseite alle Argumente, die sie dazu finden konnten.

Zum Beispiel zu den Fragen: Soll man sein Kind auf eine Privatschule schicken? Sollten Plastikflaschen verboten werden? Oder: Welcher Internetbrowser ist der beste? Insgesamt werteten die Wissenschaftler tausende Pro- und Contra-Kommentare zu 16 kontroversen Themen aus.

Wie ein menschliches Gehirn

Die Forscher rekrutierten Hilfsarbeiter, die 16'000 Paare von Argumenten bewerteten. Sie mussten angeben, warum sie ein Argument überzeugender fanden oder auch nicht. War es beispielsweise unlogisch? Oberflächlich? Oder aber differenziert und gut formuliert?

Mit diesen Daten trainierten die Forscher ein neuronales Netz – sozusagen das Gehirn der künstlichen Intelligenz. Die Software imitiert das Prinzip eines menschlichen Gehirns. Man füttert das neuronale Netz mit den 16'000 Argumenten und dazugehörigen Bewertungen und hofft, dass der Computer in den Datenbergen Muster erkennt.

Trefferquote für das bessere Argument: 78 Prozent

Hände auf Tastatur
Legende: Der Computer lag bei einem Test überraschend gut im Rennen. Trefferquote für das bessere Argument: 78 Prozent. Keystone

Die spannende Frage war: Wenn man den Computer beispielsweise mit dem Pro und Contra zu Plastikrecycling und Privatschulen trainiert, würde er dann auch bei einem ganz anderen Thema mitreden können?

Um das zu testen, legten die Forscher dem Computer Argument-Paare aus einer unbekannten Debatte vor. Er sollte jeweils das überzeugendere von beiden herausfinden.

Durch einfaches Raten würde man in 50 Prozent der Fälle richtig liegen. Der Computer war besser. «Unser bestes System hatte eine Trefferquote von 78 Prozent», sagt Projektleiter Ivan Habernal.

So undurchschaubar wie das menschliche Hirn

Leider ist die Künstliche Intelligenz ähnlich schwer zu durchschauen wie das Gehirn. Das neuronale Netz entwickelt ein Eigenleben.

Man weiss am Ende gar nicht genau, warum der Computer manche Argumente für überzeugender hält als andere.

Rechtschreibung und Statistiken überzeugen

Einige Merkmale liessen sich aber doch erkennen: «Wenn man wirklich schlecht schreibt, wird das Argument als schwächer betrachtet», sagt Habernal. Wer überzeugend argumentieren wolle, müsse also auf eine gute Sprache und eine korrekte Rechtschreibung achten.

Ausserdem würden Argumente als überzeugender gewertet, wenn sie Zahlen enthalten oder Statistiken zitieren. Man müsste nun natürlich überprüfen, ob die Zahlen und Statistiken auch der Wahrheit entsprechen. Google arbeitet an einer solchen Datenbank mit gesichertem Wissen.

Entscheiden bald Maschinen für uns?

Noch ist das Zukunftsmusik, aber Ivan Habernal prophezeit, dass es schon in fünf Jahren Suchmaschinen für Argumente geben wird.

Vor einer Volksabstimmung könnte man sich damit die Pro- und Contra-Argumente vorsortieren lassen. Wo man letztlich das Kreuzchen hinsetzt, muss man aber doch noch selbst entscheiden.

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