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International «Bosnier und Serben verstehen sich besser als ihre Regierungen»

Das Massaker von Srebrenica gilt als grösstes Kriegsverbrechen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine Versöhnung zwischen Bosnien und Serbien ist schwierig – die Probleme liegen aber heute mehr auf politischer als auf gesellschaftlicher Ebene, wie die Historikerin Armina Galijas erklärt.

Im ostbosnischen Srebrenica haben Zehntausende der mehr als 8000 Opfer des Völkermordes vor 20 Jahren gedacht. Zahlreiche Staats- und Regierungschefs der Region erwiesen den Opfern dieses grössten Kriegsverbrechens nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa die letzte Ehre – darunter auch der serbische Ministerpräsident Aleksandar Vucic. Dieser wurde von aufgebrachten Menschen mit Steinen angegriffen.

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Serbiens Regierungschef Vucic von Gedenkfeier vertrieben
aus Echo der Zeit vom 11.07.2015. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 7 Minuten 53 Sekunden.

SRF: Steine gegen den serbischen Ministerpräsidenten Aleksander Vucic: Wie konnte es zu einer derartigen Entgleisung kommen?

Armina Galijas: Ich war überrascht und hätte eine solch heftige Reaktion nicht erwartet – vor allem nicht am heutigen Tag. Andererseits kann ich es teilweise verstehen in Anbetracht der Geschehnisse der letzten Tage. Beruhigend ist aber, dass es keine Massenreaktion, sondern ein Akt einer kleineren Gruppe war.

Zur Person

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Die Historikerin Armina Galijas wurde in Banja Luka/Bosnien geboren. Sie arbeitet derzeit als Assistenzprofessorin am Zentrum für Südeuropastudien an der Universität Graz sowie als Gastprofessorin an der Universität in Zagreb.

Diese Woche hat sich Serbien zusammen mit Russland geweigert, das Massaker von Srebrenica als Völkermord zu verurteilen. Hat das bei den bosnischen Muslimen zu einer neuen Verhärtung geführt?

Auf jeden Fall. Das war der Hauptgrund für diesen Angriff auf Vucic. Die Bezeichnung «Genozid» ist für die bosnischen Muslime sehr wichtig, vor allem für die Opfer in Srebrencia. Es ist eine kleine Wiedergutmachung für das, was sie erlebt haben. Den Begriff «Genozid» abzulehnen, hat die alten Wunden der Betroffenen wieder aufgerissen.

Regierungschef Vucic hat das Massaker heute scharf verurteilt, sich bei den Opfern entschuldigt und gesagt, dass Serbien mit den Bosniern friedlich zusammenleben möchte. Bedeutet diese ausgestreckte Hand gar nichts?

Man sollte zwar die Hand ausstrecken, sie dann aber auch ausgestreckt lassen, statt sie immer wieder ein Stück weit zurückzuziehen. Das Veto im UNO-Rat ist ein Zeichen, dass die Dinge nicht derart gut stehen. Gerade von Vucic – mit seiner Vergangenheit – muss mehr kommen. Er sollte sich nicht nur für das serbische Volk entschuldigen, sondern auch für das, was er selbst getan hat. Ansonsten kann man ihm keine Glaubwürdigkeit schenken.

Vucic und seine Vergangenheit

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Aleksandar Vucic galt einst als Kriegshetzer im Dienste der mutmasslichen Kriegsverbrecher Radovan Karadzic und Ratko Mladic. Aufsehen erregte etwa während des Jugoslawienkriegs seine Drohung an die Nato-Staaten: «Wenn ihr uns bombardiert, werden wir für einen toten Serben hundert Muslime töten».

Was müsste denn passieren, dass es zwischen den beiden Völkern zu einer Versöhnung oder zumindest zu einem echten Dialog käme?

Ich hoffe, irgendwann sieht man nicht mehr alle Opfer nur als Muslime und alle Täter als Serben. Ich hoffe, irgendwann fokussiert man auf die menschliche Tragödie und versucht nachzuvollziehen, wie es diesen Menschen tatsächlich ging. Wenn man wirklich Empathie empfindet mit den Opfern, dann ist man in der Lage, besser zu differenzieren und die Dinge nicht mehr nur schwarz-weiss zu sehen. Die neue politische Elite sollte zudem endlich mal aus der ethnischen Matrix ausbrechen. Ihre Politik und Macht basiert immer noch auf der ethnischen Teilung, insofern kommt ihnen diese undifferenzierte Betrachtung zugute.

Politisch scheint die Situation verfahren – aber wie ist denn die Stimmung in der Bevölkerung zwischen Bosniern und den Serben?

Die Bosniaken und Serben kommen im Alltag wesentlich besser miteinander aus als deren politische Elite. Das ist leider etwas, das nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Es gibt viele gute Beispiele, wo die Menschen immer noch zusammenleben – mitunter auch in Srebrenica.

Die Menschen arbeiten etwa im wirtschaftlichen oder auch im kukturellen Bereich sehr gut zusammen. Die jungen Menschen finden zueinander und ich hoffe, sie werden das in Zukunft weiter vorantreiben.

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