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International «Der Westen hat seine Möglichkeiten ausgereizt»

Nach dem jüngsten Raketentest Nordkoreas drohen die USA mit «beispiellosen Massnahmen». Schon heute aber ist das Regime in Pjöngjang weitgehend isoliert. Nicht einmal Skilifte oder Cognac dürfen offiziell ins Land. Was also bringen die Drohungen? Einschätzungen von Nordkorea-Experte Rüdiger Frank.

SRF News: Nordkorea hat mit dem jüngsten Raketentest erneut für internationales Aufsehen gesorgt. Das Land selbst spricht vom erfolgreichen Start einer Weltraumrakete, die einen Satelliten ins All befördert hat. Im Westen geht man vom verschleierten Start einer militärischen Trägerrakete aus. Welche Behauptung halten Sie für glaubwürdiger?

Rüdiger Frank

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Der Ökonom und Ostasienwissenschaftler arbeitet seit einem Studienaufenthalt in Pjöngjang Anfang der 1990er Jahre schwerpunktmässig zu Nordkorea. Frank ist Professor für Wirtschaft und Gesellschaft Ostasiens am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien.

Rüdiger Frank: Es gibt Aussagen von Experten, wonach die verwendete UNHA-3-Rakete für militärische Zwecke eigentlich denkbar ungeeignet ist. Es handelt sich dabei um eine fest installierte Rakete mit einer nicht-mobilen Startrampe – man weiss also ziemlich genau, wo sie steht. Die Rakete muss zudem vor dem Start mehrere Stunden lang mit Flüssigtreibstoff befüllt werden. Das heisst, im Kriegsfall würde sie wohl von einer Raktenabwehr abgeschossen, lange bevor sie überhaupt gestartet würde. Zudem haben die Nordkoreaner am Sonntag ein Objekt in den Weltraum befördert, es ist aber keines wieder in die Atmosphäre eingetreten. Das heisst, in diesem Falle kann man allein aufgrund der technischen Gegebenheiten wohl davon ausgehen, dass es sich um eine Weltraumrakete handelte, die einen Satelliten in den Orbit befördern sollte. Das schliesst natürlich nicht aus, dass die Technologien und Erkenntnisse natürlich auch für den Bau von Interkontinentalraketen verwendet werden können, aber diese konkrete Rakete scheint wirklich keine solche zu sein. Zudem hat das Regime mit offenen Karten gespielt. Der Test war angekündigt, auch wenn er einen Tag früher stattfand.

Dennoch schlagen die Wellen erneut hoch – der Westen spricht von einer Provokation und droht mit Konsequenzen. Und auch das Regime in Nordkorea dürfte sich der Wirkung eines solchen Raketenstarts bewusst sein. Welches Ziel verfolgt Machthaber Kim Jong Un damit?

Es sind im Wesentlichen zwei Ziele. Das erste ist der militärische Aspekt. Das Abschreckungspotenzial einer Atomwaffe – ob man sie nun besitzt oder nicht – ist relativ klein, wenn man nicht gleichzeitig zumindest die theoretische Möglichkeit besitzt, diese an ein Ziel zu befördern. Deshalb muss man diesen Raketentest auch im Zusammenhang sehen mit Bestrebungen Nordkoreas, sich über das Atomprogramm gegen eine angenommene Intervention der USA abzusichern. Das andere ist die zivile Nutzung. Nordkorea ist ein Land, das praktisch keinen Zugang hat zu Satellitentechnologie. Diese Technologie wird aber sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke gebraucht. Das Land ist also darauf angewiesen, eigene Satelliten ins Weltall zu befördern. Und schliesslich handelt es sich dabei natürlich auch um ein Prestigeprojekt, das den Stolz im eigenen Land fördert. Und das hat Kim Jong Un als Diktator dringend nötig. In seinem Land funktionieren viele Dinge nicht, die Wirtschaft ist am Boden – ein solches Raketenprogramm ist also auch innenpolitisch sehr wichtig.

Sie haben 2013 in einem Interview gesagt, dass Provokationen, wie wir sie auch jetzt wieder erlebt haben, möglicherweise zur politischen Strategie Nordkoreas gehören. Einer Phase der Eskalation würden jeweils positive Angebote des Regimes folgen. Hat sich das bestätigt?

Betrachten wir die Zeitspanne 2013 bis Januar 2016, haben wir in der Tat vergleichsweise wenig aus Nordkorea gehört. Es gab zwar Streitigkeiten an der innerkoreanischen Grenze, aber Waffen- oder Raketentests haben wir in dieser Zeit nicht erlebt. Nun erleben wir eine dichte Aufeinanderfolge solcher Ereignisse und man kann wohl davon ausgehen, dass es noch weitere Eskalationen geben wird. Gleichzeitig finden aber weiterhin Versuche statt, pragmatisch mit der internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten. Bedenken Sie, dass der nordkoreanische Aussenminister beinahe nach Davos zum Weltwirtschaftsforum gekommen wäre. Wir sehen also weiterhin eine Taktik von Zuckerbrot und Peitsche.

Gab es neben dem Beinahe-Besuch in Davos in der jüngeren Vergangenheit noch andere Signale der Entspannung aus Nordkorea?

Die 19 Sonderwirtschaftszonen, die das Regime geplant hat, gehören sicher dazu. Das heisst noch lange nicht, dass diese Zonen auch funktionieren, aber man erkennt daran das Bestreben, im wirtschaftlichen Bereich zu liberalisieren und auch Angebote an das Ausland zu machen. Zudem finden mehrmals im Jahr Messen statt, zu denen ausländische Unternehmer eingeladen werden. Man versucht also durchaus, Vertrauen aufzubauen und strebt Wrtschaftskooperationen an. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch der Pjöngjang-Marathon (an dem seit 2014 auch ausländische Starter teilnehmen können – Anm. der Red.). Der diesjährige ist ausgebucht – mit 600 Anmeldungen aus dem Westen.

Nach dem jüngsten Raketentest Nordkoreas drohen die USA mit beispiellosen Sanktionen. Man fragt sich: Wie kann dieses ohnehin isolierte Land noch weiter sanktioniert werden?

Es ist in der Tat so, dass der Westen seine Möglichkeiten ausgereizt hat. Heute dürfen nicht einmal mehr Skilifte oder Cognac nach Nordkorea geliefert werden. Im Westen hält sich hartnäckig die These, dass die Sanktionen deshalb nicht funktionieren, weil China sie immer wieder unterwandert. Die USA versuchen nun, China ins Boot zu holen, in dem sie den Druck erhöhen – etwa durch den Aufbau eines Raketenabwehrsystems in Südkorea. Ein solches System macht gegen Nordkorea wenig Sinn, sorgt aber in China für Aufregung. Die Hoffnung, dass dieser Druck dazu führt, dass China reglementierend auf Nordkorea einwirkt, halte ich jedoch für naiv. China hat kein Interesse an einer Destabilisierung Nordkoreas. Immerhin handelt es sich um eine Atommacht an der eigenen Grenze und sollte das Land kollabieren, würde sich der Einflussbereich des Westens ausdehnen. Das wollen die Chinesen nicht. Für die internationale Gemeinschaft sind Sanktionen zudem fast das einzige Mittel, solche Tests zu verurteilen. Sie sind ein politisches Statement, ganz abgesehen von der Wirkung, die sie entfalten oder nicht. Und jenseits eines militärisches Einsatzes kann man eben nicht wirklich viel tun.

Wie stark ist Kim Jong Un innenpolitisch?

Das ist schwer zu sagen. Kim Jong Un hat Ende 2011 relativ überraschend die Macht übernommen – lange Zeit war aber nicht wirklich klar, wie einflussreich er wirklich ist. Inzwischen hat er seine Position wohl gefestigt. Er hat einige Führungskader ausgewechselt – unter anderem seinen Onkel, den er hinrichten liess. Nordkorea ist ein Land im Wandel. Die Wirtschaftsreformen der vergangenen Jahre haben dazu geführt, dass sich ein Mittelstand herausgebildet hat – es gibt Menschen, denen es relativ gut geht. Das führt zu einem Auseinanderdriften einer Gesellschaft, die vorher sehr einheitlich war – und das sorgt für einen gewissen Druck auf Kim Jong Un. Ein Beispiel dafür, dass einiges in Bewegung ist, ist der im Mai anstehende 7. Parteitag der Kommunistischen Partei. Es ist der erste seit 36 Jahren und er soll Kim Jong Un sicher dazu dienen, seine Macht auszubauen. Es gibt Hinweise, dass der Machthaber am Parteitag eine Kurskorrektur vornehmen wird. So war in nordkoreanischen Medien kürzlich zu lesen, dass Kim die Praxis der Parteikader kritisiert habe, Privilegien und Macht anzuhäufen. Er hat also angedeutet, dass es innerhalb der Partei Tendenzen gibt, die ihm nicht gefallen. Möglicherweise wird er den Parteitag nutzen, um die eigenen Reihen zu säubern. Auch die Tests – den Atomtest Anfang Januar und den Raketentest am vergangenen Sonntag – sehe ich in diesem Kontext. Sie sollen der Elite des Landes und den Parteimitgliedern demonstrieren, dass die Führung des Landes in der Lage ist, Erfolge zu erzielen.

Das Interview führte Andrea Krüger.

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