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SPD braucht Gesamterneuerung
Aus Echo der Zeit vom 26.09.2017. Bild: Imago
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Die SPD muss sich neu erfinden Die «Arbeiterpartei» ist nur noch Folklore

Die stolze deutsche Sozialdemokratie schrumpft zusammen. Eine Reportage aus dem einst tiefroten Ruhrpott zeigt: Die Partei hat ein Glaubwürdigkeitsproblem.

  • Die deutschen Sozialdemokraten sind die grossen Verlierer der Bundestagswahlen. Jetzt gehen sie in die Opposition.
  • Der konfrontative Kurs gegenüber einer künftigen Regierung soll dafür sorgen, die Partei wieder zu profilieren.
  • Wie sehr die Partei noch immer auf eine alte Erzählung baut, zeigt sich nirgends besser als im Ruhrgebiet.

Eine Geschichte aus dem Kohlepott wird immer wieder erzählt. Es ist jene, wie die Luftverschmutzung den Leuten an die Wäsche ging. Sie sei vor 65 Jahren nach in den «Pott» gekommen, erzählt eine Passantin. «Ich war damals 14. Es hat mir gefallen, auch wenn du natürlich die Wäsche draussen nicht aufhängen konntest. Aber Dreck lag ja nirgends rum.»

Es hat sich verändert. Die Bergmänner blieben zu Hause, die Wäschestücke weiss. Doch die SPD versteht sich als Arbeiterpartei. Ihre Helden finden sich hier in der untergegangenen Kohleindustrie. Das weiss auch die neue Generation, wie der 31-jährige Martin Schlauch:

Die Bergbau-Leute waren immer der Adel der Arbeiterschaft. Gerade die qualifizierten von ihnen hatten es der SPD zu verdanken, dass sie den Strukturwandel überlebt haben und keiner von ihnen arbeitslos blieb.

Diese Verdienste nähren der Mythos. Eben erst fühlte sich David Gehne an alte Zeiten erinnert. Der Politologe erforscht an der Ruhr-Universität in Bochum die Region. Letzten Freitag gingen die Arbeiter des Stahlkonzerns Thyssenkrupp in Bochum auf der Strasse: «Da wird ein bisschen die Vergangenheit inszeniert, hatte man das Gefühl», sagt Gehne.

Arbeitsministerin Nahles peitscht im Ruhrpott Stahlarbeiter ein.
Legende: Aus der Zeit gefallen? Arbeitsministerin Nahles peitscht im Ruhrpott Stahlarbeiter ein. Reuters

Sozialdemokratische Folklore

5000 Stahlarbeiter demonstrierten lautstark, schliesslich tauchte die SPD-Spitzenpolitikerin Andrea Nahles auf: «Sie gerierte sich als Arbeiterführerin: Sie schlug mit der Faust auf das Rednerpult, schrie mit heiserer Stimme, dass ‹wir das nicht akzeptieren werden!›»

Früher seien solche Veranstaltungen typisch für die Region gewesen, so der Politologe. Die «alte Folklore» tauge aber nicht mehr, um mehrheitsfähig zu werden: «Es haben ja vielleicht noch zehn Prozent der Leute solche Jobs.» Kommt dazu, dass auch Arbeitsministerin Nahles die Globalisierung nicht aufhalten kann:

Das Glaubwürdigkeitsproblem der SPD wurde wieder einmal sichtbar: Guter Auftritt, den Leuten hat's gefallen. Hinterher gehen sie nachhause und fragen sich, ob erreichbar ist, was da gesagt wurde.
Autor: David Gehne Politologe an der Ruhr-Universität in Bochum
Nahles steht hinter einem Stahlarbeiter
Legende: Die Lebenswelten unterscheiden sich. Tabuthemen wie Flüchtlinge erschweren das Miteinander. Reuters

Die traditionellen Verbindungen zwischen Arbeitern, Gewerkschaft und SPD, die hier so fest waren und sich vererbten, sterben wortwörtlich aus. «Die letzte Mitgliederstudie zeigt, dass die Partei extrem überaltert ist. In den nächsten Jahren wird ein grosser Teil wegsterben, und viel kommt auch nicht mehr nach», sagt Gehne.

Ein Vorwurf an die grossen Parteien sei ohnehin, dass ihre Mitglieder Karrieristen seien und nicht bestimmte gesellschaftliche Gruppen repräsentieren wollten: «Das erschwert die Rekrutierung», schliesst der Politologe.

Die Sozialdemokratie «neu vermessen»

Dieses Jahr ist die SPD von einer Niederlage in die nächste gerannt. Besonders schmerzhaft war jene in Nordrhein-Westfalen (NRW) im Mai. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft trat zurück. Ihr Nachfolger als Ländervorsitzender der SPD-NRW, Michael Groschek, verspricht eine neue Erzählung für die Zeit nach der Bundestagwahl:

Wir machen politisch und organisatorisch gründlich Inventur. Zu Jahresbeginn laden wir alle Bessermacher ein, die soziale Demokratie in Nordrhein-Westfalen neu zu vermessen.
Autor: Michael Groschek Vorsitzender der SPD in NRW

Svenja Schulz ist Groscheks Generalsekretärin. Für die SPD gehe es in NRW darum, eine neue soziale Agenda voranzutreiben: «Wir reden immer noch viel zu viel von Hartz 4. Das gehört zum letzten Jahrhundert. Wir müssen jetzt darüber sprechen, wie wir uns eine soziale, eine gerechte Zukunft vorstellen.»

Der Mythos des roten Stammlandes sei viel zu präsent, findet Schulz: «Wir glauben immer noch, wir seien die Herzkammer. Unser Wording ist nach wie vor so, als wäre unsere Partei doppelt so gross. Wir müssen uns an die Zeit anpassen und so sprechen, dass uns die Menschen von heute verstehen – und nicht nur die von früher.»

Eine Sozialdemokratie für das 21. Jahrhundert

Was das genau heisst, soll in den nächsten Monaten erarbeitet werden. Dabei beansprucht die SPD in Nordrhein-Westfalen die Führung, erklärt Schulz: «Wir sind der grösste Landesverband. Alles was hier passiert, ist für die ganze Republik wichtig. Wir wollen aber nicht nur zahlenmässig die grössten sein. Wir begreifen uns auch als inhaltlicher Motor.»

Die guten alten Zeiten kommen nicht wieder. Das muss die SPD auch einmal begreifen und neue Dinge anbieten.
Autor: David Gehne Politologe an der Ruhr-Universität in Bochum

Aus alt mach neu

Personell hat sich die Partei in Düsseldorf schon erneuert – mit alten Gesichtern. «Die können eben mitreissen», sagt Schulze. Politologe Gehne findet das fatal: Die Alten bestimmen den Neuanfang. Wenn er dennoch gelingen soll, dürfe die neue Programmatik nicht dieselben Tabuzonen dulden, wie die letzte, sagt Gehne. Die Flüchtlingsfrage hatte im Ruhrgebiet zu reden gegeben, weil fast alle im ohnehin prekären Norden angesiedelt wurden und kaum einer im wohlhabenden Süden.

Frauen mit Kopftuch und Einkaufstüten
Legende: Aus dem Duisburger Stadtteil Marxloh, früher eine Hochburg der SPD, sind die Stahlarbeiter verschwunden. Reuters

Das müsse man doch hinterfragen dürfen: «Die SPD-Führung reagierte darauf, indem sie quasi verboten hat, diese Diskussion zu führen.» Die Debatte über Probleme zu verweigern, führe lediglich dazu, dass sich die Stimmung verselbstständige: «Und dazu, dass man sich von der SPD keine Lösung mehr erwartet.»

Die Partei braucht also eine Gesamterneuerung. Die Absichten bestehen – fehlt nur die konsequente Umsetzung nach all den Jahren des Niedergangs: «Die guten alten Zeiten kommen nicht wieder. Das muss die SPD auch einmal begreifen und zum Anlass nehmen, neue Dinge anzubieten.»

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