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Die Türkei und die Nato Der Eckpfeiler bröckelt weg

Lange war die Türkei ein Partner des Westens – und ein Puffer, der das Pulverfass Nahost fernhielt. Aus dem freundlichen könnte ein ungemütlicher Nachbar werden, sagt SRF-Sicherheitsexperte Fredy Gsteiger.

Bis vor kurzem galt das Land zwischen Europa und Asien als ein Eckpfeiler der Nato. Ein Staat, der die politischen Unruhen fernhielt von Europa. Deshalb sah die Nato lange über demokratiefeindliche Entwicklungen in der Türkei hinweg.

Doch nun distanziert sich die Türkei ihrerseits vom westlichen Militärbündnis und sucht die Nähe von Russland. Fredy Gsteiger, diplomatischer Korrespondent von Radio SRF, erklärt, was das für die westliche Sicherheitsarchitektur bedeuten könnte.

SRF News: Wie gravierend ist die Entwicklung geopolitisch für die Nato?

Sie ist sehr gravierend. Wenn man beim Kleinen anfängt: Ein Austritt der Türkei aus der Nato würde mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit den uralten griechisch-türkischen Konflikt wiederbeleben. Die beiden Länder sind im Moment Mitglied der Nato – und das hat doch eine dämpfende Wirkung. Zweitens würde der Nahe Osten etwa 1500 Kilometer näher an Europa rücken – mit all seinem Chaos, seiner Gewalt und seinen Problemen. Die Türkei als Puffer wäre nicht mehr da, wir hätten den Nahost-Konflikt quasi an der griechischen oder bulgarischen Grenze.

Nato und Türkei-Fähnchen
Legende: Vorbei mit der Einigkeit? Die Türkei ist auch ein Puffer, der die Probleme des Nahen Ostens fernhält. Reuters

Drittens wäre eine Türkei ausserhalb der Nato nicht einfach ein freundlicher Nachbar, wie das Schweden oder Finnland sind. Sie wäre ein problematischer Nachbar. Möglicherweise auch einer, der auf Konfrontationskurs zur Nato ginge.

Inwiefern nähert sich die Türkei denn konkret an Russland an?

In zweierlei Hinsicht. Man hat in den letzten Monaten beobachten können, wie sich die beiden Länder mit der Zusammenarbeit in Syrien annähern. Dort haben Russland und die Türkei lange Zeit ganz unterschiedliche Ziele verfolgt. Russland hat von Anfang an auf Diktator Baschar al-Assad gesetzt, die Türkei ganz klar auf die Rebellen. Inzwischen hat man sich stark angenähert und kooperiert intensiv.

Putin und Erdogan im Kreml, März 2017
Legende: Der Abschuss eines russischen Kampfjets sorgte für einen Eklat. Dann näherten sich Putin und Erdogan wieder an. Reuters

Zweitens konnte man eine Annäherung im Rüstungsbereich verfolgen. Die Türkei will das russische Raketensystem S-400 kaufen – für mehrere Milliarden. Das ist aus Nato-Sicht ein politischer Affront – und auch ein wirtschaftlicher: Denn die Türkei hätte sich diese Raketen natürlich auch aus Nato-Ländern beschaffen können. Schliesslich ist es auch militärisch problematisch: Denn die Nato-Systeme im Raketenbereich sind nicht unbedingt kompatibel mit den russischen.

Russland verdient natürlich vom Raketenkauf. Profitiert es militärisch auch darüberhinaus?

Das ist offenkundig. Allianzen haben verschiedene Komponenten. Es gibt den politischen Willen, die militärische Notwendigkeit und die rüstungspolitische Annäherung. Wenn jemand ein neues Raketensystem – etwas sehr komplexes – kauft, ist das Geschäft damit nicht einfach vorbei. Es braucht danach auch Ausbildung des Personals, Betreuung und Unterhalt. Auf diesem Weg hat Russland natürlich Einfluss in der Türkei. Es sieht sozusagen in das türkische System hinein, und ein Stück weit auch in das der Nato.

Ist es eine gute Sache, wenn es Atomwaffen in einem Land gibt, das instabil ist, das autoritär regiert wird und in dem kürzlich ein Putsch stattfand und in dem weitere Putsche stattfinden könnten?
Autor: Fredy Gsteiger Zum Szenario, dass die Türkei den Nato-Austritt ankündigt

Bei einem Bruch mit der Nato: Was würde dann mit den Atomwaffen der USA, die in der Türkei stationiert sind, geschehen?

Das ist eine heikle Frage. Bislang wagt es niemand, sie offen zu thematisieren. Sollte die Türkei definitiv aus der Nato austreten, würden die Amerikaner diese Waffen sehr rasch abziehen. Denn es handelt sich um US-Atomwaffen, die die Amerikaner der Nato sozusagen zur Verfügung gestellt haben. Das Unbehagen wäre vor allem während der Übergangsphase gross: Ist es eine gute Sache, wenn es Atomwaffen in einem Land gibt, das instabil ist, das autoritär regiert wird und in dem kürzlich ein Putsch stattfand und in dem weitere Putschs stattfinden könnten?

Insgesamt ein ungemütliches Szenario für die Nato. Was hat denn die Türkei zu verlieren bei einem Bruch mit der Nato?

Im Grunde dasselbe wie auf der anderen Seite die Nato: Beide haben Stabilität, ein Stück weit auch Sicherheit zu verlieren. Denn die Nato-Mitgliedschaft hat die Türkei militärisch zweifellos gestärkt. Einerseits taktisch, dann auch waffentechnisch. Aber auch, was die Ausbildung der Offiziere betrifft. Sie sind heute in der Türkei auf einem höheren Niveau, als wenn die Nato nicht existieren würde. Schliesslich hat die Türkei keine wirkliche Alternative zur Nato. Natürlich kann sie vorerst enger mit Russland zusammenarbeiten, theoretisch auch mit dem Iran. Aber ist das tatsächlich eine nachhaltige Kooperation, wenn man weiss, dass es mit Russland über Jahrhunderte hinweg auch grosse Konfrontationen gab, Interessenkonflikte um Einfluss in der Schwarzmeerregion, in Zentralasien? Möglicherweise wäre das nicht wirklich eine dauerhaft stabile Lösung.

Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.

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