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Umwälzungen im Nahen Osten «Ein Wandel vom Ausmass der Reformation»

Über fünf Jahre Krieg in Syrien: Ein geopolitischer Blick auf die Region mit dem amerikanischen Experten Joshua Landis.

SRF News: Welche Bedeutung hat der Sieg von Assad in Aleppo?

Joshua Landis: Es wurde eine neue Sicherheitsarchitektur für den nördlichen Teil des Nahen Ostens gelegt. Libanon, Syrien und Irak werden Alliierte unter dem Einfluss Irans – und in einem gewissen Masse auch unter dem Einfluss Russlands. Das wird die Sicherheitsarchitektur der kommenden Jahrzehnte sein.

Der grosse Gewinner neben Assad ist der Iran. Was bedeutet das für die Region, wenn Teheran die Fäden in Syrien, im Libanon und auch im Irak in der Hand hat?

Das ottomanische Reich war ein sunnitisches Reich. Und auch die arabischen Machthaber sehen die Araber als Sunniten. Doch nun ändert sich alles. Denn jetzt sind schiitische Machthaber und schiitische Milizen wie die Hisbollah im Libanon zu den dominanten Mächten im Norden des Nahen Ostens geworden. Das ist ein grosser Wandel, vergleichbar mit der Reformation in Europa vor 500 Jahren, die die Machtbalance verändert und während Jahrhunderten zu religiösen Unruhen und Kriegen geführt hatte.

Wann wird Assad diesen Krieg gewonnen haben?

Assad wird ein paar Jahre benötigen, um die Kontrolle ganz zu übernehmen. Auch in denjenigen Gebieten, die ihm entglitten sind. Es ist derzeit nicht absehbar, dass es irgendeiner Rebellengruppe gelingen wird, Assad längerfristig ernsthaft herauszufordern.

USA und Alliierte, Israel, die Golfstaaten, aber auch die Türkei belieferten die unterschiedlichsten Rebellen mit Waffen. Warum sind sie gescheitert?

Joshua Landis

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Der Amerikaner Joshua Landis ist Direktor des «Center of Middle East Studies» an der Universität in Oklahoma. Er ist ein international anerkannter Syrien-Experte.

Die Rebellengruppen haben 15 bis 20 Milliarden Dollar erhalten, um Assad zu stürzen. Aus drei Gründen sind sie gescheitert.: In Syrien, Libanon und im Irak gibt es mehr schiitische als sunnitische Araber. Die Sunniten dominieren also demografisch. In Syrien machen die schiitisch-orientierten Gruppen nur einen kleinen Teil der Bevölkerung aus. Aber weil aus dem Bürgerkrieg ein überregionaler Krieg wurde, an dem sich weitere schiitische Kräfte wie der Iran beteiligten, haben diese Kräfte Oberhand gewonnen.

Im Weiteren wurden die sunnitischen Rebellen immer fundamentalistischer. Sie wollten ein Kalifat installieren mit IS- und Al-Qaida-Ablegern. Der Westen aber will Nationalstaaten, die sich pro-westlich positionieren, und keine islamistischen Emirate. Daher wurden die Rebellen, die gegen Assad kämpfen, nicht vom Westen unterstützt. Zudem hat das Assad-Regime die viel besseren Freunde als die Rebellen: Während Russland, Iran und die Hisbollah bereit waren, in Syrien zu kämpfen, waren dies die Türkei, Saudi-Arabien, die USA, Grossbritannien und Frankreich nicht.

Für die Rebellen ist aufgeben keine Option. Was passiert mit ihnen?

Das Assad-Regime vergibt nicht. Vor allem die salafistischen Milizen, die ein sunnitisch dominiertes Syrien wollen, betrachtet er als Feinde, mit denen nicht zu verhandeln ist. Je gemässigter die Rebellengruppen sind, desto eher ist Assad zu Verhandlungen bereit. Die anderen aber müssen fliehen, etwa in die Türkei. Sonst laufen sie Gefahr, vom Assad-Regime gefoltert oder getötet zu werden.

Syrien ist wegen seiner geopolitische Lage für all diese Player interessant. Wo liegt das Hauptinteresse?

Saudi-Arabien und die Türkei wollten einen sunnitischen Sieg und einen Sieg der Rebellen in Syrien. Sie wollten nicht, dass Iran einen solchen Einfluss gewinnt. Das hat seinen Grund auch im Irakkrieg. Dort hatten die USA interveniert und die Machtverhältnisse in der Region radikal verändert. Sie brachten im Irak die Schiiten an die Macht und marginalisierten die Sunniten.

Saudia-Arabien und die Türkei wollten daher in Syrien eine sunnitische Vorherrschaft als Gegengewicht zum schiitisch dominierten Irak. Iran sieht dies aber als grosse Gefahr für die nationale Sicherheit. Iran will ihm freundlich gesinnte Kräfte an den Grenzen zu Israel, um dieses weiterhin bedrohen zu können. Sonst befürchtet Iran eine Attacke durch Israel. Saudi-Arabien ist nun sehr beunruhigt. Iran ist zu mächtig geworden. Saudi-Arabien befürchtet, dass Iran die Schiiten in Jemen, in Bahrain und gar in Saudi-Arabien selber unterstützt, wo 15 Prozent der Bevölkerung Schiiten sind

Der Krieg um geopolitischen Einfluss wird weitergehen. Müssen sich die Menschen auf weitere Kriegsjahre einstellen?

Ja. Syrien wird noch eine lange Zeit von kommunalen und religiösen Auseinandersetzungen geprägt sein. Das Assad-Regime ist bei der Bevölkerung sehr unbeliebt geworden. So schnell wird es die Popularität nicht zurückgewinnen.

Bedeutet dies, dass man sich all diese Friedensverhandlungen wie in Genf sparen kann? Welche Rolle müsste die Weltgemeinschaft übernehmen?

Die Genfer Verhandlungen gründen auf der Prämisse, dass Assad die Macht abgeben muss und dass die Rebellen in den Staat integriert werden müssen. Das wird nicht geschehen. Es braucht daher von Seiten Europas und den USA einen neuen Ansatz, wie mit der syrischen Regierung umzugehen ist. Konsolidiert Assad seine Macht, haben sie die Wahl. Wollen sie die Sanktionen aufrechterhalten mit der Folge, dass das syrische Volk zu verhungern droht und sich daher von Assad und dem Iran ab- und sich in der Folge dem Westen zuwendet?

Oder sollte sich der Westen bescheidenere Ziele setzen und versuchen, das IKRK in die syrischen Gefängnisse zu bringen und Syrien bei der Bildung zu helfen? Oder sollte der Westen Syrien aufgeben und Russland sowie China den Wiederaufbau überlassen? Das sind die Optionen des Westens. Und dazwischen sind die vielen Flüchtlinge, die nach Syrien zurückgehen, wenn dort die Wirtschaft wieder zum Laufen kommt. Oder die in Europa bleiben, wenn es kein Wirtschaftswachstum in Syrien gibt.

Das Interview führte Samuel Wyss.

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