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Ende des Jugoslawien-Tribunals «Internationale Strafgerichte haben schlechte Aussichten»

Mit der Aburteilung von Kriegsverbrechern hat das Tribunal Historisches geleistet. Doch seine Erben haben es schwer, glaubt SRF-Experte Fredy Gsteiger.

In 24 Jahren hat das UNO-Kriegsverbrechertribunal zum ehemaligen Jugoslawien fast 11'000 Prozesstage durchgeführt. 161 Menschen waren angeklagt, 84 wurden verurteilt, siebenmal gab es die Höchststrafe: lebenslang. Fredy Gsteiger, diplomatischer Korrespondent von SRF, zum Erbe des Tribunals – und zur Zukunft der internationalen Gerichtsbarkeit.

SRF News: Das war ja ein Ad-hoc-Tribunal zu Jugoslawien. Welche Massstäbe hat es gesetzt?

Es wurden durch dieses Tribunal Instrumente entwickelt, wie man auf internationaler Ebene überhaupt solche Verfahren durchführen kann. Es wurden Massstäbe und Kriterien dafür definiert. Und es wurde ein Signal gesetzt – zumindest für den Fall Jugoslawien: Kriegs- und Menschenrechtsverbrecher können nicht mehr davon ausgehen, auf ewige Zeiten straflos davon zu kommen.

Es war eine andere Zeit in den 1990er-Jahren. Damals wurde das Tribunal eröffnet, es war das Ende des Kalten Krieges. Fast weltweit herrschte Aufbruchstimmung.
Autor: Fredy Gsteiger Zur veränderten Weltlage

Dieses Tribunal schliesst. Weiter bestehen bleibt aber der permanente Internationale Strafgerichtshof (ICC), der ebenfalls in Den Haag ist. Bedeutet das: Alle aktuellen Kriegsverbrechen – Syrien, Burma, Afghanistan – werden dort behandelt werden?

Nein, das heisst es leider nicht. Insofern ist das Signal des Jugoslawien-Tribunals ein Stück weit trügerisch. Die Verurteilung von Mladic, Milosevic und Co. ist leider nicht die Regel, sondern nach wie vor die Ausnahme. In vielen Ländern kann das Strafgericht ICC gar nicht aktiv werden. Zum Teil, weil diese Länder gar nicht Mitglied des ICC sind. Zum Teil, weil UNO-Vetomächte ihre schützende Hand über Regime halten, damit das Gericht nicht tätig werden kann. Schliesslich lehnen es etwa die USA kategorisch ab, dass irgendwelche amerikanischen Staatsbürger von einem internationalen Strafgerichtshof verurteilt werden.

Warum hat die Strafverfolgung nach den Jugoslawien-Kriegen denn einigermassen geklappt, während sie bei anderen Konflikten wie Syrien nirgends steht?

Salopp gesagt: Es war eine andere Zeit in den 1990er-Jahren. Damals wurde das Tribunal eröffnet, es war das Ende des Kalten Krieges. Fast weltweit herrschte Aufbruchstimmung. Sogar Russland hat das Jugoslawien-Tribunal überaus begrüsst: Endlich in der Geschichte gebe es einen Gerichtshof, an dem nicht Sieger über Besiegte urteilen und an dem fair und international geurteilt werde.

Die Grossmächte betrachten sich heute eher wieder als Rivalen denn als Partner.
Autor: Fredy Gsteiger Zur neuen Rivalität der Grossmächte

Russland hat sich inzwischen aber völlig vom Jugoslawien-Tribunal distanziert und betrachtet es als Nato-Gericht, weil hauptsächlich Serben abgeurteilt wurden (Russland ist eng verbündet mit Serbien). Das heisst: Es gibt wenige Signale, dass die internationale Strafjustiz durch das Tribunal nachhaltig gestärkt wurde.

Das sind keine guten Aussichten für die Opfer von Kriegsverbrechen.

Das sind grundsätzlich schlechte Aussichten für alle multilateralen Organisationen, zu denen auch internationale Strafgerichte gehören. Die Grossmächte betrachten sich heute eher wieder als Rivalen denn als Partner. Sehr wichtige Mächte – Russland, China, Indien, die USA – sind beim ICC nicht einmal dabei. Der grosse Fortschritt, der vor 20 Jahren tatsächlich erzielt worden ist, kehrt sich im Moment wieder um. Derzeit sind teils kräftige Rückschritte zu beobachten.

Das Gespräch führte Simon Leu.

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