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International Erdogan bemüht sich um Schadens-begrenzung

Der türkische Premier Tayyip Erdogan ist auf Besuch in Brüssel. Doch die Gespräche mit der EU stehen unter keinem guten Stern. Der Korruptionsskandal um die türkische Regierung und die zunehmende Repression gegen Demonstranten hat in der EU eine Welle der Kritik ausgelöst.

Die Rüge aus Brüssel und verschiedenen EU-Mitgliedstaaten kommt zu einem denkbar ungünstigen Moment. Erst im vergangenen November hatten sich die Beziehungen zwischen Brüssel und Ankara wieder verbessert. Nach dreieinhalb Jahren Stillstand war ein weiteres Kapitel in den Beitrittsverhandlungen – bezüglich Regionalpolitik – geöffnet worden. Die EU und die Türkei initiierten zudem im Dezember einen «Dialog zur Visa-Liberalisierung».

Kritische Worte von der EU

Doch die Kritik aus Brüssel wegen des Korruptionsskandals um die Regierung Erdogan hat die Stimmung getrübt. Der für die EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara zuständige EU-Kommissar Stefan Füle sah sich gezwungen, die Türkei an ihre Pflichten als Beitrittskandidatin zu erinnern. Er forderte die Regierung in Ankara auf, «alle nötigen Schritte zu unternehmen, damit die Vorwürfe von Rechtsverletzungen transparent und unparteiisch aufgeklärt werden».

Ankara wehrt sich gegen die Schelte aus Brüssel. Der neue türkische EU-Minister Mevlüt Cavusoglu forderte die EU auf, Voreingenommenheit zu vermeiden und Gelassenheit walten zu lassen. Die Türkei werde ihre Probleme auf demokratischem Weg lösen, versicherte Cavusoglu.

Doch werden die beruhigenden Worte Cavusoglus reichen, um die EU zu besänftigen? Bei Erdogans Besuch in Brüssel sollen auch die umstrittenen Reformen im Justizapparat der Türkei im Zuge des Korruptionsskandals zur Sprache kommen. Bereits im Juni 2013 hatte die EU die Gespräche über die Regionalpolitik wegen der gewaltsamen Niederschlagung der Gezi-Proteste auf Eis gelegt.

Audio
SRF-Korrespondent Thomas Seibert zum Besuch Erdogans in Brüssel.
aus HeuteMorgen vom 21.01.2014.
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 7 Sekunden.

Dabei handle es sich eher um kurzfristige Symbolik, schätzt Urs Bruderer, SRF-Korrespondent in Brüssel, die Lage ein. Es sei allen klar gewesen, dass die Beitrittsgespräche langfristig fortgeführt würden. «Man macht einfach weiter. Auch wenn kaum jemand daran glaubt, dass das Ziel, also der Beitritt, zu erreichen sei. Zumal einige Leute das gar nicht erreichen wollen. Aber ebenso wenig will man die Türkei mit dem Abbruch der Verhandlungen brüskieren.»

Wirtschaftswunder stockt

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso betonte vor kurzem, dass der Türkei die Türen für einen EU-Beitritt offen stehen müssten. Sie sei «ein grosses, wirtschaftlich und geopolitisch wichtiges Land», dessen Reformprozess im EU-Interesse sei.

Doch auch Ankara sei ist sich seiner geopolitischen Bedeutung bewusst, so Bruderer. Darum habe die Türkei in den letzten Jahren auch immer wieder mit einer Abwendung von der EU geflirtet, und andern Mächten in der Nähe zugeblinzelt – etwa Russland, dem Iran, oder vor Ausbruch des Bürgerkrieges auch Syrien. Zwar seien diese als Partner um einiges weniger interessant als die EU. Doch die Türkei setze die Möglichkeit, sich anders zu orientieren, als Pfand in den Verhandlungen mit der EU ein.

Der Korruptionsskandal und die zunehmende Repression haben nicht nur die EU aufgeschreckt. Ausländische Investoren sind gehörig verunsichert und ziehen ihre Gelder ab. Die seit den Unruhen im Gezipark im Sommer des Vorjahres eingesetzte Kapitalflucht – allein im Juli 2013 haben ausländische Investoren 3 Milliarden Dollar aus der Türkei abgezogen – hat mit dem Auffliegen der Korruptionsaffäre weiter zugenommen. Der türkische Industriellenverband MÜSIAD spricht von 33,5 Milliarden Euro Verlusten bis zum 26. Dezember 2013. Auch die türkische Lira befindet sich auf Talfahrt.

Gemäss der türkischen Exportvereinigung sind die Exporte 2013 gegenüber dem Vorjahr um 0,8 Milliarden auf 151,7 Milliarden US-Dollar geschrumpft. Doch der wichtigste Handelspartner bleibt die Europäische Union. Mit ihr hat die Türkei 41,7 Prozent ihres Aussenhandels abgewickelt. Mit der Krise wurde den Türken bewusst, dass man letztendlich wirtschaftlich doch auf die EU angewiesen ist. Dies führte dazu, dass die EU in der Türkei wieder vermehrt zum Thema geworden ist.

Probleme mit Mitgliedstaaten

Erdogan wird in Brüssel EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und Kommissionspräsident José Manuel Barroso treffen. Im Europäischen Parlament wird Erdogan zudem eine Rede halten. Zu rechnen ist laut Bruderer mit einer «Standardrede»: «Wir sind bereit und wir wollen, müssen aber auch wissen, dass ihr wollt.»

Interessanter werde es dann allenfalls zu sehen, wie die Parlamentarier darauf reagieren. Zudem dürfe man nicht vergessen, dass Erdogans Problem mit der EU weniger mit Brüssel als mit einigen Mitgliedstaaten (Deutschland, Frankreich) zusammenhängt.

Doch auch wenn die EU über die Ereignisse in der Türkei hinweg schaut, ist das Land noch weit vom EU-Beitritt entfernt. In den nächsten fünf bis zehn Jahren sei dies unwahrscheinlich, so Bruderer. Dies sei auch der Erweiterungsmüdigkeit in der EU zuzuschreiben. Zudem: «Die Türkei ist ein grosser Brocken, den man in die EU integrieren müsste.»

Chronologie der Beitrittsverhandlungen

1959Die Türkei bewirbt sich um eine Mitgliedschaft
in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG).
1963In Ankara wird ein Assoziierungsabkommen zwischen
EWG und der Türkei unterzeichnet.
1980Nach
einem Militärputsch in der Türkei wird das Abkommen mehrere
Jahre ausgesetzt.
1987Die
Türkei übergibt offiziell ihren Antrag auf Vollmitgliedschaft.
1999Die
EU-Staats- und Regierungschefs erkennen der Türkei den Status eines
Beitrittskandidaten an.
2002/2003Das
türkische Parlament bringt umfassende Reformen auf den Weg.
2004Die
EU-Kommission empfiehlt die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei.
2005Die
EU und die Türkei nehmen Beitrittsverhandlungen auf.
2010Angela
Merkel spricht sich in der Türkei gegen den EU-Beitritt des Landes aus und plädierte stattdessen für eine «privilegierte Partnerschaft».

Bestechungsaffäre

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Im Zuge der Korruptionsaffäre sind zahlreiche Staatsbedienstete entlassen worden, darunter Polizisten und Staatsanwälte. Die Regierung von Ministerpräsident Erdogan will damit die Ermittlungen unter Kontrolle bringen. Die Ermittlungen wegen Bestechung richten sich unter anderem gegen Söhne von inzwischen zurückgetretenen Ministern.

Lange Verhandlungen

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Die Türkei verhandelt mit der EU seit acht Jahren über einen Beitritt, hat bisher aber kaum Fortschritte gemacht. Von insgesamt 35 Verhandlungskapiteln konnte Ankara bisher erst 14 angehen. Viele Bereiche sind wegen des Zypern-Konflikts gesperrt. Die EU fordert, dass die Türkei das teilweise von der türkischen Armee besetzte Zypern anerkennt.

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