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International Erdogan legt sich mit Deutschland an

Anfang Juni hat der deutsche Bundestag den Völkermord der Türken an den Armeniern in einer Resolution als solchen festgehalten. Seitdem ist das deutsch-türkische Verhältnis angespannt. Der türkische Präsident Erdogan giesst sogar Öl ins Feuer.

Sevim Dagdelen steht unter Polizeischutz. Wo immer sie auftritt, begleiten sie drei Beamte. Denn seit die deutsche Parlamentarierin mit türkisch-kurdischen Wurzeln von der Partei «Die Linke» im Bundestag für die Armenien-Resolution gestimmt hat, seien tausende Hass-Mails eingegangen, die sie als «armenische Hure» oder «kurdische Terroristin» beschimpften.

«Es gab auch Morddrohungen und mir wurde mitgeteilt, dass ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt worden ist. Es gab Steckbriefe mit Name und Fotos und Hinweisen, wo meine Kinder zu finden sind», erzählt Dagdelen.

Es gab Steckbriefe mit Name und Fotos und Hinweisen, wo meine Kinder zu finden sind.
Autor: Sevim Dagdelen Bundestagabgeordnete

Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan persönlich reagierte extrem. Er beschimpfte die elf deutschen Parlamentarier mit türkischen Wurzeln aufs Übelste. Der türkische Botschafter wurde aus Berlin nach Ankara zurückbeordert. Und der Besuch von deutschen Parlamentariern bei der Bundeswehr in der Türkei untersagt, obwohl es das deutsche Parlament ist, das über Auslandeinsätze der Bundeswehr entscheidet.

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Ankara und Berlin – der Ton verschärft sich
aus Rendez-vous vom 13.07.2016. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 37 Sekunden.

In der türkischen Gemeinschaft in Deutschland hinterliess Erdogans heftige Reaktion Spuren. Claudia Dantschke hat 15 Jahre lang ein türkisches Fernsehprogramm in Berlin betrieben. Diskussionen, Annäherungen zwischen Türken, Deutschen, Armeniern, gegenseitiges Verständnis: alles vorbei, sagt sie. «Ich habe das Gefühl, die letzten Jahre sind ein 'Rollback'. Selbst die Fortschritte, die es in der Türkei gab, das ist alles wieder vorbei.» Jetzt gehe es nur noch um Emotionen. «Das ist eine fatale Entwicklung», meint Dantschke.

Erdogan will innerdeutsche Politik beeinflussen

Erdogans Wut und sein verletzter Stolz fallen in Deutschland auf fruchtbaren Boden. Er betreibt ganz offen Innenpolitik in Deutschland. Vor Wahlen in der Türkei hat er grosse Wahlkampfauftritte nicht nur in Istanbul oder Ankara, sondern beispielsweise auch in Köln.

Als Reaktion auf die Armenien-Resolution des Bundestags ist eine deutschlandweite deutsch-türkische Partei gegründet worden. Natürlich ohne Chancen jemals in den Bundestag einzuziehen, aber ganz sicher mit der Möglichkeit in der Kommunalpolitik Fuss zu fassen. Mit gravierenden Folgen, findet die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen: «Das ist so, wie wenn der Vertreter Erdogans im Gemeinderat von Köln sitzt und dort Politik macht.» Das spalte die Gesellschaft, verhindere Integration.

Doch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und ihr Aussenminister Frank-Walter Steinmeier reagieren kaum und wenn, dann nur sehr lauwarm auf die Drohungen gegen die elf türkischstämmigen Abgeordneten des Bundestags.

Hinter den Kulissen sind die Arbeitskontakte sehr gut. Die Türkei hat grosses Vertrauen in die Bundesregierung.
Autor: Kristian Barkel Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik

Kristian Barkel von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik hat dafür eine Erklärung: «Hinter den Kulissen sind die Arbeitskontakte sehr gut. Die Türkei hat grosses Vertrauen in die Bundesregierung.» Als Beispiel nennt Brakel, dass der türkische Botschafter nur zu Konsultationen nach Ankara zurückberufen worden sei. Nun befinde er sich seines Wissens inzwischen wieder in Berlin.

Merkel gibt sich zurückhaltend

Und dennoch: Wenn gewählte Parlamentarier von aussen bedroht werden, geht es an das Eingemachte einer Demokratie. Angela Merkel reagiert aber nicht nur aus politischen Gründen so zurückhaltend, sondern vielleicht auch, weil Präsident Erdogan zwar die türkische Gemeinde in Deutschland in Aufruhr versetzen, aber sie nicht zu mobilisieren vermag. Als Dutzende türkische Organisationen vor der Armenien-Resolution zu einer Grossdemonstration vor dem Brandenburger Tor aufriefen, erschienen nur etwa 3500 Personen, obwohl in Deutschland 3,5 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln leben.

Umgekehrt gelang es Kanzlerin Merkel aber am Nato-Gipfel in Warschau nicht, den türkischen Präsidenten Erdogan dazu zu bewegen, den Besuch der Bundeswehr in der Türkei durch deutsche Parlamentarier wieder zu erlauben. Während Merkel mit diplomatischen Floskeln auf die Abfuhr reagierte, winkte der Präsident des Bundestags, Norbert Lammert, mit dem Zaunpfahl: Der Bundestag könne irgendwann auch wieder den Abzug deutscher Truppen aus der Türkei beschliessen. Theoretisch.

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