Der Verteidiger wirkte wie ein Angeklagter. Es war spürbar, dass EU-Präsident Donald Tusk diesen Auftritt nicht liebte. Er kannte die Vorwürfe schon, die ihn erwarteten. Er hatte sie wochenlang in den Medien hören und lesen können – und vertrat seine Sache dann völlig nüchtern.
Er konnte oder wollte nicht mitreissend sein, das schien chancenlos. Also blieb er beim Text des Abkommens und unterstrich, was ihm wichtig war: Die Solidarität und Hilfe für ein Mitgliedland zuerst – für Griechenland also, das an der Ostflanke der Union liegt und von den Flüchtlingen zuerst angesteuert wird. Übersetzt hiess das: Ein durch seine Krise geschwächtes Land, das allein gar nicht fertig werden konnte mit diesem Problem.
Tusk betonte, dass der Fall jedes Flüchtlings einzeln geprüft werde, dass für jeden zurückgewiesenen Menschen einer aus der Türkei übernommen werde. Tusk verlas bekannten Vertragstext.
Seine Kritiker, die erst nach ihm reden sollten, wies er vorsorglich in die Schranken. Ein perfektes Abkommen sei Träumerei, sei nicht möglich. Und immer zu verlangen, man müsse die Wurzeln des Problems bekämpfen, sei oft nur die elegante Ausrede, um dann nichts zu tun. Die EU wäre damit überfordert, in den Herkunftsländern für Schulen, Spitäler, Transportwege oder Handel zu sorgen, so Tusk. Das werde man an Weltgipfeln vertreten, die in den nächsten Monaten stattfinden sollen. Dafür brauche es alle.
Zu spät reagiert
Aber damit war Tusk nicht am Ende. Er blickte weiter voraus. Eine Flüchtlingsroute, die man unter Kontrolle bringe, werde durch andere ersetzt. Andere, die dann über Libyen zum Beispiel nach Italien führten. Und da lasse sich das Vertragsmodell mit der Türkei nicht anwenden. Libyen ist Kriegsgebiet.
Man habe im Fall der Balkanroute zu lange zugeschaut und nicht reagiert. Diesen Fehler wolle die EU nun kein zweites Mal machen. «Wir brauchen Sicherheit. Und wir brauchen Offenheit», lautet das Rezept des EU-Präsidenten. Tusk wusste, dass die Länder dabei den Akzent zuerst – und vielleicht nur – auf Sicherheit legen. Und fügte deshalb an: Erfolgreich werde die EU nur sein, wenn sie sicher und offen sei. Gleichzeitig.
EU-Kommissionspräsident Juncker unterstützt Tusk
Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker verteidigte das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei vor dem EU-Parlament in Strassburg. Er sagte, der Pakt sei wegen mangelnder Solidarität innerhalb der Union nötig gewesen. Unter anderem vor dem Hintergrund des Vorgehens von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan gegen den deutschen Satiriker Jan Böhmermann betonte er die Bedeutung der Grundrechte und der Pressefreiheit. Es gebe mehr als genug Themen, bei denen die EU und die Türkei unterschiedlicher Meinung seien. |