Rund 15 Milliarden Euro will der französische Energiekonzern EDF ins britische AKW-Projekt von Hinkley Point stecken. Am Standort des Kraftwerks im Westen Englands sollen bis 2025 zwei Reaktoren gebaut werden und ans Netz gehen. «EDF geht mit diesem Projekt auf tutti», sagt dazu SRF-Mitarbeiter Ruedi Balmer in Paris.
Briten kaufen den Strom
Das Projekt in Hinkley Pont an der Westküste Englands soll insgesamt 18 Mrd. Pfund (knapp 22 Mrd. Euro) kosten. Zwei Drittel der Baukosten übernimmt EDF, ein Drittel der chinesische Partner China Nuclear Power Corporation. Die Briten wiederum garantieren die Abnahme des produzierten Stroms während mindestens 35 Jahren zu einem fixen, vergleichsweise hohen Preis. Die beiden Reaktoren sollen ab 2025 sieben Prozent des britischen Strombedarfs abdecken.
Für EDF ist das Projekt hochriskant, wie Kritiker monieren. Bereits jetzt ist der Energiekonzern mit über 30 Milliarden Euro verschuldet. Falls beim Projekt in England Probleme auftreten sollten, könnten die Schulden nochmals massiv zunehmen. Trotzdem konnte der Stromkonzern gar nicht anders entscheiden: «EDF will in der Atomenergie weltweit führend bleiben – und zugleich verhindern, dass China zu einem Konkurrenten wird», sagt Balmer. Es gehe um die Existenz von EDF.
Frankreichs Atomindustrie retten
Der Entscheid war innerhalb der EDF-Führung umstritten: Im März war Finanzchef Thomas Piquemal zurückgetreten, weil er Zweifel hatte, ob das Unternehmen die Investition in Hinkley Point stemmen kann. Kurz vor der Entscheidung über das Projekt reichte dann auch ein Mitglied des EDF-Verwaltungsrats seinen Rücktritt ein, weil sich der Schwerpunkt des Konzerns noch mehr in Richtung Kernkraft verschiebe, so seine Begründung.
Stets hinter das Projekt in Hinkley Point hat sich in der Vergangenheit die französische Regierung gestellt. Sie sieht darin ein Aushängeschild für französisches Atom-Know-How. Tatsächlich steckt die Atomindustrie des Landes in einem tiefgreifenden Umbau. So übernimmt EDF das Reaktorgeschäft des defizitären Atomkonzerns Areva, was kürzlich eine Kapitalerhöhung um vier Milliarden Euro nötig machte.
Kritik von Gewerkschaften und Greenpeace
EDF musste im vergangenen Jahr deutliche Gewinneinbussen hinnehmen und will bis 2018 fünf Prozent seiner Arbeitsplätze in Frankreich abbauen. Gewerkschaften hatten daraufhin gefordert, den teuren Neubau in England zu stoppen oder zu verschieben. Sie reichten bei einem Gericht Klage ein, das in dem Streit allerdings noch nicht entschieden hat.
Gegen das Engagement von EDF in England gibt es auch schwere Bedenken aus umweltschützerischer Sicht: «Diese Entscheidung führt das Unternehmen schnurstracks in den Bankrott und wird zu geringe Investitionen in die nukleare Sicherheit im französischen Kraftwerkspark nach sich ziehen», kritisierte etwa Greenpeace den Entscheid des EDF-Verwaltungsrats.
Neuartiger EPR-Reaktor
In Hinkley Point wird seit Jahren Atomenergie produziert: Zwei Reaktoren befinden sich derzeit im Betrieb, zwei weitere wurden schon im Jahr 2000 stillgelegt. Nun sollen also zwei weitere Reaktoren – und zwar vom neuartigen Typ EPR (Europäischer Druckwasserreaktor) – gebaut werden. Bislang ist weltweit noch kein EPR in Betrieb, doch befinden sich vier im Bau: einer in Frankreich, einer in Finnland und zwei in China. Allerdings treten dabei immer wieder Probleme auf.
SRF-Korrespondent Martin Alioth zur britischen Sicht:
«Ob die beiden neuen Atomreaktoren in Hinkley Point tatsächlich gebaut werden, ist keinesfalls klar. Die neue britische Regierung teilte nach dem EDF-Entscheid am Donnerstag mit, man werde sich das Projekt bis zum Frühherbst nochmals überlegen. Diese Haltung ist neu und sehr überraschend. Ein offenes Geheimnis ist dagegen, dass es bei der Beschaffung der Investitionsmittel auf französischer Seite Probleme gibt. In Grossbritannien wiederum stören sich Kritiker des Projekts an der Abhängigkeit von China in der Energiefrage und weniger am AKW selber oder dem anfallenden Atommüll. Zudem sorgt der Deal mit den Franzosen für Kritik: Diese übernehmen zwar die exorbitanten Investitionskosten, erhalten dann aber während 35 Jahren einen garantierten Preis für den produzierten Strom, der das Zweieinhalbfache des derzeitigen Strompreises in Grossbritannien beträgt. Treten beim Bau des AKWs also nicht grössere Probleme auf, wird das Projekt für EDF – und den französischen Staat – zu einem Bombengeschäft; auf Kosten der britischen Konsumenten.» |