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Die Absurdität italienischer Concorsi
Aus Rendez-vous vom 18.10.2017. Bild: ZVG
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Italienische «Concorsi» Staat prellt 150'000 Bewerber um ihren Job

Italien leistet sich öffentliche Bewerbungs-Verfahren, die Jahre dauern und Milliarden Euro verschlingen. Wer einen solchen Concorso gewinnt, hat aber deswegen noch lange keinen Job. Das Ganze hat aber durchaus auch sein Gutes.

«Mein Leben steht still.» Und das seit vier Jahren. Arbeitslos, trotz bester Voraussetzungen. Eine Geschichte, die in Italien für mehr als 150'000 Jobsuchende bitterer Teil ihres Schicksals ist.

Bei einer dieser Geschichten heisst die Betroffene Federica Ragno. Sie möchte ihr Bild aus verständlichen Gründen nicht in den Medien sehen.

Blick auf das abendlich beleuchtete Kolosseum in Rom.
Legende: In Italien ist nicht nur das Kulturerbe kolossal. Sondern bisweilen auch die Auswüchse der Bürokratie. Reuters

Die 38-Jährige ist Anwältin und hat ein aufwändiges Studium hinter sich. Trotzdem hat sie auch Jahre nach ihrem Studienabschluss noch immer keine feste Stelle: «Ich habe an diversen Bewerbungsverfahren der öffentlichen Verwaltung teilgenommen.»

Einen dieser Concorsi, also Wettbewerbe, habe ich sogar gewonnen.» Trotzdem wartet Frederica Ragno noch immer auf die versprochene Stelle.

Bei diesem Wettbewerb ist es um insgesamt 2000 Stellen in der Römer Stadtverwaltung gegangen. Keine Traumjobs, wie man meinen möchte. Trockene Büroarbeit zu einem bescheidenen Lohn – etwa 1500 Euro im Monat.

Trotzdem gingen im von Arbeitslosigkeit geplagten Italien über 300'000 Bewerbungen ein. Nach einer ersten Selektion blieben rund 30'000 Bewerber übrig. Ragno sagt stolz: «Auch ich zählte dazu! Wir mussten alle zu einem schriftlichen Test erscheinen.»

Für diesen Concorso mit 30'000 Kandidaten bereitete sich Ragno während Monaten vor. Die Stadt Rom ihrerseits mietete während mehreren Wochen Teile des riesigen Messegeländes. Die Kosten für solche Verfahren sind exorbitant.

5 Fakten zu den italienischen Concorsi

  • In Italien müssen alle Staatsstellen über sogenannte Concorsi (Wettbewerbe) ausgeschrieben werden. Das soll Vetternwirtschaft verhindern.
  • Diese Wettbewerbe sind aufwändig, dauern oft Jahre und kosten geschätzte 1,4 Milliarden Euro pro Jahr.
  • In ganz Italien wurden über 150'000 meist junge Leute in Concorsi ausgewählt aber nie angestellt.
  • Im Durchschnitt bereitet sich ein Kandidat während etwa 5 Monaten auf einen Concorso vor.
  • In Italien beträgt die Jugendarbeitslosigkeit (18- bis 25-Jährige) 35 Prozent – eine der höchsten Quoten der EU.

Endlich, im Frühjahr 2014, erfuhr Federica Ragno, dass sie zu den Auserwählten gehört: «Für mich war das fundamental!» Und trotzdem klappte es mit der Stelle nicht. Die Stadt Rom kann wegen Geldmangels nur die Hälfte der siegreichen Kandidaten tatsächlich auch anstellen. Ragno gehörte nicht dazu.

Familie gründen – Fehlanzeige!

Die Anwältin hat sich in der Zwischenzeit zwar nach Stellen in der Privatwirtschaft umgesehen, doch nie eine erhalten. Verhältnisse, die einem Lebensstillstand gleichkommen. «Immerhin habe ich im letzten Jahr geheiratet», fügt sie lächelnd an, «hätte ich die versprochene Stelle vor über drei Jahren tatsächlich bekommen, ich wäre wahrscheinlich längst Mutter.» Doch ohne feste Stelle bleibe der Nachwuchs für sie und ihren Partner ein Traum.

Der Concorso ist für mich der einzige Weg.
Autor: Federica RagnoAnwältin aus Rom

Eigentlich wäre zu erwarten, dass Federica Ragno das System der Concorsi ablehnt. Doch sie widerspricht: «Würde der Staat keine solchen Wettbewerbe durchführen, dann würden die Stellen völlig intransparent vergeben, vor allem aufgrund von Beziehungen.» Weil sie aber kein Vitamin B habe, sei der Concorso für sie der einzige Weg, eine Staatsstelle zu erhalten. Vor bald acht Jahren schrieb die Stadt Rom diese Jobs aus. Die Hoffnung hat Frederica Ragno trotzdem nicht verloren.

Der Gründer einer Hilfegruppe gibt Auskunft

Alessio Mercanti leitet eine Selbsthilfegruppe von Leuten, die einen Concorso gewonnen und trotzdem keine Stelle erhalten haben.
SRF News: Sind Sie für die Abschaffung dieser aufwändigen Wettbewerbe für Staatstellen?
Alessio Mercanti: Nein, denn es steht ja sogar in unserer Verfassung, dass Stellen der staatlichen Verwaltung über Concorsi zu besetzen sind. Würde man davon abrücken, man würde jeder Art von Infiltration Tür und Tor öffnen. Das heisst, es bestünde die Gefahr, dass Staatsstellen nicht an die Besten vergeben werden.
Dann haben diese Wettbewerbe also trotz aller Mängel auch ihre Vorteile?
Ja. Wer sich in einem solchen Wettbewerb gegen oftmals tausende Konkurrenten durchsetzt, ist in der Regel gut ausgebildet und fähig, eine Staatsstelle zu übernehmen.
Und trotzdem haben Sie und viele andere diese Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen. Warum?
Die Concorsi sind sehr bürokratisch. Sie müssten deutlich schneller entschieden werden. Und es müsste eine Garantie geben, dass der Staat allen Gewinnern auch wirklich eine Stelle bieten kann.
Warum werden dann viele der Sieger der Wettbewerbe gar nicht eingestellt?
Die lange Krise in Italien hat dazu geführt, dass der Staat auf fast allen Ebenen die Gelder gekürzt oder zumindest eingefroren hat. Die meisten Behörden sparten, indem sie einen Einstellungsstopp verfügten. Das heisst: gleiche Arbeit mit weniger Personal. Das hat das bestehende Personal enorm belastet und vielen Jungen den Eintritt ins Berufsleben verunmöglicht.
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