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International Kroatiens Ex-Präsident kämpft gegen Neofaschisten

Die braune Vergangenheit wird in Kroatien immer häufiger relativiert. Die Ustasa, die Verbündeten der Nazis, werden verharmlost, ihre Verbrechen unterschlagen. Stipe Mesić hat genug von der Geschichtsklitterung – mit 82 Jahren kandidiert er für die vorgezogenen Parlamentswahlen vom Sonntag.

Am Sonntag finden in Kroatien vorgezogene Parlamentswahlen statt. Nötig wurden diese, weil der parteilose Premierminister Tihomir Orešković nach Querelen in der Regierung mittels Misstrauensvotum abgesetzt worden war. Obwohl das Parlament erst im November 2015 gewählt wurde, müssen die Stimmbürger Kroatiens nun erneut an die Urne. Wahlsieger damals war das Parteibündnis «Patriotische Koalition» – es gab somit in Kroatien einen deutlichen Rechtsrutsch.

Der Senior will es noch einmal wissen

Einer, dem das gar nicht gefällt, ist Stipe Mesić. Er war das letzte Staatsoberhaupt des sozialistischen Jugoslawiens, bevor das Land zerfiel. Später war er ab dem Jahr 2000 war er zehn Jahre lang Präsident Kroatiens. Heute sagt er: «Ich fühle mich mit verantwortlich für den heutigen Zustand Kroatiens. Gerade weil ich vom Gemeinde- bis zum Staatspräsidenten alle Ämter bekleidet habe, kann ich nicht weiter abseits stehen».

Der Mann mit dem markanten Bürstenschnitt stammt aus einer Familie von Partisanen. Diese kämpften während des Zweiten Weltkriegs gegen die faschistischen Ustasa, die für Hitler und Mussolini in Kroatien einen Marionettenstaat errichtet hatten.

Mesić will nicht hinnehmen, dass sich jetzt in Kroatien eine Art Nostalgie breit macht, die diesen «Unabhängigen Staat Kroatien» (NDH) verklärt, «ein Gebilde, das weder unabhängig gewesen ist, noch ein wirklicher Staat, noch wirklich kroatisch.»

Katholische Kirche und Nationalisten vereint

Diese NDH-Nostalgie unterstützt der rechtsextreme Kulturminister Zlatko Hasanbegović. Er lobte einen Filmemacher, der in einem Dokumentarfilm die Gräuel im Ustasa-Konzentrationslager Jasenovać verharmloste und faktenwidrig behauptete in Jasenovać seien mehr Menschen von den Kommunisten umgebracht worden als von der faschistischen Ustasa.

Mesic, hier mit Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder
Legende: Nach der Jahrtausendwende war Mesic, hier mit Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, Kroatiens Präsident. Keystone

Mesić beobachtet, dass dieses Geschichtsbild immer mehr in den Alltag einsickert. Die nationalistische Propaganda führt dazu, dass normale Leute beginnen an historischen Fakten zu zweifeln. Und in Fussballstadien ist immer wieder «Za dom spremni» zu hören, das kroatische Pendant zu «Heil Hitler».

«Die grösste Schuld für diese Entwicklung trifft die katholische Kirche», sagt Mesić. Sie will beispielsweise den Kardinal heilig sprechen, der unter den Ustasa die Kirche in Kroatien führte. Treibende Kraft sind aber auch einflussreiche Kreise in der konservativ-nationalistischen HDZ-Partei, die im Moment regiert.

Staatliche geförderte Geschichtsklitterung

Mesić sagt, inzwischen sei auch das Schulwesen zu einem grossen Teil mit dieser Geschichtsklitterung infiziert: «Zum Beispiel ist im Geschichtsbuch meiner Enkelin der Chef der Ustasa abgebildet und in der Bildlegende steht nur Dr. Ante Pavelić, Führer des Unabhängigen Staates Kroatien – nichts weiter», erzählt er.

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Kroatiens Ex-Präsident kämpft gegen Neofaschismus
aus Rendez-vous vom 09.09.2016. Bild: Reuters
abspielen. Laufzeit 5 Minuten.

Kein Hinweis auf Pavelićs Gräueltaten. Ein paar Seiten weiter im gleichen Geschichtsbuch stehe ein Bild des jugoslawischen Staats- und Parteichefs Tito und in der Bildlegende der Hinweis, dass unter ihm zahllose Verbrechen begangen worden seien. So werde systematisch manipuliert, findet Mesić.

Unabhängigkeit und Faschismus-Nostalgie

Angefangen habe die Verklärung der Ustasa-Geschichte schon in den 1990er -Jahren, als der Unabhängigkeitskrieg den kroatischen Nationalismus befeuerte. Inzwischen sei die Entwicklung aber ausser Kontrolle geraten und müsse entschlossen bekämpft werden.

Und zwar nicht einfach, indem man dem Argument der politischen Mitte folge und sage, ‹wir haben genug von diesem ewigen Streit zwischen Partisanen und Ustasa – wenden wir uns der Zukunft zu›. «Das tönt zwar einleuchtend, aber es ist ein Irrtum», sagt Mesić. Erst wenn man sich über die historischen Tatsachen einig sei, könne man aufhören, über Partisanen und Ustasa zu reden.

Auch Linke spielen die nationalistische Karte

Mesić tritt für die Wahl am Wochenende als unabhängiger Kandidat auf der Liste einer breiten Links-Mitte-Koalition an. Aber auch dieses Lager ist nicht immun gegen die rechtsnationalistischen Tendenzen in der kroatischen Gesellschaft.

Der sozialdemokratische Spitzenkandidat Zoran Milanović erinnerte sich im Wahlkampf plötzlich daran, dass sein Grossvater Ustasa war und er biederte sich auch sonst mit nationalistischen Tönen bei rechten Wählern an.

«Natürlich ist es einfacher, auf die nationalistische Karte zu setzen, als neue Arbeitsplätze zu schaffen», sagt Mesić. So täten dies auch einige linke Politiker und dächten dabei: Wenn sie sich ein bisschen rechts gäben, könnten sie die Ustasa-Nostalgie bremsen. Aber das werde nicht funktionieren.

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