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Deutsche Lebensmittel-Tafeln stark gefordert
Aus Echo der Zeit vom 21.09.2022. Bild: SRF/Simone Fatzer
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Lebensmittelhilfe in Essen Kaum noch Brot für die Kunden der Tafel

In Deutschland wird in vielen Haushalten das Geld knapp. Das sieht man auch an den langen Schlangen vor den Tafeln.

Ganze zwei Stunden steht die Tafel noch offen, und schon kullern die allerletzten Brötchen in die Kiste. «Wir hatten heute wenig Brot. Ich konnte sie nur abgezählt abgeben. Für eine grosse Familie etwas mehr, aber für einzelne Personen weniger», sagt eine ehrenamtliche Mitarbeiterin. «Im Moment geben uns die Firmen nicht mehr so viel.»

Jörg Sartor, der Chef der gemeinnützigen Organisation «Tafel» in Essen im Ruhrgebiet, sagt dazu: «Es gibt Bäckereien, die nachmittags geschlossen haben, weil sie kein Personal haben. Das ist ein grosses Problem.»

Jörg Sartor vor einem Lieferwagen der Tafeln
Legende: Jörg Sartor ist ein ehemaliger Bergmann. Heute leitet er die Tafel in Essen. Er sorgt sich besonders um die «deutsche Omi», wie er sagt. SRF/Simone Fatzer

Früher Schluss, weniger Ware, weniger für die Tafel: So schrumpft das Angebot der Lebensmittelretter. Aber gleichzeitig wächst laut Sartor die Nachfrage. «Die letzten zwei, drei Wochen merke ich immer mehr, dass Leute anrufen und sagen: ‹Ich lebe jetzt schon so lange von Hartz IV oder von Grundsicherung oder weiss der Teufel wovon. Und ich habe die Tafel noch nicht in Anspruch genommen. Aber jetzt wird es langsam eng›.»

Der Zulauf lässt sich an der Schlange ablesen, die sich jeweils am Mittwoch bildet. Dann gibt die Tafel die Berechtigungskarten heraus. «Am ersten Mittwoch im Juni hatten wir 84 Plätze frei. Die waren sofort vergeben, sodass wir den ganzen Juni keine Aufnahme machen konnten. Es waren durchwegs Ukrainer.» Am 1. Juli habe er wieder aufgemacht.

Aufnahmestopp in mehreren Städten

«118 Plätze, davon 114 an Ukrainer. Das hat natürlich auch zu Unmut geführt, weil die älteren Menschen, die auch kamen, nicht fünf Stunden stehen konnten.» Sie seien nach Hause gegangen. Da stelle sich die Frage: «Ist das gerecht? Sind wir jetzt die ukrainische Flüchtlingshilfe oder sind wir die Tafel Essen?» Schon während der Flüchtlingskrise hatte er vorübergehend keine Ausländer mehr aufgenommen – mit Applaus von rechts. Nun gilt ein Aufnahmestopp hier und in anderen Städten.

Sartor hält auch nichts vom staatlichen Geld für die Tafel, trotz der steigenden Energiekosten. Gut, dass die Solidarität wächst. «Schon zu Coronazeiten ist das Spendenaufkommen mehr geworden – die Rede ist nicht von riesigen Beträgen, sondern von der Frau, die eine Tüte Lebensmittel vorbeibringt. Das ist zwar ein Fliegenschiss, ein Tropfen im Gardasee, aber trotzdem», sagt er. «Wenn Corona eins gebracht hat, dann dass die Solidarität unter den Menschen grösser geworden ist.»

Es bekommt ja niemand mehr Geld, sondern du musst ja mit dem, was du bekommst, auskommen.
Autor: Rita Nebel freiwillige Helferin, Tafel Essen

Am Eingang notiert Rita Nebel wer kommt und kassiert 1.50 Euro pro Erwachsenen. Sie ärgerte sich, als die Regierung in ihren Entlastungspaketen die Rentnerinnen und Rentner vergass und das erst im dritten Anlauf korrigierte. Die Preisexplosion beschäftige die ganze Gesellschaft. «Es bekommt ja niemand mehr Geld, sondern du musst ja mit dem, was du bekommst, auskommen.»

Frauengruppe in einem gekachelten Raum
Legende: Rita Nebel (vorne) und ihre ehrenamtlich tätigen Kolleginnen von der Tafel in Essen. SRF/Simone Fatzer

Doch am Ende laufe es immer gleich: «Das ist eine Mentalität der Deutschen. Wir meckern und dann nehmen wir es hin. Ja, wir nehmen es einfach hin. Es ist so, wie es ist – und fertig.» Das SPD-Mitglied aus Essen zuckt mit den Schultern. «Ich habe es selber auch noch nicht verinnerlicht, dass ich eventuell ab Oktober mehr bezahlen muss für dies und das.» Es liegt also in der Luft, es wird noch «dicke kommen».

Das sagt auch Sartor. «Ich habe immer gesagt, das schlägt noch nicht durch. Aber der Herbst kommt, und wenn die Energieabrechnungen kommen, und die kommen in der Regel ja im Herbst, dann brennt der Baum.» Noch mehr Anfragen, noch mehr Leute abweisen. Für die Menschen bei der Tafel heisst das: Bloss nicht den Mut verlieren.

Echo der Zeit, 21.09.2022, 18:00 Uhr

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