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International «Lügenpresse» muss auch «Wutbürger» ernst nehmen

Ausländerfeindliche Demonstrationen, Brandanschläge gegen Flüchtlingsheime, und immer wieder der Vorwurf der «Lügenpresse». Der Dresdner Reporter Ulrich Wolf befasst sich seit Jahren intensiv mit sogenannten «Wutbürgern»: Er will das Phänomen verstehen, statt es zu schubladisieren.

SRF News: Ulrich Wolf, woher kommt dieser Vorwurf der «Lügenpresse»? Wird da tatsächlich falsch berichtet, werden Sachen von den Medien unter dem Deckel gehalten?

Zur Person

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Legende: Ulrich Wolf / Twitter

Der Reporter Ulrich Wolf beschäftigt sich intensiv mit dem Phänomen des «Wutbürgers» in Ostdeutschland. Er geht an Demonstrationen, spricht mit Teilnehmern und macht Hausbesuche bei wütenden Leserbriefschreibern. SRF-Redaktor Klaus Bonanomi hat mit ihm European Newspaper Congress in Wien gesprochen.

Ulrich Wolf: Der Vorwurf der «Lügenpresse» trifft sicher nicht zu. Eine Lüge ist ja eine vorsätzliche Handlung. Aber natürlich machen wir Medien auch Fehler, und diese Fehler werden dank sozialer Netzwerke öfter als früher aufgedeckt, und daraus wird dann ein Lügenvorwurf gestrickt. Oder wir erkennen die Tragweite eines Ereignisses nicht auf den ersten Blick, Stichwort Köln, wobei dort auch die Polizeimeldungen zuerst sehr harmlos klangen. Und dann gibt es Gerüchte, die durch die sozialen Medien geistern, wie diese angebliche Vergewaltigung eines 13-jährigen Mädchens. Wenn wir dann versuchen, die Geschichte hinter dem Gerücht aufzuzeigen, dann wird in den sozialen Netzwerken wieder geschrieben, wir würden verharmlosen.

Eine Kritik an die Adresse der Medien lautet auch, dass sie zu stark aus der Sicht der Eliten berichtet. Wie berechtigt ist diese Kritik?

Ja, da müssen wir uns in der Tat den Vorwurf gefallen lassen, dass die Realität eines scheinselbständigen Paketauslieferers oder einer Rentnerin, die mit 800 Euro im Monat auskommen muss, sich kaum in den Medien wiederfindet. Vielleicht haben wir zu lange von oben herab geschrieben. Viele Kollegen gerade in Ostdeutschland sind nun aber aufgewacht und hinterfragen ihre bisherige Arbeit. Insofern hat die ganze Entwicklung auch ihr Gutes gehabt.

Ein grosser Teil der Pegida-Demonstranten sind gewöhnliche, besorgte Bürger.

Dieser Paketauslieferer oder die Rentnerin, die können sich ja gar kein Zeitungsabonnement leisten!

Korrespondenten im Live-Chat

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Am Korrespondententag am 9. Juni in Zürich beantworten die Radio-Korrespondenten jeweils eine Stunde Fragen der Hörerinnen und Hörer im Livechat auf srf1.ch. Was wollten Sie schon immer von einem der Korrespondenten wissen? Stellen Sie Ihre Frage im Live-Chat.

Ja, genau, deshalb gehen sie online und informieren sich in den sozialen Netzwerken. Und da stossen sie dann auf die Angebote, die sie in ihrer Meinung bestärken. Da kommt dann viel zusammen; Pegida hat mehr «Likes» als CDU und SPD insgesamt und mehr als wir Abonnenten haben! Und genauso wie viele Leute sich heute mangelhaft ernähren, wenn sie nur Fast Food zu sich nehmen, so hat sich auch ein ungesunder Medienkonsum entwickelt: Alles muss billig sein und schnell gehen, Qualität spielt keine grosse Rolle mehr. Die grosse Gefahr sehe ich darin, dass der Grossteil unserer Abonnenten über 60-jährig sind und dass die jüngeren, die wir auch als Abonnenten gewinnen möchten, keine Zeitung mehr lesen. Wie wir die erreichen können, dieses Rätsels Lösung kenne ich auch nicht.

Sie tun vieles, Sie sprechen auf Pegida-Demos mit Teilnehmern, Sie machen Hausbesuche bei unzufriedenen Leserbriefschreibern. Was bringt das?

Viele Leserbriefe sind eigentlich Hilferufe: Wer kümmert sich denn um die Sorgen, die ich habe? Viele der Menschen, die montags in Dresden demonstrieren, die wollen einfach gehört werden. Ein grosser Teil der Pegida-Demonstranten sind gewöhnliche, besorgte Bürger. Andere wiederum sind wirklich nationalsozialistisch gesinnt, an die kommen wir nicht heran. Wenn zum Beispiel vor einem Flüchtlingsheim demonstriert wird: Da ist oftmals die NPD dabei, da wird wirklich massiv gehetzt, und da kann es schon mal handgreiflich werden. Aber wenn wir in Sachsen unterwegs sind und Leserbriefschreiber besuchen, dann hören wir oft: Echt, da kommt jemand aus der Landeshauptstadt Dresden zu uns! Da wird Kuchen aufgetischt und das feine Meissner Porzellan aus dem Schrank geholt. Da kann man zusammen reden, das ist schon sehr wichtig, ja.

Das Gespräch führte Klaus Bonanomi.

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