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International «Mit der Geiselnahme demonstrieren die Aktivisten Stärke»

Pro-russische Aktivisten halten in der Ukraine weiter internationale OSZE-Militärbeobachter in ihrer Gewalt. Die Lage ist angespannt. SRF-Korrespondent Peter Gysling rechnet mit einer stärkeren Destabilisierung der Lage in den nächsten Tagen.

Die OSZE ist gewissermassen das friedliche Gegenstück zur Nato: Die Aufgaben der Organisation sind Friedenssicherung und Wiederaufbau. Nun werden seit letztem Freitag OSZE-Beobachter im ukrainischen Slawjansk festgehalten.

SRF News Online: Peter Gysling, wer sind die entführten OSZE-Beobachter. Was haben sie in dieser Region gemacht?

Peter Gysling

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Peter Gysling arbeitet seit 1980 als Journalist für SRF. Während des Mauerfalls war er Korrespondent in Deutschland. Von 1990 bis 2004 und erneut seit 2008 ist er Korrespondent in Moskau.

Peter Gysling: In der Ukraine sind verschiedene Missionen der OSZE aktiv, darunter Wahlbeobachter und Regierungsberater. Die grösste und von allen 57 OSZE-Staaten – inklusive Russland – mitgetragene Operation ist jene unter der Leitung der Schweiz. Das sind hauptsächlich Diplomaten. Diese wurden bis jetzt von den pro-russischen Aktivisten respektiert. Bei den in Slawjansk festgehaltenen OSZE-Beobachtern handelt es sich um unbewaffnete OSZE-Militärbeobachter. Diese sind auf Einladung der ukrainischen Regierung seit längerem im Land unterwegs. Ich persönlich denke, dass sich die pro-russischen Aktivisten schwer damit tun, auch diese Gruppe als Teil der gesamten OSZE-Mission zu verstehen.

Weshalb?

Weil es sich bei den in Slawjansk Festgenommen allesamt um Offiziere aus Nato-Ländern handelt. Viele pro-russische Aktivisten haben den Eindruck, dass der Twist zwischen der Ost- und Westukraine von den USA oder der Nato gesteuert wird. Die pro-russischen Aktivisten werfen den verschleppten Beobachtern vor, Spione der Nato zu sein.

Wer führt diese pro-russischen Aktivisten an?

Verschiedene Anführer verteilen sich auf verschiedene ostukrainische Ortschaften. Diese Anführer sind untereinander sicherlich vernetzt und auch gut organisiert. In Slawjansk gibt es einen wichtigen Wortführer – Wjatscheslaw Ponomarjow. Er hat viel mediale Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Als die Aktivisten in Slawjansk die Geheimdienstzentrale stürmten, hat sich Ponomarjow zum neuen Bürgermeister der Stadt erklärt. Viele Bewohner von Slawjansk gehen davon aus, das Ponomarjow gar nicht aus Slawjansk stammt. Der 69-Jährige hat offenbar mehrere Jahre in der sowjetischen Armee gedient, zuletzt – so heisst es – habe er irgendwo als Seifenproduzent gearbeitet.

Was wollen die Aktivisten mit der Festnahme erreichen?

Die  OSZE-Beobachter an der Pressekonferenz
Legende: Die pro-russischen Aktivisten haben die seit Freitag festgehaltenen OSZE-Beobachter gestern der Presse vorgeführt. Reuters/archiv

Mit der Geiselnahme demonstrieren die Aktivisten gewissermassen ihre eigene Stärke. Gleichzeitig weisen sie auf die Schwäche der aus Kiew befehligten ukrainischen Sicherheitsbehörden. Mit der Geiselnahme aber wollen die Aktivisten von Slawiansk jetzt insbesondere einen Gefangenenaustausch erreichen. Sie wollen mit den OSZE-Militärbeobachtern pro-russische Aktivisten freipressen, die derzeit in Kiew in Untersuchungshaft sitzen.

Was ist die Rolle Russlands in dieser ganzen Entführungsgeschichte?

Darüber kann man nur mutmassen. Ich denke nicht, dass Russland direkt etwas mit der Festnahme zu tun hat. Aber es gibt sicherlich regelmässige Kontakte und auch Absprachen zwischen den Aktivisten in der Ostukraine und dem russischen Auslandsgeheimdienst GRU und Kommandostellen des russischen Inlandgeheimdienstes FSB. Russlands Präsident Putin hätte meiner persönlichen Einschätzung nach wohl die Möglichkeit, auf die Geiselnehmer in Slawjansk Einfluss zu nehmen. Andrerseits ist aber zu befürchten, dass die radikalen Aktivisten in Slawjansk eine immer unkontrollierbarere Eigendynamik entwickeln.

Muss man mit einer Eskalation der Lage rechnen?

Ich denke, in den nächsten paar Tagen wird sich die Situation eher noch verschärfen. Vor allem Russland dürfte daran interessiert sein, dass die geplanten ukrainischen Präsidentschaftswahlen am 25. Mai nicht so wie vorgesehen stattfinden können. Denn nach heutiger Einschätzung steht fest, dass bei diesem Urnengang keiner der pro-russischen Politiker siegen würde.

Die Aktivisten in der Ostukraine wollen jetzt vor allem ein Referendum durchsetzten. Mit diesem Referendum soll sich ein Teil der Ostukraine als staatlich unabhängig erklären oder mehr regionale Autonomierechte innerhalb des ukrainischen Staates durchgesetzt werden. Noch aber steht nicht fest, ob, wie und zu welchen konkreten Fragestellungen in der Ostukraine tatsächlich eine solche Volksabstimmung durchgeführt werden wird.

Das Interview führte Sharon de Wolf

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