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Polen setzt auf Konfrontation Der Stachel im Fleisch der EU

Warschau hält seine Aussenpolitik für weitsichtig, in Brüssel hält man sie für verrückt. Beides ist gefährlich.

Ryszard Czarnecki ist im Vorstand der polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit, und er ist Vizepräsident des EU-Parlamentes, wo seine Partei im Ruf steht, den Rechtsstaat zu zerstören und die EU zu verachten.

Czarneckzi im EU-Parlament.
Legende: Debatte zum Rechtsstaat in Polen: Im Sommer verteidigte Czarnecki seine Heimat im EU-Parlament. Imago

Doch das perlt an ihm ab. International, sagt er, ist Polen derzeit stark positioniert: «Wir haben die Beziehung zu den USA stark verbessert, Trumps erster bilateraler Besuch führte nach Polen. Und auch mit Deutschland verstehen wir uns gut, denn Frau Merkel ist pragmatisch und weiss, dass es ohne Polen keinen Weg in eine positive Zukunft für Europa gibt.»

Dass seine Partei Reparationen fordert für die Schäden, die Deutschland den Polen im Zweiten Weltkrieg zufügte, ändere daran nichts. Czarnecki denkt bereits an eine Intervention im EU-Parlament, um Deutschland unter Druck zu setzen, falls keine bilaterale Lösung zustande kommt.

Nur: Was heisst «eine Lösung» – muss Berlin zahlen? «Ja, klar», antwortet Czarnecki. Wenn Deutschland sich nach 110 Jahren mit der ehemaligen Kolonie Namibia auf Reparationsverhandlungen einlasse, dann dürfe auch Polen Wohlwollen erwarten.

Auch für Vizekulturminister Jaroslaw Sellin sind Reparationen moralisch gerechtfertigt. Denn Polen sei beim Marshallplan leer ausgegangen. Doch er hält sich mit konkreten Anforderungen zurück: «Die Debatte erinnert die Welt daran, wer den Zweiten Weltkrieg anfing und wer die meisten Opfer verzeichnete und auch materiell am meisten verlor, und das war Polen.»

Ihm geht es darum, die Geschichte ins rechte Licht zu rücken und Gegensteuer zu geben, etwa gegen die in Deutschland verbreitete Behauptung, dass deutsche Steuerzahler mit ihren EU-Beiträgen Polen massiv unterstützten.

Polens neuen aussenpolitischen Kurs beschreibt der Vizekulturminister so: «Es ist eine harte, nicht ganz konfliktfreie, aber eines unabhängigen Landes würdige Politik.» Das Ziel sei stets, die Stimme Polens zu stärken: «Als grosser, gewichtiger Staat wollen wir, dass man auf uns hört in der EU und der Nato», sagt Sellin.

Die Regierung trifft einen Nerv beim eigenen Volk

Regierungsmitglieder halten den eingeschlagenen Kurs für erfolgreich. Doch Malgorzata Bonikowska vom Warschauer Zentrum für internationale Beziehungen warnt: «Sie selber nehmen sich als stark wahr. Aber die harte Aussenpolitik hat dazu geführt, dass ihre Partner in der EU sie für verrückt halten.»

Doch damit machen es sich wiederum die westlichen Politiker zu einfach, findet die Politologin. Denn innenpolitisch trifft die Regierung einen Nerv. Viele Polinnen und Polen sehnen sich nach so etwas wie historischer Gerechtigkeit.

Viele denken, im Vergleich zu Deutschland gehe es ihnen zu schlecht, und die Vorgängerregierung habe Polen innerhalb der EU unter Wert verkauft. Darum sollten westliche Politiker sich bemühen, diese Regierung zu verstehen: «Westliche Politiker müssen zwar nicht gutheissen, aber nachvollziehen, warum diese Regierung den Rechtsstaat verletzt und sich sogar über Verfügungen des Europäischen Gerichtshofes hinwegsetzt.»

Die Lehren aus der Geschichte

Die Polen hätten Jahrhunderte unter fremder Herrschaft und unter fremden Gesetzen gelegt, sagt Bonikowska: «Das hat die Mentalität geprägt. Darum fragen sie sich heute auch bei EU-Regeln, ob die sinnvoll sind. Und wenn nicht, tun wir, was wir wollen.»

Die Regierung fühlt sich stark, und sie hat Rückhalt in der Bevölkerung. Bonikowska befürchtet darum eine weitere Isolation Polens in der EU, wenn die EU-Partner keinen Draht finden zur polnischen Führung.

Nato-Gipfel 2016 in Warschau
Legende: Polen (im Bild der Nato-Gipfel 2016 in Warschau) bleibt eine wichtige Stütze der westlichen Sicherheitsarchitektur. Reuters

Bonikowska mahnt: «Wir müssen mit denen reden. Denn früher wurden sie von ihren Gegnern als die dummen Konservativen von vorgestern ignoriert. Sie aber waren damals landauf, landab unterwegs und haben mit der Bevölkerung gesprochen.»

Kurz: Wer Polen jetzt fallen lässt, der treibt es noch weiter in die Isolation. Mit unabsehbaren Folgen.

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