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Putins Gegenkandidatin Xenia Sobtschaks (Pseudo-)Wahlkampf

In einem Provinzhotel erklärt die 36-jährige Berühmtheit, wofür sie steht. Dass sie gewählt wird, glaubt sie nicht.

«Sobtschak gegen alle!», ruft die Menge. «Sobtschak gegen alle!» Das ist ihr Wahlkampfslogan. Xenia Sobtschak, diese junge Frau, gegen das System. Gegen Langzeitpräsident Wladimir Putin, gegen die alten Männer, die Russland seit bald zwei Jahrzehnten regieren. Und da kommt sie, Xenia Sobtschak.

Sie besucht ihr Wahlkampfbüro in Twer, einer Provinzstadt 180 Kilometer nordwestlich von Moskau. «Danke, dass Ihr da seid, danke, dass Ihr mich unterstützt», sagt Sobtschak. Die 36-Jährige ist ein frisches Gesicht in der russischen Politik; die meisten Russen aber kennen sie schon. Berühmt geworden ist sie als Moderatorin einer Reality-Show im Fernsehen, sie war Chefredaktorin einer Modezeitschrift – und sie hat als Fotomodell posiert.

Im russischen Unterhaltungsbusiness gehört Sobtschak zu den ganz Grossen. Sie ist ein Star, sie kommt aus der privilegierten Oberschicht. Jetzt steht sie mit ein paar Dutzend Anhängern in ihrem engen Wahlkampfbüro. Und prompt fragt einer, ob sie wisse, wie viel ein Busbillett in Twer koste. Alle lachen, denn es ist klar, dass Sobtschak nicht Bus fährt. Sie bewegt sich selbst durchs Provinzstädtchen Twer in einer weissen Mercedes-Limousine.

Sobtschak stellt sich gegen Putin

Dieser Reichtum wird ihr gerne zum Vorwurf gemacht. Sobtschak nimmt die Frage dennoch mit Humor – wird dann aber ernst: «Das Ziel kann nicht sein, die Reichen arm zu machen. Wir müssen in Russland Voraussetzungen schaffen, damit auch die Armen eine Chance auf ein anständiges Leben haben.»

Dafür müsse man die herrschende Staatsmacht jetzt absetzen: «Es braucht politische Konkurrenz. Unsere Politiker sollen um die Macht und um das Vertrauen der Wähler kämpfen müssen. Nur so wird es Veränderungen geben.»

Unsere Politiker sollen um die Macht kämpfen müssen – und um das Vertrauen der Wähler.
Autor: Xenia Sobtschak Präsidentschaftskandidatin

Sobtschak stellt sich also gegen Putin. Und damit nicht nur gegen den Mann, der die russische Politik seit 17 Jahren dominiert, sondern auch gegen einen Freund ihrer eigenen Familie. Sobtschaks Vater war in den Neunzigern Bürgermeister von St. Petersburg, und Putin war damals sein Stellvertreter. Putin, Premierminister Medwedew – viele heute mächtige Männer gingen damals bei Sobtschaks ein und aus. Xenia kennt sie von Kindesbeinen an.

Ist Sobtschak nur eine Stimmenfängerin?

Wegen dieser engen, persönlichen Verflechtung mit der Machtelite nehmen ihr viele ihre oppositionelle Haltung auch nicht ab. «Wissen sie», sagt ein junger Mann in Twer, «manche halten sie für ein geheimes Projekt des Kremls». Also für eine Pseudo-Oppositionskandidatin, die nur dazu da ist, der echten Opposition Stimmen wegzunehmen. Klar, dass Sobtschak diesen Vorwurf zurückweist.

Später, auf dem Weg zum weissen Mercedes, erklärt sie im Interview: «Ja, ich kenne Putin persönlich, das stimmt. Deswegen habe ich eher Einfluss auf die Situation im Land. Deswegen gibt es Hoffnung, dass meine Stimme gehört wird.»

Kritik an der russischen Aussenpolitik

Tatsächlich hat Sobtschak Möglichkeiten, die anderen kritischen Politikern seit Jahren verwehrt sind: Sie durfte mehrfach in Talkshows des staatlichen Fernsehens auftreten. Das ist ein Hinweis darauf, dass es ganz oben im Staat Leute gibt, die sie unterstützen. Andererseits: In ihren politischen Äusserungen macht Sobtschak nicht den Eindruck einer Pseudo-Oppositionellen.

«Das Leben in Russland wird für die meisten Menschen härter und härter», sagt Sobtschak zum Beispiel, und sie kennt auch den Grund dafür: «Das ist der Preis, den wir für unsere Aussenpolitik bezahlen. Unsere Staatsführung hat es geschafft, sich mit praktisch allen Nachbarn und Partnern zu zerstreiten.»

Unsere Staatsführung hat es geschafft, sich mit praktisch allen Nachbarn und Partnern zu zerstreiten.
Autor: Xenia Sobtschak Präsidentschaftskandidatin

Sobtschak scheut sich auch nicht, die ganz heissen Eisen anzufassen. Die Halbinsel Krim, sagt sie, gehöre völkerrechtlich zur Ukraine. Eine Haltung, die in Russland fast schon als Landesverrat gilt. Zudem ist Sobtschak für eine Abschaffung eines Paragraphen, der Homosexuelle diskriminiert.

Politisch ist Sobtschak mit solchen Positionen weit weg vom Mainstream. Russland ist sehr konservativ geworden in den letzten Jahren, und die aggressive Aussenpolitik hat Präsident Putin beliebt gemacht. Allerdings sind kritische Stimmen im Land systematisch unterdrückt worden.

Auch Xenia Sobtschak hat mit Behinderungen zu kämpfen. Ihr Treffen mit Wählern findet am Stadtrand von Twer statt. Nur hier hat sich ein Hotelier bereit erklärt, einen Saal zu Verfügung zu stellen. Alle anderen Hotels und Kongresszentren haben abgesagt, als sie hörten, wer da auftreten möchte. Soweit ist es in Russland: Geschäftsleute haben Angst, Oppositionellen einen Saal zu vermieten.

Die Geschichte vom Frosch in der Milch

Sobtschak macht sich denn auch keine Illusionen, was die kommende Wahl angeht: «Ich werde nicht Präsidentin. Wir haben keine fairen Wahlen in Russland. Und alle wissen, dass Putin gewinnen wird. Dennoch müssen wir teilnehmen, um zu zeigen, dass wir nicht einverstanden sind mit einem solchen System.»

Dann erzählt Sobtschak noch die Geschichte vom Frosch, der in eine Milchkanne gefallen ist und nicht mehr herauskommt. Er paddelt so lange mit den Beinen, bis aus der Milch Butter wird. Plötzlich hat er Halt unter seinen Füsschen und springt in die Freiheit.

Was für ein Sinnbild: Wer in Russland etwas verändern will, braucht tatsächlich einen langen Atem.

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