Vor dem Eingang des Supermarkts Perekriostok, im Moskauer Arbeiterviertel Krasnopresnenskaja, steht Sveta Zoanegina. Die Linguistin ist empört. Dass der Staat Lebensmittel vernichten will, versteht sie nicht. «Man darf doch keine Esswaren vernichten, wenn es so viele Leute gibt, die auf Lebensmittel angewiesen wären. Man könnte die Lebensmittel doch Kinderheimen geben, oder Bedürftigen im Donbass oder auf der Krim.»
Doch es gibt kaum Zweifel. Die russischen Grenzbehörden und inländischen Kontrolleure wurden angewiesen, von heute an kompromisslos mit solchen Vernichtungsaktionen zu beginnen. Jenen, die entgegen dem Erlass aus dem Kreml nach wie vor über gewisse Kanäle etwa Fleisch, Wurstwaren oder Früchte aus Polen oder Italien importieren, müsse jetzt das Handwerk gelegt werden.
Zuallererst leidet die eigene Bevölkerung
Das jetzt verlängerte Importembargo für Lebensmittel aus dem EU-Raum sowie aus Norwegen, Kanada, Australien und den USA ist seit gut einem Jahr in Kraft. Es hat dazu geführt, dass das Angebot deutlich kleiner wurde und dass gleichzeitig die Preise in den Lebensmittelgeschäften stark angestiegen sind. In den letzten paar Monaten um 17 Prozent. Auch, im Perekriostok-Laden. «Alles ist teurer geworden», meint eine Frau, die sich mit ihrer Wahl am Gemüsestand schwer tut.
Viele Kundinnen klagen, dass sich die Qualität der Milchprodukte massiv verschlechtert habe. Die in Russland besonders beliebte Frischmilch aus Finnland fehlt, und Russland selbst ist nicht in der Lage, ausreichend gute Milch für den Eigenbedarf zu produzieren.
Sveta Zaonegina stört sich vor allem daran, dass russische Milchverarbeiter damit begonnen haben, der Rohmilch und gewissen Milchprodukten pflanzliche Fette beizumischen: «Die Fabriken vermengen die Milch mit Palmöl, um so deren Fettgehalt zu erhöhen. Dann produzieren sie Käse, der kaum geniessbar und andrerseits so teuer ist wie seinerzeit der Käse aus Frankreich oder der nicht verbotene Käse aus der Schweiz.»
Selbstversorgungskrise des stolzen Russlands
Radieschen aus Israel, Knoblauch aus China, Kartoffeln aus Ägypten – die russischen Gegensanktionen haben letztlich nur noch deutlicher gemacht, wie sehr Russland auch im Lebensmittelbereich auf Importe angewiesen ist. Und – wegen mangelnder Modernisierung – nicht in der Lage ist, die Versorgung der Bevölkerung mit eigenen Produkten sicherzustellen.
Überhaupt, meint eine Kundin, die eben ein Netz Kartoffeln in ihren Einkaufswagen legt: «Kartoffeln aus Ägypten...Es ist verständlich, dass es keine russischen Bananen gibt, dass wir aber einfache Kartoffeln aus Ägypten importieren, ist letztlich eine Schande.»
Empörung über Befehl zur Zerstörung von Lebensmitteln
Auf der Kampagnenplattform change.org riefen allein am Mittwoch mehr als 200'000 Unterzeichner dazu auf, die Lebensmittel besser an Bedürftige zu verteilen. «Warum sollten wir Nahrungsmittel zerstören, die an Kriegsveteranen, Rentner, Behinderte, Grossfamilien oder Opfer von Naturkatastrophen verteilt werden können?» Auch der Vorsitzende der Kommunistischen Partei, Gennadi Sjuganow, sprach von einer «extremen Massnahme». Er schlug vor, die Nahrungsmittel der Orthodoxen Kirche zu geben, sie an Kinder- und Waisenheime zu verteilen. Auch «unsere Freunde in Donezk und Lugansk» in den von Russland besetzten Regionen in der Ostukraine könnten die Lebensmittel brauchen. Der Fernsehmoderator Wladimir Solowjow, normalerweise ein Freund der Regierung, schrieb auf Twitter, er könne nicht verstehen, dass ein Land, «das durch den grausamen Hunger während des Krieges und die schrecklichen Jahre nach der Revolution ging», Lebensmittel zerstören könne. (sda) |