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Raumplanung auf Chinesisch «Pekings Stadtverwaltung brauchte einen Anlass, um aufzuräumen»

Nach einem Brand werden prekäre Behausungen geräumt. Ein willkommener Vorwand, sagt ARD-Korrespondent Steffen Wurzel.

19 Menschenleben hat ein Brand in einer überfüllten Unterkunft in Peking vor rund einer Woche gefordert. Das Feuer war in einem Wohnhaus ausgebrochen, in dem vor allem Wanderarbeiter mit ihren Familien leben. Nun lassen die Behörden Hunderte angeblich brandgefährdeter Unterkünfte räumen. Peking stellt damit tausende Arbeiter auf die Strasse.

SRF News: Wie muss man sich die jetzt geräumten Unterkünfte vorstellen?

Steffen Wurzel: Es sind Sammelunterkünfte, ein Art Studentenwohnheime. Darunter grosse Gebäude, die zum Teil nur provisorisch errichtet wurden. Jetzt sagt die Pekinger Stadtverwaltung, sie seien nicht sicher.

Wie viele Menschen sind betroffen?

Das ist schwer zu sagen, weil alles in einem rechtlichen Graubereich abläuft. Die Betroffenen sind zu einem grossen Teil nicht offiziell registriert und tauchen in keinen Statistiken auf. Beobachter gehen von mindestens mehreren tausend Menschen aus, die allein im Süden von Peking betroffen sind. Andere sprechen von mehreren zehntausend Menschen, die seit Mitte November die Unterkünfte mit Familien mit Sack und Pack verlassen mussten.

Was geschieht mit all diesen Wanderarbeitern?

Das kommt drauf an. Ich nenne sie lieber Binnenmigranten oder Binnengastarbeiter aus anderen Provinzen. Es sind Menschen, die zum Teil schon seit Jahrzehnten im Süden von Peking oder anderen Teilen der Grossstadt leben. Sie kehren nun zum Teil und falls möglich in ihre Heimatregionen zurück oder versuchen, innerhalb von Peking etwas Neues zu finden. Ganz viele andere sitzen noch auf den Strassen und Plätzen Pekings und wissen noch nicht, wie es weitergeht – bei Temperaturen um den Gefrierpunkt.

Wanderarbeiter in Peking müssen als Folge einer städteweiten Brandschutzkontrolle ausziehen.
Legende: Wanderarbeiter in Peking müssen als Folge einer städteweiten Brandschutzkontrolle ausziehen. Reuters/Archiv

Wie sehr ist die Wirtschaft auf diese Binnenarbeiter angewiesen?

An sich sind diese Menschen unersetzlich. Schon seit einigen Wochen höre ich von Freunden in Peking, dass es etwa in einigen Restaurants weniger Kellner gibt. Das ist ein typischer Arbeitsbereich für diese Binnenmigranten. Sie sind aber etwa auch als Wachleute oder Paketboten angestellt. In mittelmässig bezahlten Jobs mit umgerechnet 500 bis 600 Franken pro Monat. Viele schicken davon noch einen grossen Teil nach Hause.

Viele haben den Eindruck, dass die Stadtverwaltung einen Anlass brauchte, um die Menschen zu vertreiben.

Die Behörden argumentieren mit Brandschutz. Ist das die ganze Wahrheit?

Das ist ein grosser Teil der Wahrheit. Denn in China sind die Brandschutzvorgaben vor allem in provisorisch gebauten Häusern nicht mit jenen in Europa vergleichbar. Ich gehe aber davon aus – und viele teilen diesen Eindruck hier – dass die Pekinger Stadtverwaltung einen Anlass brauchte, um aufzuräumen. Um also die Menschen zu vertreiben, die ihnen auf den ersten Blick keine Vorteile bringen und längst nicht so viel Steuern zahlen wie andere Angestellte. Man will sicherlich zum Teil auch die Fläche solcher provisorischen Unterkünfte für Hochhäuser und Einkaufszentren brauchen.

Solidaritätsaufrufe auf Interet werden zensiert, um zivilgesellschaftliches Engagement zu verhindern.

Die Zwangsräumungen haben in Peking eine Welle der Solidarität ausgelöst. Wie sieht diese aus?

Menschen haben sich vor allem online über Blogs und Foren ausgetauscht und darauf hingewiesen, was in der Nachbarschaft passiert. Altkleider werden gesammelt, allenfalls leere Wohnungen organisiert. Seit einigen Wochen ist ein interessantes zivilgesellschaftliches Engagement zu beobachten, das ich in den letzten zweieinhalb Jahren hier nie gesehene habe. Das Traurige daran ist, dass viele Solidaritätsaufrufe zensiert und geblockt wurden. Auch hier sind die Stadtverwaltung und die Zensoren darauf bedacht, offenen Diskussionen und zivilgesellschaftliches Engagement zu verhindern.

Das Gespräch führte Brigitte Kramer.

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