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USA streichen Finanzhilfen «Pakistan nutzt die Flüchtlinge als Pfand»

Islamabad ist wütend über die USA. Warum es nun die Afghanen ausschaffen will, erklärt Korrespondent Thomas Gutersohn.

Seit Jahren beherbergt Pakistan viele Afghanen, die vor dem Krieg in ihrer Heimat geflohen sind. Nun aber droht die Regierung in Islamabad, diese Menschen aus dem Land zu werfen. Beobachter halten dies für eine Trotzreaktion auf den steigenden Druck aus den USA.

Afghanistan und auch die USA werfen Pakistan vor, die zunehmend erfolgreichen afghanischen Taliban zu unterstützen und so die Aufbaubemühungen in Afghanistan zu destabilisieren. In einem Tweet hat US-Präsident Donald Trump Pakistan scharf angegriffen, und damit gedroht, die Militärhilfen an das Land zu streichen. Am Donnerstag hat die US-Regierung sie vorerst ausgesetzt.

SRF News: Wie ernst ist es Pakistan mit der Drohung, die afghanischen Flüchtlinge auszuschaffen?

Thomas Gutersohn: Die Drohung ist ernst zu nehmen. Normalerweise garantiert Pakistan den geflohenen Afghanen die Aufenthaltsbewilligung jeweils für sechs oder zwölf Monate. Diese Frist ist Ende Jahr abgelaufen. Nun hat sie Pakistan um nur noch einen Monat verlängert. Das heisst, dass bis Ende Monat nicht sicher ist, ob diese Flüchtlinge weiterhin in Pakistan bleiben dürfen oder zurückreisen müssen. Es kann sein, dass Pakistan Ende Monat die Aufenthaltsbewilligung weiter verlängert. Doch bis dahin werden wahrscheinlich schon viele Afghanen abgereist sein – aus Angst, von der Polizei oder vom Militär weggejagt zu werden.

Pakistans Drohung ist ernst zu nehmen.

Pakistan ist wütend auf die USA. Warum lässt es den Unmut an den Flüchtlingen aus?

Pakistan benutzt sie als eine Art Pfand. Immer wenn sich die Wolken zwischen Amerika, Afghanistan und Pakistan verdunkeln, spielt Islamabad dieses Pfand aus. 2016 kam es zum Streit zwischen der pakistanischen und der afghanischen Führung. Islamabad zwang damals, 600'000 Afghanen in ihr Land zurückzukehren. Pakistan hat gegenüber den USA kein anderes Druckmittel in der Hand als die afghanischen Flüchtlinge.

Pakistan hat gegenüber den USA kein anderes Druckmittel in der Hand als die afghanischen Flüchtlinge.

Welche Nachteile hätten die USA von den Ausschaffungen?

Sie würden die Amerikaner schmerzen, auch zu Hause. Seit 2014 versuchen die USA, das Kapitel Afghanistan endlich zu schliessen und endgültig aus dem Land abzuziehen. Doch das können sie nicht, solange die Situation dort so instabil ist. 2017 war sie so unsicher, wie seit dem Einmarsch der Nato-Truppen nicht mehr. In Afghanistan leben schon über 400'000 Menschen, die innerhalb der Landesgrenzen vertrieben worden sind. Kämen dann noch weitere Hunderttausende aus Pakistan Vertriebene ohne Unterkunft hinzu, würde das Land zusätzlich destabilisiert.

Pakistan giesst mit seiner Drohung also Öl ins Feuer. Es weiss, dass es schliesslich an den USA liegen wird, es zu löschen. Die Amerikaner müssen möglicherweise mehr Truppen, mehr Gelder und ganz sicher mehr Zeit investieren, um die Lage in Afghanistan soweit in den Griff zu bekommen, dass ein Rückzug möglich ist. Je länger das dauert, desto unbeliebter wird die ohnehin schon wenig populäre Afghanistan-Mission in der amerikanischen Bevölkerung.

Mit zusätzlichen Flüchtlingen giesst Pakistan nun Öl ins Feuer. Es weiss, dass es schliesslich an den USA liegen wird, es zu löschen.

In Pakistan leben fast anderthalb Millionen afghanische Flüchtlinge. Wie ist ihre Situation?

Die meisten von ihnen leben in Armut, aber in relativer Sicherheit. Man muss zwischen zwei Arten von Flüchtlingen unterscheiden. Zum einen gibt es die vom UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR anerkannten Flüchtlinge. Das sind rund 1,4 Millionen Menschen, die während der Bürgerkriege in den 1980er- und 90er-Jahren nach Pakistan geflohen sind. Sie leben in der Regel ganz gut. Sie haben kleine Geschäfte und können sich damit einen Lebensunterhalt verdienen.

Zum andern gibt es mehrere Hunderttausend nicht registrierte Afghanen in Pakistan, die in den letzten Jahren aufgrund der wachsenden Unsicherheit geflohen sind. Sie leben in Lagern, Lehmhütten und Zelten, haben dort keine Grundwasserversorgung und können sich nur mit illegalen Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Bei einem Besuch eines solchen Camps sagten mir die Bewohner, die Lebensbedingungen hier seien zwar schlecht, aber immer noch besser als in Afghanistan, denn hier herrsche immerhin Frieden.

Das Absurde ist, dass viele der afghanischen Flüchtlinge ihr Heimatland gar nicht mehr kennen und erst durch die Rückreise zu effektiven Flüchtlingen würden.

Was würde es für die Afghanen heissen, wenn sie tatsächlich in ihre Heimat zurückkehren müssten?

Sie würden in ein Land zurückkehren, in dem kriegsähnliche Zustände herrschen – zumal sie als erste Station in Jalalabad, der ersten Stadt nach der Grenze, unterkämen. Das ist ein hochgefährliches Gebiet, in dem die Taliban wie auch die IS-Terrormiliz stationiert sind. Das Absurde ist, dass viele der afghanischen Flüchtlinge ihr Heimatland gar nicht mehr kennen und sich inzwischen eine Existenz in Pakistan aufgebaut haben. Erst durch die Rückreise würden sie zu effektiven Flüchtlingen, die im eigenen Land aber nicht als solche anerkannt würden.

Das Gespräch führte Brigitte Kramer.

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