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International Wie Russland aus Frauenrechtlerinnen Spione macht

Der Krieg in Tschetschenien ist längst vorbei, doch es gibt wieder vermehrt Gewalt gegen Frauen. Die südrussische Menschenrechtsorganisation «Frauen aus Don» hat diese Entwicklung publik gemacht. Nun sind die Don-Frauen von einem Gericht als ausländische Spione eingestuft worden.

Valentina Tscherevatenko weiss über die Kriegsgräuel und Verbrechen an der tschetschenischen Bevölkerung Bescheid. Seit 21 Jahren engagiert sich die Mitgründerin der Don-Frauen dafür, dass das Verschwinden, Foltern, Vergewaltigen und Ermorden von Frauen dokumentiert und aufgeklärt wird.

Doch jetzt, wo der Krieg vorbei ist, stellt sie fest: Die Lage für die Frauen im Nordkaukasus, vor allem Tschetschenien und Dagestan, ist keineswegs besser geworden. «Der religiöse Fundamentalismus wird im ganzen Land stärker – bei den Muslimen und den orthodoxen Christen. Das hat Folgen: Kleider- und Verhaltensregeln für Frauen versucht man jetzt mit Gewalt durchzusetzen. Junge Männer in Gruppen beschimpfen Frauen, wenn sie nicht angemessen gekleidet sind. Angemessen heisst: Kopftuch, bedeckte Armen und knöchellange Röcke.»

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Russisches Gericht macht aus Menschenrechtlerinnen «Agenten»
aus Echo der Zeit vom 13.06.2014. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 9 Sekunden.

Ehrenmorde häufen sich wieder

Immer häufiger tauchten auf Facebook und im Internet Videos auf: von jungen Mädchen, die kahl geschoren werden, weil sie das Kopftuch nicht richtig trugen.

Präsident Ramsan Kadyrow, der die Republik nach eigenem Gutdünken wie ein Lokalfürst regiert, heisst das gut. In Tschetschenien gilt zwar eigentlich die russische Verfassung, in der etwa Ehrenmorde verboten sind. Aber Kadyrow propagiert daneben auch mittelalterliches Gewohnheitsrecht, den Adat. Es erlaubt die Ermordung der Beschuldigten, damit die Familienehre wieder hergestellt ist.

Jetzt häuften sich solche Morde wieder, sagt Frauenrechtlerin Tscherevatenko und berichtet über ihren jüngsten Fall: Ein Ehemann behauptete, seine Frau sei nicht von ihm schwanger. Die Frau stritt dies ab. Aber statt dies medizinisch untersuchen zu lassen, wurde die Frau des Hauses verwiesen. Die eigenen Eltern willigten ein, sie zu verstecken und nach der Geburt des Kindes umzubringen. In diesem Fall gelang es der Frau, ins Ausland zu fliehen. Das ist aber eine Seltenheit. Das traditionelle Recht flammt wieder auf, bei dem die Behauptung des Mannes genügt, ohne dass er Beweise braucht.

Verrohung der Jugend als Hauptgrund

Die Gründe für die Häufung solcher Ehrenmorde mag Valentina Tscherevatenko nicht nur mit alten Familien- und Clanrechten erklären. Sie spricht von den Folgen der beiden Tschetschenienkriege. «In Kriegszeiten ist das Bildungsniveau massiv gesunken. Das hat zu einem Wertezerfall, zu einer Verrohung der jüngeren Generation geführt. Die Jungen haben wenig Perspektiven hier, sind nihilistisch, ohne Glauben an eine Zukunft, und ohne Erinnerung an eine Vergangenheit, wo es noch soziale Sicherheit gab. Das war bei den Eltern, die zu Sowjetzeiten aufgewachsen sind, noch anders.»

Brautraub geht wegen hohen Bussen zurück

Nicht alle gesellschaftlichen Bereiche haben sich im Kaukasus negativ entwickelt. Der Brautraub zum Beispiel – ein Phänomen, das in kaukasischen Gesellschaften lange populär war – geht seit ein paar Jahren kontinuierlich zurück.

Brautraub war nach dem Krieg so populär, dass Eltern Angst hatten, ihre Töchter in die Schule zu schicken. Die Männer wollten Frauen, nicht zur zum Heiraten. Und Eltern, die ihren jugendlichen Kindern ein gute Ausbildung bieten wollten, mussten sie bis vor das Schulzimmer begleiten – bis UNO-Sonderkommission und Menschenrechtler intervenierten.

Mit Erfolg: Die russische Regierung pochte beim tschetschenischen Präsidenten darauf, dass in Tschetschenien der Brautraub unter Strafe gestellt wird. Bis zu einer Million Rubel müssen Brauträuber dem Vater der geraubten Frau zahlen, wenn es denn publik wird.

Don-Frauen als ausländische Spione bezeichnet

So sehr sich Valentina Tscherevatenkao über vorläufige Erfolge freut: Die Arbeit der Menschenrechtlerinnen wird nicht leichter. Menschenrechtsorganisationen, die wie die Don-Frauen aufklären und den Frauen Rechtsbeistand bieten, sind den Behörden verhasst.

Das russische Justizministerium hat sie und fünf weitere Menschenrechtsorganisationen verpflichtet, sich als ausländische Agenten registrieren zu lassen. Hintergrund ist ein Gesetz, wonach sich alle Nichtregierungsorganisationen (NGO), die Geld aus dem Ausland erhalten, selbst als «ausländische Agenten» bezeichnen müssen.

«Wir glaubten in unserer Naivität, dass wir ja keine politische Tätigkeit ausüben, und darum bewarben wir uns bei verschiedensten Stiftungen. Wir nahmen an Ausschreibungen teil und konnten so unsere Projekte finanzieren», erzählt Tscherevatenkao.

Noch haben die Don-Frauen das Verdikt nicht akzeptiert und dagegen geklagt, sich selbst als ausländische Agenten brandmarken zu müssen. Denn in kaukasischen Regionen würde ein solches Etikett die Arbeit der Organisation schlicht unmöglich machen. Eine Arbeit, die aber sonst keiner mehr machen würde – weder der russische Staat noch die tschetschenischen Behörden.

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