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Gutes Handy, böses Handy – Wann wird’s ungesund?
Aus Puls vom 27.03.2018.
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Gutes Handy, böses Handy Ein Heer aus Smombies

Eine Woche ohne Smartphone leben? Hand aufs Herz: Für die meisten würde sich das anfühlen wie schiffbrüchig auf einer einsamen Insel gestrandet zu sein – technologisch abgehängt und einsam.

Telefon, Uhr, Fotoapparat, Zeitung, Spielzeug, Billetautomat, Kalender, Musikbox, Fernseher, Bibliothek, Notizblock, Treffpunkt, Reiseführer und nicht zuletzt die unendlich grosse Enzyklopädie namens Internet stecken jederzeit erreichbar in den Taschen von 78 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer.

Bei den Teenagern sind sogar satte 98 Prozent stolze Besitzerinnen und Besitzer eines Smartphones. 87 Mal pro Tag greift der Durchschnittsschweizer danach. Täglich hantieren Erwachsene ein bis zwei Stunden an diesem Hybrid-Gerät, bei Teenagern sind es schnell drei Stunden und mehr.

Handy daheim? Alarm!

Bleibt es liegen oder verweigert es den Dienst, macht sich Nervosität breit. Ist es normal, dass ein kleines bisschen Elektronik Gerät unsere Gemütslage derart ins Wanken bringt – oder sind wir längst abhängig von ihm, nicht nur organisatorisch, sondern, irgendwie, auch psychisch?

Die «Handysucht» als psychologischen Fachbegriff gibt es (noch) nicht. Wohl aber sind inzwischen zahlreiche Fälle bekannt, wo die Beschäftigung mit dem Smartphone das normale Mass – was immer dies ist – übersteigt: Ein Prozent der Erwachsenen und fünf Prozent der Jugendlichen in der Schweiz gelten als abhängig vom Smartphone.

Jugendliche sind gefährdeter

Jugendliche sind gefährdeter als Erwachsene, weil für sie die Angebote auf dem Smartphone einen höheren Stellenwert haben. Für Teenager in der Selbstfindungsphase sind Plattformen wie Instagram, Snapchat oder WhatsApp ideale Spielwiesen zur Entwicklung ihres Egos.

Denn was abhängig macht, ist ja nicht das Gerät an sich, sondern es sind die interaktiven Tools und Apps: Chats, Games und soziale Medien, das interaktive Verhalten mit anderen über das Netz, welches uns immer und immer wieder zum Überprüfen verleitet.

Handy-Junkies leiden unter dem Entzug

Daran ist sogar aus psychologischer Sicht zunächst einmal gar nichts verkehrt. Zum Problem wird es erst, wenn Betroffene – oder auch deren Umfeld – es als Problem empfinden. Das ist der Fall, wenn das Smartphone das Denken und Handeln dominiert.

Meist resultieren daraus Konflikte mit dem Umfeld oder mit anderen Aktivitäten – Eltern, Partner, Schule oder Arbeitsleben beispielsweise. Nicht immer sind die Gefühle positiv: Das Verhalten kann auch Emotionen wie Scham, Schuldgefühle oder das Gefühl von Kontrollverlust auslösen.

Ein Entzug kann zu regelrechter Gewalt bis hin zu Handgreiflichkeiten führen.
Autor: Franz Eidenbenz Psychotherapeut

Während des Hantierens am Handy aber ist alles gut, man fühlt sich entspannt, sogar euphorisch. Dafür muss aber die Dosis immer weiter steigen, und klappt das nicht oder kommt ein Handy-Junkie auf Entzug, wird er gereizt, unruhig, nervös und leidet an Stimmungsschwankungen. Gute Vorsätze können nicht in die Tat umgesetzt werden, es folgen Rückfälle.

«Bei Menschen, die süchtig sind, kann ein Entzug zu regelrechter Gewalt und lautstarken Ausbrüchen führen, bis hin zu Handgreiflichkeiten, weil sie ans Handy wollen», berichtet Franz Eidenbenz, Psychotherapeut in Zürich und Experte für Spielsucht und andere Verhaltenssüchte.

Symptome schon nach wenigen Stunden

Das klingt überzogen, schliesslich gehören Smartphones heute einfach dazu, und niemand ist gerne vom Informationsfluss abgeschnitten. Eine amerikanische Studie unter College-Studenten zwischen 18 und 21 zeigte aber: Schon nach wenigen Stunden Handy-Entzug stellten sie depressive Stimmungen, Angstzustände, unruhiges und nervöses Verhalten bei sich fest – notabene handelte es sich um junge Erwachsene mit nach heutigen Massstäben relativ normaler Nutzung.

Man braucht das Handy, um Emotionen wie das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Anerkennung auszugleichen.
Autor: Franz Eidenbenz Psychotherapeut

Insbesondere Menschen mit niedrigem Selbstwertgefühl und damit grösserer Abhängigkeit von sozialem Feedback geraten schneller in die verführerischen Fänge sozialer Plattformen.

Gleiches gilt für Personen, die ein starkes Bedürfnis nach Zugehörigkeit haben. «Man braucht das Handy, um Emotionen wie das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Anerkennung auszugleichen», sagt Franz Eidenbenz.

Extrovertierte sind gefährdeter

Andere Studien haben herauskristallisiert, dass sehr extrovertierte Menschen eher gefährdet sind, in sozialen Medien auf dem Smartphone über die Stränge zu schlagen. Gleiches scheint für impulsive und eher neurotische Personen zuzutreffen.

Verteufeln möchten aber selbst Experten die Smartphones nicht. «Man muss unterscheiden, was man genau mit dem Handy macht. Ob man abmacht und Kontakte pflegt, die man sowieso hat. Ob man sich informiert. Es gibt wahnsinnig viele tolle Möglichkeiten. Oder ob man nur Zeit totschlägt und einen YouTube-Film nach dem anderen schaut, und vor allem: auch nachts. Dann wird es oft zum Problem, weil das Auswirkungen auf den nächsten Tag hat», sagt Franz Eidenbenz.

Sind wir Smombies geworden?

So vage alles rund ums richtige Mass der Handynutzung bleibt: Dass der Schlaf unter der exzessiven Smartphone-Nutzung leidet, ist handfest erwiesen. Eine Studie einer deutschen Krankenkasse zeigte beispielsweise: Fast jeder und jede Fünfte zwischen 12 und 17 Jahren schläft wegen der Nutzung sozialer Medien zu wenig. Für Erwachsene dürfte sich das Bild ähneln.

Tatsächlich regen all die Daten, Studien und Beobachtungen zu berechtigen Fragen an: Sind wir alle Smombies geworden – Smartphone-Zombies? Wo ist sie geblieben, die Freiheit, die uns diese Technologie am Anfang gebracht hat? Es geht uns jetzt mit dem Smartphone wie früher mit dem Fernseher: Wir müssen lernen, mit einem tollen Medium massvoll umzugehen.

Wie viel Smartphone ist zu viel Smartphone?

«Digital Detox» lautet denn auch der Rat, um herauszufinden, wo man sich bei der Smartphone-Nutzung einschränken kann. Der Begriff ist seit 2013 sogar im Oxford Dictionary of English vertreten. Im Alltag kann man sich mit einfachen Tricks selbst überlisten.

Tipps, um weniger nach dem Handy zu greifen

Box aufklappen Box zuklappen
  • Handy nicht mit an den Esstisch bringen, sondern ausser Reichweite deponieren
  • Handy aus Schlafzimmer verbannen und einen normalen Wecker benutzen
  • keine Games auf das Handy laden
  • Uhr tragen statt ständig aufs Handy kucken
  • ständige Erreichbarkeit nicht von sich aus anbieten
  • private Emails nur einmal am Tag checken
  • Push-Nachrichten deaktivieren
  • für konzentrierte, ungestörte Arbeit: Handy ausser Sichtweite deponieren oder Flugmodus einschalten
  • Smartphone während privater Aktivitäten zuhause liegen lassen
  • Langeweile einfach mal aushalten und relaxen

Wirklich herausfinden, wie man mit dem Smartphone bewusster umgeht, gelingt besonders gut in einer Handy-Fastenkur. Eine sechsköpfige Familie hat den Versuch gewagt und eine Woche aufs Handy verzichtet. Das ist ihr Fazit:

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Angelinas Fazit
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Angelina, 11

Dreht gerne Filmchen mit dem Handy. Sie findet: Ihre Familie ist viel zu viel am Handy.

«Ich würde das Projekt am liebsten verlängern. Aber ich weiss nicht, ob meine Geschwister das wollen würden. Besonders mein Vater hat jetzt mehr Zeit für mich. Wenn er sonst auf dem Handy spielt, sagt er immer: noch zwei Minuten! Ich selber sollte auch weniger ans Handy gehen – vielleicht nur noch eine halbe Stunde pro Tag, weil man sich sonst aufs nichts anderes mehr konzentriert. Ich habe mich ohne Handy immer gleich auf die Hausaufgaben konzentriert und sie nicht wie sonst erst später am Abend gemacht. Und ich gehe ohne Handy schneller ins Bett. Blöd fand ich, dass man ohne Handy nicht so leicht Fotos machen kann.»

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Eneas Fazit
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Enea, 13

Schaut vor allem Filme auf YouTube

«Wenn ich gar nichts mehr zu tun hatte, ist mir ohne Handy nichts mehr eingefallen, was ich noch machen kann. Dann war YouTube auf dem Computer meine Rettung. Ohne Handy habe ich viel mehr für die Schule gearbeitet und bin länger an den Hausaufgaben gesessen. Dabei habe ich viel mehr selbst überlegt, weil ich nicht gleich im Klassenchat nach Lösungen fragen konnte, wenn ich etwas nicht sofort verstanden habe. Sonst lenkt mich das Handy bei den Hausaufgaben schon sehr ab. Ich will schauen, dass ich das Handy in Zukunft nicht mehr die ganze Zeit bei mir habe. Und es vielleicht am Abend rauslegen.»

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Lauras Fazit
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Laura, 15

Nutzt vor allem WhatsApp und Snapchat

«Ich weiss, wo meine Kollegen sind, was sie machen, mit wem – einfach alles. Am schlimmsten ohne Handy war es für mich, wenn ich alleine war. Ohne Handy ist mir aber aufgefallen, dass alle ständig am Smartphone sind. Da denkt man sich dann: Warum reden wir nicht miteinander? Auf eine Art habe ich mich ohne Handy sogar freier gefühlt, weil ich es nicht dauernd rausnehmen und abchecken musste, was dort alles läuft. Man konnte einfach nur sein. Ausserdem bin ich früher ins Bett und habe gemerkt, dass ich den Schlaf brauche.»

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Ginos Fazit
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Gino, 17

Lädt vor allem eigene Snowboardfilme hoch, nutzt Instagram und Games

«Ich habe mir am Anfang schon gedacht: Wieso soll ich mitmachen, wenn ich nichts dafür bekomme? Würde man etwas bekommen, würde es einen natürlich mehr locken. Es ist schon schwierig, auf vieles, was das Handy bietet, zu verzichten. Wenn man den Kollegen über WhatsApp schreibt, ist das viel einfacher als über andere Wege. Es hat schon gestört, dass man sie nicht einfach anrufen konnte. Für mich hat der Verzicht allerdings nicht viel gebracht – ich finde, es ist so ziemlich alles beim alten geblieben.»

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Jacquelines Fazit
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Jacqueline, Mutter

Greift vor allem aus Langeweile zum Handy

«Mir hat ohne Handy ein wenig die Sicherheit gefehlt. Da kam die Mama durch, die gerne kontrollieren möchte. Ich rufe oft tagsüber vom Arbeiten aus daheim an, wenn meine Kinder alleine sind. Das konnte ich jetzt nicht. Am Anfang des Versuchs waren die Ausbrüche der Kinder etwas stressig – damit haben wir nicht gerechnet. Ohne Handy muss man sich ausserdem besser organisieren. Da ist man schon sehr abhängig vom Handy geworden – man denkt einfach nicht mehr selber, sondern verlässt sich ganz auf dieses Gerät.»

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Jean-Charles Fazit
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Jean-Charles, Vater

Nutzt vor allem einen Arbeits-Chat und gamt gerne

«Mich hat erstaunt, wie abhängig unsere Kinder von dem Gerät sind. Gino hat das Handy zum Beispiel durch das iPad ersetzt. Da habe ich erstmal gesehen, wie viel Zeit er damit verbringt. Wir sind allerdings ganz klar auch ein schlechtes Vorbild. Deshalb nehme mir vor, konzentrierter zu sein, wenn ich meinen Kindern beispielsweise bei den Hausaufgaben helfe, denn sie haben oft den Eindruck, ich wäre nicht wirklich dabei. Mir hat auch die Verbindlichkeit ohne Handy gefallen. Man muss sich fest verabreden und dann zur entsprechenden Zeit auch am entsprechenden Ort sein. Und ich habe gelernt: Es gibt tatsächlich noch Telefonkabinen!»

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