Das Grün ist schuld, dass sie nicht fährt. Die Automobilistin an der Verkehrsampel vor dem Singapurer Park Royal Hotel bleibt stehen, obwohl das Licht nicht mehr rot zeigt. Fasziniert studiert sie die Fassade des Hotels: im 16. Stock schaukeln Palmen, der Glasfassade entlang wedeln Elefantenohren-Sträucher und Farne. Grün, wohin das Auge reicht.
Erst das wütende Hupen hinter ihr veranlasst die Fahrerin, das Gaspedal zu drücken. Das Gebiet zwischen China Town und dem Geschäftsviertel ist um eine architektonische Attraktion reicher, seit das Park Royal vor neun Monaten seine Türe geöffnet hat.
Der Natur Raum geben
In den balinesischen Reis-Terrassen nach empfundenen Ausbuchtungen wuchern mehrere tausend Pflanzen entlang glitzernder Glasfassaden – hoch über dem 6- spurigen Grossstadtverkehr. Grün ist es auch im inneren des Gebäudes, aus den Wänden spriesst es, Pflanzen und Blumen im Restaurant, an der Rezeption, entlang den Zimmergängen.
Dies ist alles gewollt und geplant. Denn das Grün spendet nicht nur Schatten, es beruhigt, isoliert und im Aussenbereich bietet es Lebensraum für Singvögel, Schmetterlinge, Bienen und Libellen.
Jahrelang wurde in den Tropen gebaut wie im Westen: der hermetisch abgeschlossene Glitzerturm war das Mass aller Dinge. Doch damit ist nun Schluss: Architekten haben eine neue Typologie entwickelt, die die klimatischen Bedingungen besser miteinbeziehen. Vorreiter ist das Singapurer Architekturbüro WOHA, bekannt für Bauten, die Normen brechen und Bewohner auch auf engstem Raum menschengerecht leben lassen.
Das Hotel Park Royal on Pickering zwischen China Town und dem Bankenviertel ist das neuste tropische Hochhaus in Singapur, einer der dichtest besiedelten Städte der Welt.
Ein Hotel ohne künstliche Kühlung
Die stufenförmigen Pflanzentröge sind auch Schattenspender. Das ganze Gebäude ist stark untergliedert, kein hermetisch abgeschlossener Klotz, so dass Luft auch ins Innere des Gebäudes weht. Zudem schufen die Planer Aussenräume, die –vor Regen und Sonne geschützt – das ganze Jahr genutzt werden und das ganz ohne künstliche Kühlung. So wie zum Beispiel die Zimmergänge.
In Singapur, einer Stadt, in der es täglich kurz aber intensiv regnet und die Temperatur nie unter 25 Grad sinkt, wächst fast alles – ohne grossen Aufwand: Farne, Orchideen, Bambussträucher. Und wenn das Nass von Oben mal nicht genügt, wird mit in Becken gesammeltem Regenwasser getränkt. Ab und zu muss ein Gärtner vorwitzige Pflanzenhalme stutzen. Dieser grüne Dschungel am und im Hotel ist flächenmässig doppelt so gross wie der Grundriss des Gebäudes.
Das Tropenhotel hat in den letzten Monaten zahlreiche Preise für seine aussergewöhnliche Architektur eingeheimst. Inzwischen ist das Dschungelhotel so bekannt, dass auch Singapurer ihre Koffer packen – und dort für eine Nacht absteigen, für bis zu 400 Franken.