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Aufgehende Sonne am Mont Blanc
Legende: Mit dem Morgen kam die Rettung für die letzten Eingeschlossenen. Die Kulisse wurde zur Nebensache. Keystone
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Panorama Wenn das Leben am stählernen Seil hängt

Es war eine Hängepartie für alle Beteiligten: Am Mont Blanc steckten gestern Dutzende Passagiere stundenlang in einer Gondelbahn fest, 33 von ihnen verbrachten die Nacht in den kalten Kabinen. Der Chef der Zermatter Bergrettung erklärt, wie eine Rettungsaktion in luftiger Höhe abläuft.

Auch Schweizer müssen neidlos anerkennen: Das Panorama bei der Fahrt vom Aiguille de Midi (3842 Meter) zur Pointe Helbronner (3462) gehört zum spektakulärsten, was die Alpen zu bieten haben. Entsprechend beliebt ist die Gondelfahrt bei Touristen aus aller Welt – auch weil sie den Blick auf den mit 4810 Metern höchsten Berg der Alpen, den Mont Blanc, freigibt.

Auch für einen Touristen aus Südkorea sollte es ein unvergesslicher Trip werden. Allerdings anders als geplant: «Wir hatten grosse Angst und haben eine schwierige Nacht hinter uns. Ich will nicht mehr daran denken», sagte der übernächtigte Mann, als er wieder festen Boden unter den Füssen hatte.

Bis zu 17 Stunden waren Dutzende Touristen in den kleinen Gondeln blockiert; spätestens als die Nacht hereinbrach, wich der letzte Rest Ferienstimmung einem Alptraum: Schlafentzug, klirrende Kälte, Ungewissheit.

Am Morgen schliesslich konnte die Bahn wieder in Gang gesetzt werden. Die Hängepartie auf dem Dach Europas war dann auch für diejenigen vorbei, die am Donnerstagabend nicht mehr hatten evakuiert werden können.

Schweizer Retter haben mehr Freiheiten

Herausfordernd war die Nacht aber auch für die Retter. Anjan Truffer, Bergrettungschef von Zermatt, schildert, wie eine Luftrettung im alpinen Hochgebirge abläuft: «Die Retter werden direkt zu den Gondeln abgeseilt, gehen hinein und bereiten die Personen auf die Evakuation vor.» Schliesslich werden die Eingepferchten an Bord geholt und ausgeflogen – was für die Retter Routine ist, dürfte bei gewöhnlichen Touristen den Puls in ungeahnte Höhen schnellen lassen.

Audio
Das Gespräch mit Anjan Truffer in voller Länge
aus SRF 4 News aktuell vom 09.09.2016.
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 16 Sekunden.

Doch nicht überall haben die Rettungskräfte die gleichen Möglichkeiten. In der Schweiz verfügten sie etwa, wie Truffer ausführt, über ein System, das die gleichzeitige Evakuierung von bis zu sechs Personen erlaube: «Das ist natürlich sehr effizient. In Frankreich müssen die Leute einzeln ausgeflogen werden – das ist eine gesetzliche Regelung, auf die die Retter und Piloten keinen Einfluss haben.»

Und, in der Schweiz darf bei Notfällen auch in der Nacht geflogen werden – in der EU sind Nachtflüge verboten. So hätten die Eingeschlossenen in der Schweiz – gute Flugbedingungen vorausgesetzt – die Nacht möglicherweise nicht in luftiger Höhe verbringen müssen.

Erschwerte Bedingungen

Doch die Piloten hatten während der Rettungsaktion nicht nur mit der Brüsseler Bürokratie zu kämpfen. «Im Gegensatz zu einer klassischen Bergrettung aus einer Felswand hat der Pilot in einem Fall wie gestern keine Referenzpunkte. Er schaut entweder irgendwo in den Schnee oder in den Himmel.»

Die Kommunikation zwischen Pilot und Retter am Seil verzeiht keine Fehler; und auf weit über 3000 Metern müsse, so Truffer, auch der Leistungsverlust beim Helikopter einkalkuliert werden – von widrigen Sichtbedingungen mit Nebel und hereinbrechender Dämmerung ganz zu schweigen.

Die Leute wissen sich Gott sei Dank auch selber zu helfen.
Autor: Anjan TrufferBergrettungschef von Zermatt
Helikopter über Gondeln
Legende: Präzisionsarbeit: Die Luftrettung stellte höchste Ansprüche an die Rettungskräfte. Keystone

Neben der Technik spielt allerdings auch der Faktor Mensch eine Rolle. So verbrachten fünf Rettungskräfte die Nacht mit den Gestrandeten in den Gondeln – auch, um den Menschen in der ungewohnten Situation ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Allerdings: ‹Kinder, Frauen und ältere Menschen zuerst!› könne es bei einer Gondelbahn mit vielen Kabinen kaum heissen, schildert Truffer.

«Man hat keine Informationen, in welcher Gondel sich wer befindet. Von daher wird nach dem Prinzip Schnelligkeit und Effizienz gearbeitet.» Im Gegensatz dazu würde bei grossen Einzelkabinen natürlich die Befindlichkeit einzelner Passagiere, etwa, wenn sich Schwangere oder ältere Menschen darunter befinden, berücksichtigt.

Aus eigener Erfahrung weiss Truffer, dass Panik an Bord um jeden Preis verhindert werden muss: «Es ist wichtig, dass man die Leute über die Situation und die laufenden Rettungsarbeiten informiert. Man muss sie beruhigen – denn sie befinden sich in dem Moment nicht in Lebensgefahr.» Schliesslich sei, so Truffer, auch Improvisationstalent gefragt – bei Rettern wie Gestrandeten. «Die Vergangenheit hat aber gezeigt, dass sich die Leute Gott sei Dank auch selber zu helfen wissen.»

Auswahl von Seilbahnunfällen – oft Glück im Unglück

Juli 2014
Ein elektrischer Defekt legt die Schilthornbahn im Berner Oberland lahm. Mit Seilwinden werden 68 Menschen in Helikopter gezogen. Verletzt wird niemand.
Mai 2013Nach einer Seilbahn-Panne am Mont Blanc holen Rettungskräfte etwa 250 Menschen per Helikopter von einer Zwischenstation. Kabinen mit Touristen werden mit Hilfe von Notfallmotoren ins Tal gebracht.
Dezember 2012In den französischen Pyrenäen werden 73 Skifahrer aus den Gondeln einer defekten Seilbahn gerettet. Die meisten von ihnen werden abgeseilt. Ursache war eine gebrochene Antriebskette.
April 2012Aus der Diavolezza-Seilbahn im Engadin befreien die Retter 75 Menschen mit Helikoptern. Die Bahn steckte wegen einer technischen Panne fest.
Dezember 2011In den französischen Alpen stehen zwei Kabinen der Grande-Motte-Seilbahn in Tignes still. 41 Wintersportler sitzen bis zu sieben Stunden fest. Bei eisigem Wind werden sie abgeseilt.
August 2011Ein Gleitschirm verfängt sich in der Seilbahn am Tegelberg im deutschen Bundesland Bayern und blockiert zwei Gondeln. 30 Touristen werden aus 70 Metern Höhe abgeseilt. Weitere 20 können erst nach mehr als 18 Stunden mit Helikoptern gerettet werden.
Januar 2010Im bayerischen Lenggries müssen 43 Menschen bis zu zweieinhalb Stunden in den Gondeln einer Seilbahn ausharren. Bei der Rettungsaktion sind mehrere Helikopter im Einsatz. Ursache war ein Mechanik-Fehler, der zu einer Notabschaltung führte.
September 2005Im Gletscher-Skigebiet von Sölden im österreichischen Bundesland Tirol verliert ein Transporthelikopter über einer Gondelbahn einen rund 700 Kilogramm schweren Betonkübel. Der Kübel trifft ein Seil und prallt gegen eine Gondel, die abstürzt. Aus der Kabine darüber und darunter werden mehrere Menschen durch die Fenster in die Tiefe geschleudert. Neun Feriengäste aus Deutschland sterben.

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