Zum Inhalt springen

Header

Inhalt

Geri Müller und Gerigate «Man hoffte, ihn mit einer Kampagne aus dem Amt zu bringen»

Der Badener Stadtammann stolperte über private Bilder. Andere Politiker überstanden weit schlimmere Affären. Warum? Ein Gespräch mit dem Politikbeobachter Mark Balsiger. Seiner Meinung nach wollte das bürgerliche Polit-Establishment den «Betriebsunfall» Geri Müller rückgängig machen.

SRF News: Mark Balsiger, das Wahlvolk bestraft offenbar nicht jeden Politiker gleich, der etwas Fragwürdiges macht. Geri Müller wurde abgewählt, er ist über Sexbilder gestolpert, die er aus dem Stadthaus einer Frau geschickt hat. Der Aargauer Politiker Philipp Müller hat im Wahlkampf für den Ständerat 2015 einen schweren Autounfall verursacht, er hat eine Frau lebensgefährlich verletzt. Doch seine politische Karriere ging weiter. Er ist heute Ständerat. Misst das Volk mit unterschiedlichen Ellen?

Mark Balsiger: Es misst unterschiedlich. Es kommt allerdings nicht unbedingt auf die Personen an, sondern was sie gemacht haben. Der FDP-Politiker Philipp Müller hat einen schweren Autounfall produziert. Das passiert jeden Tag. Viele Leute sind involviert in schwerere und leichtere Unfälle. Bei Geri Müller war es eine andere Geschichte, er hat Fotos gemacht von seinen Körperteilen und diese einer Frau geschickt. Das flog auf. Dann hat man «Skandal», «Skandal» gerufen. Das ist der Unterschied.

Was Philipp Müller gemacht hat, ist eine Straftat. Bei Geri Müller war es eine Privatsache. Neben den beiden Müllers gibt es noch andere national bekannte Politiker, die Affären überstanden haben. Zum Beispiel der Tessiner Filippo Lombardi. Er fuhr wiederholt betrunken Auto, er verursachte auch einen schweren Unfall und wurde dennoch Ständerat. Christophe Darbellay, der ehemalige Präsident der CVP Schweiz, verheiratet, hat 2016 gestanden, er habe ein uneheliches Kind. Aber auch er überstand diese Affäre. Hatten sie einfach die besseren Berater als Geri Müller?

Sie hatten sicher auch Glück. Filippo Lombardi, Ständerat und Fraktionschef der CVP, wurde mehrfach verurteilt. Man hat das aber als Kavaliersdelikt etikettiert und abgehakt. Man findet das nicht so tragisch. Ich masse mir nicht ein Urteil an. Aber wenn man man Menschenleben gefährdet auf der Strasse, ist das nicht einfach Pipifax.

Gehen wir zu Herrn Darbellay: Er ging an die Öffentlichkeit, zum «Sonntags-Blick». Dort beichtete er, dass er ein weiteres Kind bekommt und dass es nicht von seiner Frau sei, sondern von einer Affäre. Das war kurz vor den Staatsratswahlen im Wallis. Viele schauten dann aber darüber hinweg, vielleicht war auch die Konkurrenz nicht so stark. Jedenfalls machte Darbellay am Schluss ein sehr gutes Ergebnis.

Diesen Politikern ist nichts passiert. Bei Geri Müller hingegen spricht man von «Würde» und es geht um Moral, es sei gruusig, was er gemacht habe. Wieso diese Diskussion im Zusammenhang mit Geri Müller?

Die Moral wird inzwischen bei uns sehr hoch gewichtet. Da beobachte ich eine Veränderung. Der gleiche Fall hätte vor wenigen Jahren nur für ein paar Tage für Wirbel gesorgt, dann wäre er abgehakt gewesen. Ich habe in der Mediendatenbank nachgeschaut: Zur Selfie-Affäre von Geri Müller sind 890 Artikel erschienen innerhalb eines halben Jahres! Ein kompletter Overkill.

Es wurde auch eine Kampagne gefahren. Die Moral als solche wird heute vom Volk viel höher gewichtet, angefeuert von den Medien. Die Medien wissen ganz genau, dass das die Geschichten sind, die viele Klicks generieren und auch Verkäufe an den Kiosken.

Also ein Medien-Hype, sagen Sie. Andererseits eine Kampagne. Was für eine Kampagne denn?

Der Platzhirsch im Aargau ist die «Aargauer Zeitung». Die Geschichte kam von dort, nicht von irgendjemandem, sondern von Chefredaktor Patrik Müller in der «Schweiz am Sonntag». Seit dem Fall im August 2014 vertrete ich die These, dass es um viel mehr ging als um journalistische Neugier. Man wollte sich selber ein Denkmal schaffen.

Baden war immer bürgerlich, CVP und FDPler waren an der Spitze. Diese Kreise sahen Geri Müller als Betriebsunfall, man hoffte, ihn mit einer politischen Kampagne aus dem Amt zu bringen. Und jetzt, nach gut drei Jahren, kann man sagen, es ist gelungen.

Der Schweizer Presserat brauchte zwei Jahre, um den Fall zu behandeln. Er hat dann ein differenziertes Urteil gefällt, welches für die Zeitung vernichtend war. Und inzwischen weiss man auch: Geri Müller ist juristisch reingewaschen. Er hat eine Abfindung bekommen von seiner Chat-Partnerin von 15'000 Franken.

Das Gespräch führte Stefan Ulrich

Die Rolle der AZ Medien

Geri Müller hat den Chefredaktor der «Aargauer Zeitung», Patrik Müller, angezeigt. Das Verfahren wegen der Verbreitung von illegal erstellten Aufnahmen ist noch hängig bei der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern. Das Verfahren soll auch die Rollen von Josef Bollag (Jurist) und Sacha Wigdorovits (PR-Berater) klären.
Die AZ Medien vertreten den Standpunkt, Geri Müller sei eine Person der Zeitgeschichte. Eingriffe in seine Privatsphäre seien deshalb gerechtfertigt. Sexistische Handlungen in Amtsräumen seien nicht zulässig.

Mark Balsiger

Box aufklappen Box zuklappen

Mark Balsiger ist Politologe und Politikberater mit einer eigenen Firma in Bern. Im Zusammenhang mit Geri Müller und «Gerigate» hatte er keinerlei Mandate.

Jederzeit top informiert!
Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden.
Schliessen

Jederzeit top informiert!

Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden. Mehr

Push-Benachrichtigungen sind kurze Hinweise auf Ihrem Bildschirm mit den wichtigsten Nachrichten - unabhängig davon, ob srf.ch gerade geöffnet ist oder nicht. Klicken Sie auf einen der Hinweise, so gelangen Sie zum entsprechenden Artikel. Sie können diese Mitteilungen jederzeit wieder deaktivieren. Weniger

Sie haben diesen Hinweis zur Aktivierung von Browser-Push-Mitteilungen bereits mehrfach ausgeblendet. Wollen Sie diesen Hinweis permanent ausblenden oder in einigen Wochen nochmals daran erinnert werden?

Meistgelesene Artikel