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Aargau Solothurn Mordfall Boi: Bundesgericht verlangt Freilassung oder Gutachten

Das Aargauer Verwaltungsgericht muss noch einmal über die Zukunft eines 22-jährigen verurteilten Mörders entscheiden, der auf Grund von Sicherheitsbedenken noch nicht in die Freiheit entlassen werden kann. Dies entschied das Bundesgericht.

Die Chronologie

  • 2009 bringt ein damals minderjähriger Aargauer im Tessin eine 17-jährige Vietnamesin um. Er erschlägt sie mit einem Holzscheit. Der Mord macht als «Fall Boi» Schlagzeilen.
  • 2013 verurteilt das Jugendgericht Baden den Täter zur Höchststrafe im Jugendrecht: Freiheitsentzug von 4 Jahren und geschlossene Unterbringung.
  • Frühling 2015: Der Täter wird 22 Jahre alt. Damit enden die jugendstraflichen Massnahmen. Auf Antrag der Jugendanwaltschaft wird der Mann fürsorgerisch untergebracht. Dagegen wehrt er sich mit einer Beschwerde ans Verwaltungsgericht.
  • Das Verwaltungsgericht heisst die Beschwerde teilweise gut und überweist den Fall an das Familiengericht zur Neubeurteilung.
  • Nach mehreren erfolglosen Platzierungsanfragen hebt das Familiengericht die fürsorgerische Unterbringung auf und ordnet die Entlassung an.
  • Auf Intervention des Aargauischen Departementes Volkswirtschaft und Inneres sowie des Kindes- und Erwachsenenschutzdienstes wird die Entlassung wegen Sicherheitsbedenken mit Hilfe einer superprovisorischen Verfügung aufgeschoben. Gleichzeitig finden die Behörden nun doch einen Platz für den Mann.
  • Sommer 2015: Der junge Mann wird im Sommer in die geschlossene Abteilung einer Psychiatrischen Klinik verlegt. Ein neues Setting wird angeordnet.
  • Gegen die Fortsetzung der fürsorgerischen Unterbringungen erhebt der Mann Beschwerde beim Bundesgericht.
  • Dezember 2015: Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass das Aargauische Departement Volkswirtschaft und Inneres sowie der Kindes- und Erwachsenenschutzdienst nicht beschwerdeberechtigt waren und dass das Familiengericht nicht auf seinen früher gefällten Entscheid hätte zurückkommen dürfen. Zudem sei das psychiatrische Gutachten unvollständig gewesen.

Mägenwil muss zahlen

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Die fürsorgerische Unterbringung des Mannes kostet die frühere Wohnsitzgemeinde Mägenwil pro Jahr 264'000 Franken. Der Steuerfuss musste deshalb von 93 auf 96 Prozent erhöhen werden. In Zukunft werden die Kosten für solche Fälle auf alle Gemeinden des Aargaus verteilt.

Ein ungewöhnlicher Fall

Das Bundesgericht rüffelt in seinem Entscheid die Aargauer Behörden in doppelter Hinsicht. Erstens halten die Richter in Lausanne die psychiatrischen Gutachten für ungenügend, mit denen die fürsorgerische Unterbringung des Mannes begründet wurden.

Ein Gutachten wurde im Auftrag der Jugendanwaltschaft im Februar 2015 erstellt. Im Rahmen einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht wurde zudem eine Psychiaterin befragt. Beide Expertisen reichten nicht aus, um eine fürsorgerische Unterbringung juristisch ausreichend zu begründen, so das Bundesgericht.

Deshalb müsse der Mann eigentlich in die Freiheit entlassen werden. Das Bundesgericht räumt aber gleichzeitig ein, dass der Mann an einer psychischen Erkrankung leide. Eine sofortige Entlassung ohne Vorbereitung auf das tägliche Leben würde den jungen Mann überfordern, immerhin darin sind sich offenbar alle bisher beteiligten und befragten Experten einig. Das Bundesgericht zitiert zudem aus einem Expertenbericht von 2011, der von einem «deutlich ausgeprägten Rückfallrisiko spricht».

Neuentscheid innerhalb von acht Wochen

Deshalb soll der Mann zuerst ausführlich von Fachpersonen begutachtet werden. Das Bundesgericht setzt dem Verwaltungsgericht für einen Neuentscheid eine Frist von acht Wochen ab Zustellung des begründeten Bundesgerichtsentscheides. Werde nicht innerhalb dieser Frist entschieden, falle die fürsorgerische Unterbringung dahin.

Bei den Aargauer Justizbehörden geht man davon aus, dass diese Frist eingehalten werden kann, wie es auf Anfrage von Radio SRF heisst. Ein psychiatrisches Gutachten wurde bei der Universität Basel bereits früher angefordert, dieses wird nun die Grundlage für eine Neubeurteilung des Falles sein.

Gewaltentrennung missachtet?

Der zweite Rüffel des Bundesgerichts betrifft die Einmischung der Behörden in den juristischen Prozess. Das Familiengericht hatte im Frühling längere Zeit vergeblich nach geeigneten Institutionen gesucht, in denen man den Mann unterbringen könnte. Danach verfügte es seine Freilassung.

Dies führte bei verschiedenen kantonalen Behörden offenbar zu einer Alarm-Stimmung. Der Generalsekretär des Innendepartements persönlich intervenierte beim Gericht, worauf der Gerichtspräsident den Entscheid mit einer superprovisorischen Verfügung rückgängig machte.

Das Gericht begründete den Entscheid damit, das Innendepartement sei in dieser Frage beschwerdeberechtigt. Das Bundesgericht allerdings kommt zu einem anderen Schluss: Gegen die Freilassung hätten sich nur direkt Betroffene oder Personen aus dem engen Umfeld des Täters wehren dürfen, heisst es im Urteil.

Der Anwalt des Täters sprach sogar von einer Missachtung der Gewaltentrennung und damit einem Verstoss gegen die Verfassung. Auch beim Innendepartement in Aarau heisst es auf Anfrage, diese Intervention sei als «ultima ratio» gewählt worden. Man habe bisher noch nie in dieser Weise bei einem Gericht interveniert.

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