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Der Frauenstreik war historisch
Aus Regionaljournal Basel Baselland vom 12.06.2020. Bild: zVg
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1. Jahr Frauenstreik Gleichstellungsthemen sind in der Gesellschaft angekommen

Ständerätin Maya Graf ist überzeugt, der Frauenstreik gab den Schub, die Schweiz zu einem modernen Land zu machen.

Regionaljournal Basel: Es ist ein Jahr her seit dem Frauenstreik. Was brachte dieser Streik?

Maya Graf: Der Frauenstreik war historisch! Über eine halbe Million Frauen und auch viele Männer waren damals auf der Strasse. Sie brachten Gleichstellungsthemen bis in der Mitte der Gesellschaft und das braucht es, damit wir unser Land – das gleichstellungspolitisch stets eher am Schluss ist – vorwärtsbringen, in eine fortschrittliche, offene Gesellschaft.

Es waren sehr viele junge Frauen auf der Strasse. Sind Frauenanliegen wieder modern?

Ja. In den Jahrzehnten davor waren viele etwas müde. Es waren vor allem die 'alten Feministinnen', die stets sagten, wir haben zwar die gesetzliche Gleichstellung, aber die tatsächliche Gleichstellung haben wir nicht. Jetzt gibt es viele junge Frauen die sagen, wir müssen Schub geben, wir wollen in einem modernen Land leben, wir wollen zusammen mit den jungen Männern eine gerechte Gesellschaft schaffen, die sich die Betreuungsarbeit teilt, wie auch die Erwerbsarbeit. Eine Gesellschaft, wo Entscheidungen gemeinsam getroffen werden, nicht nur von einer Hälfte der Gesellschaft.

Letztes Jahr war ein Frauenjahr. Dieses Jahr ist ein Coronajahr und die Anliegen der Frauen sind wieder aus dem Bewusstsein weg. Haben Sie vor einem solchen Szenario Angst?

In der Coronakrise wurde ganz klar, dass gerade Frauenberufe systemrelevant sind – Gesundheitspersonal, Detailhandel und Kinderbetreuung zum Beispiel. Also Berufe, in denen vor allem Frauen arbeiten. Dennoch fällt man gerade in Krisenzeiten in alte Rollenmuster zurück. Im schweizerischen Krisenstab waren beispielsweise 14 Männer und zwei Frauen und zu Hause haben die Frauen sofort Kinderbetreuung und Homeschooling übernommen und gleichzeitig einen Teilzeitjob gemacht, während die Männer ihre starke Rolle im Beruf wahrnehmen konnten. Dagegen müssen wir arbeiten, auch jetzt bei der Bewältigung der Krise. Wir müssen schauen, dass es ein Gleichgewicht gibt beispielsweise bei der Verteilung der Gelder zur Bewältigung der Krise.

In der Coronakrise wurde ganz klar, dass gerade Frauenberufe systemrelevant sind.
Autor: Maya Graf Ständerätin Baselland & Präsidentin Alliance F

Wie wollen Sie verhindern, dass es durch Corona zu einer Art Rückschlag kommt?

Wir sahen ja, wo die Probleme lagen.

Am Schluss entscheiden aber die Einzelnen, die Familien.

Nein. Dafür braucht es eben politische Rahmenbedingungen, damit der Entscheid nicht privat und nur in diesen Rollenmustern bleibt. Und dafür brauchen wir dringend gute, bezahlbare und flächendeckende externe Kinderbetreuung. Wir brauchen auch die Elternzeit, also zuerst eine Vaterzeit, und die Aufwertung der Berufe, die wir als relevant erkannt haben in der Krise. Die Frauen in diesen Berufen sollen mehr verdienen, dass sie sich so auch ein Alterskapital aufbauen können.

Sie sprechen die Pflegeinitiative an. Diese Initiative kostet Geld. Durch die Krise hat sie es deshalb noch schwieriger.

Die Pflegeinitiative ist enorm wichtig. Wir müssen es schaffen, dass wir im Parlament eine Ausbildungsoffensive möglich machen, dass das Pflegefachpersonal mehr Kompetenzen bekommt und die Arbeitsbedingungen besser werden. Dafür braucht es Investitionen und dafür werden wir im Parlament kämpfen. Wir werden gut hinsehen, wo diese Gelder nach der Coronakrise investiert werden und ob sie auch den Frauen zugutekommen, die ja diese Krise tragen mussten.

Sie sind seit 20 Jahren in Bern im Parlament. Was änderte sich mit den Wahlen nach dem Frauenstreik, bei denen ja viele Frauen neu gewählt wurden?

Es änderte sich sehr viel bei der Stimmung und Atmosphäre im Bundeshaus. Es sind ja nicht nur mehr Frauen im Parlament, sondern auch mehr Junge – Frauen und Männer. Dadurch hat es mehr Kinder im Bundeshaus. Übrigens, auch Babys, wir haben ja ein Stillzimmer, etwas, was man sich vor 20 Jahren nicht hätte vorstellen können. Und selbstverständlich ändert sich die Art, wie man zusammenarbeitet und zusammen redet immer, wenn plötzlich eine Vielfalt da ist zwischen den Generationen und den Geschlechtern. Ich bin sicher, dass sich das in politischen Entscheiden auswirken wird.

Wir haben im Bundeshaus ein Stillzimmer, etwas, was man sich vor 20 Jahren nicht hätte vorstellen können.
Autor: Maya Graf Ständerätin Baselland & Präsidentin Alliance F

Warum ist diese Stimmung wichtig?

Weil es dadurch möglich ist, dass Anliegen, die Frauen oder Familien betreffen, in den vorbereitenden Kommissionen Gehör und Mehrheiten finden. Das ist wichtig. Zudem ist der Austausch offener, man redet auch mal darüber, wie das mit der Kinderbetreuung ist. Ein kleines Beispiel: Es gibt jetzt ein Fussballteam von Parlamentarierinnen. Die Frauen vernetzen sich also auch selber, über alle Parteigrenzen hinweg. Das gibt eine Kraft und eine Stärke, die vorher angesprochenen Themen als Prioritäten zu setzen. Atmosphäre ist wichtig, damit man politisch etwas erreichen kann, nicht nur, damit man es nett hat. Ich erwarte, dass sich das bei der Individualbesteuerung bemerkbar macht, beim Sexualstrafrecht, bei der Gleichstellung in Forschung und Wissenschaft, wo es ja auch um die Verteilung von Geldern geht. Wer bekommt die, welche Themen werden unterstützt? Da brauchen wir an den entscheidenden Punkten eine gute Geschlechtervertretung, damit unsere Anliegen vor Ort in die politische Arbeit einfliessen kann.

Können Sie beschreiben, was vor zehn Jahren diesbezüglich anders lief, beispielsweise in den so wichtigen Kommissionen des Parlaments?

Vor zehn oder zwanzig Jahren waren der Frauenanteil noch deutlich tiefer, also war man oft als einzige Frau in einer dieser Kommissionen, oft waren viele der Anderen ältere Herren. Da waren sowohl Themensetzung als auch Priorisierung anders. Beispielsweise schaute man vor allem den finanzpolitischen Aspekt an, aber nicht den gesellschaftspolitischen. Und das auch beim Thema Frauenhäuser. Die haben chronisch zu wenig Geld, obwohl die Gewalt an Frauen nicht abnimmt und in der Coronakrise sogar zunahm.

Das Wochengast-Interview führte Georg Halter.

SRF 1, Regionaljournal Basel, 17:30 Uhr;

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