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Erna Eugster: «Viele sagen, sie hätten davon nichts gewusst»
Aus Regionaljournal Bern Freiburg Wallis vom 14.01.2018.
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Administrativ versorgt «Ich wurde im Gefängnis zwischengelagert»

Erna Eugster (65) hatte einen schwierigen Start ins Leben. Nach ihrer Geburt in Solothurn verbrachte sie die ersten Lebensjahre in einem Kinderheim. Als Mädchen kehrte sie zu ihren Eltern im Oberaargau zurück, wo sie, besonders von ihrer Mutter, misshandelt wurde. Später kam sie zu einer Pflegefamilie und in Heime. Weil sie von dort weglief wurde sie als Jugendliche inhaftiert und landete in Erziehungsheimen und der Psychiatrischen Klinik. Heute lebt Erna Eugster mit ihrem Mann und Hund im Westen von Bern.

Schwarzweiss Foto, von der Seite und von Vorne
Legende: Polizeifoto von Erna Eugster, späte 1960er-Jahre. Kantonspolizei Bern

SRF: Sie waren 16 Jahre alt als sie das erste Mal im Berner Amtshaus, dem damaligen Bezirksgefängnis, einsassen. Wieso?

Erna Eugster: Dort hat man mich einfach zwischengelagert. Weil ich zu Hause Schwierigkeiten hatte, hatte man ja versucht, mich fremd zu platzieren, bei einer Pflegefamilie oder in Heimen. Dort lief ich davon. Immer wenn ich aufgegriffen wurde, steckte man mich ins Gefängnis. Sie wussten ja sonst nicht wohin mit uns.

Weitere Stationen waren die Psychiatrische Klinik in Münsingen oder die Arbeitserziehungsanstalt in Kalchrain (TG). Was wurde Ihnen genau vorgeworfen?

Es hiess, wir seien liederlich und arbeitsscheu. Wir waren nichts wert, kein Haar war gut an uns. Und so wurden wir auch behandelt. Auch bei der Polizei gingen wir nicht aus dem Verhöhrzimmer bis klar war, dass wir eben noch ein Luder seien. Das hatte damals System.

Wir waren nichts wert. Und so wurden wir auch behandelt.

Die Schweiz will dieses dunkle Kapitel aufarbeiten. Was wünschen Sie sich von der Politik?

Ich wünsche mir, dass wir in der Schweiz hinschauen und das als unsere Geschichte betrachten. Es soll nicht mehr einfach unter den Tisch gewischt werden. Viele sagen zwar heute, sie hätten nichts davon gewusst. Das stimmt einfach nicht. In jeder Schulklasse gab es Kinder, die verdingt oder administrativ versorgt wurden.

In jeder Schulklasse gab es Kinder, die administrativ versorgt oder verdingt wurden.

Noch bis Ende März 2018 können Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen und ehemalige Verdingkinder beim Bund ihren Anspruch auf einen Solidaritätsbeitrag geltend machen. Schätzungen gehen davon aus, dass in der Schweiz noch rund 20'000 Opfer leben. Weshalb haben sich bis jetzt nur rund 4400 Personen gemeldet?

Ich denke, dass viele Opfer immer noch Scham empfinden. Viele wollen zudem mit den Behörden nichts mehr zu tun haben oder haben Angst, dass sie dann wieder mit dem Sozialamt in Kontakt kommen. Aber damit hat es ja nichts zu tun. Ich rufe alle Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen und Verdingkinder dazu auf, dass sie sich melden. Denn wir haben ein Anrecht darauf.

Das Gespräch führte Leonie Marti.

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