Kritik an der Freizügigkeit in Europa und die Angst vor der Überfremdung sind Themen, welche die Schweiz nicht erst seit gestern beschäftigen. Vor hundert Jahren war die Geburtsstunde der eidgenössischen Fremdenpolizei. Und der Beginn eines Überfremdungsdiskurses, der bis heute andauert.
Der Erste Weltkrieg ändert alles
Im November 1917 befindet sich der Erste Weltkrieg in Europa auf seinem Höhepunkt. In Russland haben Bolschewisten die Macht übernommen. Und in der Schweiz geht die Angst um, dass die Kantone die Ein- und Ausreise von Ausländern zu wenig kontrollieren. So könnten ausländische Spione, Betrüger und Schwarzmarkthändler in der Schweiz ihr Unwesen treiben.
Per Notverordnung beschliesst der Bundesrat darum die Gründung der eidgenössischen Fremdenpolizei. Die neue Behörde zentralisiert und professionalisiert die Kontrolle von Ausländern an der Grenze und im Land selber. Und sie weist die kantonalen Behörden zurecht, wenn diese aus ihrer Sicht zu tolerant sind.
So etwa beim Fall eines polnischen Eierhändlers, der zu seiner Frau nach Basel ziehen will. Die eidgenössische Fremdenpolizei schrieb seinerzeit dazu: «Der Rubrikant ist im April 1923 mit konsularischem Visum zu Geschäftszwecken eingereist und hat keinen Anspruch auf Zulassung zur Wohnsitznahme in der Schweiz. Seine Ansiedlung da selbst ist nicht notwendig und als der Schweizerischen Bevölkerung nicht assimilierbarem Element unerwünscht.»
Mit dem Ersten Weltkrieg gingen die Grenzen zu – auch in der Schweiz.
Patrick Kury ist Professor für Geschichte an der Universität Luzern. Er hat sich auf das Thema Migration und den Überfremdungsdiskurs in der Schweiz spezialisiert. Die damalige Situation beschreibt er so: «Mit dem Ersten Weltkrieg gingen die Grenzen zu – auch in der Schweiz. Die Freizügigkeit, die bis zu diesem Zeitpunkt vorherrschte, wurde oder musste aufgegeben werden. Gleichzeitig hat sich ein fremdenfeindlicher Diskurs breitgemacht. Es gab einen Nationalchauvinsimus und Kriegsrhetorik. Freunde wurden über Nacht zu Feinden erklärt.»
Dabei sollte die Fremdenpolizei gar nicht dauerhaft im Einsatz stehen, erklärt Kury. «Man ging davon aus, dass die Fremdenpolizei eine vorübergehende Institution sei. Und man nach einer gewissen Zeit wieder zur internationalen Personenfreizügigkeit zurückkehren könnte. Das hat sich aber nicht in diese Richtung entwickelt, weil der Erste Weltkrieg den Nationalismus erstarkt hat.»
«Will der bleiben?»
«Die Schweiz vor unerwünschten Fremden zu schützen» – diesen Leitspruch hatte sich auch der langjährige Leiter der eidgenössischen Fremdenpolizei, Heinrich Rothmund auf die Fahne geschrieben. Rothmund war von 1919-1955 Chef der Eidgenössischen Fremdenpolizei.
Sein späterer Weggefährte Reynold Tschäppät erinnert sich an Rothmunds Philosophie: «Für ihn gab es im tiefsten Innern den Begriff Flüchtling oder Immigrant überhaupt nicht. Es gab für ihn den Fremden, der in die Schweiz kam. Der Fremde, bei dem er sofort die Frage aufwarf: ‹Will der bleiben?, Wie lange will er bleiben? Wohin kann er weiter?›»
Neue Rolle nach dem Zweiten Weltkrieg
Die Behörde prägte vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts den Überfremdungsdiskurs. Nach dem zweiten Weltkrieg zieht sich die Fremdenpolizei aus dem politischen Diskurs zunehmend zurück und beschränkt sich vermehrt auf die behördliche Tätigkeit.
So erklärt Fremdenpolizei-Chef Elmar Mäder 1965 neue Regeln für ausländische Arbeitssuchende: «Wir haben im vergangenen Jahr festgestellt, dass diese unkontrollierte, diese sogenannte Spontaneinwanderung zu immer grösseren Schwierigkeiten geführt hat, immer grössere Nachteile gezeigt hat. In erster Linie will man nun diese Nachteile ausmerzen.»
Die Parteien haben das Ruder an sich gerissen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich Rolle der Fremdenpolizei geändert. «Die Parteien haben das Ruder an sich gerissen», sagt Kury. Ein Beispiel dafür sei die SVP, die die Zuwanderung zu ihren politischen Aufgaben erklärt habe.
Das Staatssekretariat für Migration sei ohnehin in internationale Abkommen eingebunden. Seine Berechtigung würde heute niemand mehr infrage stellen, erklärt Kury. Mehr oder weniger gleich sei seit hundert Jahren aber die Argumentationsweise im Überfremdungsdiskurs. «Es ändern sich nur die Gruppierungen, gegen die sich die ausgrenzenden Diskurse richten.»
Die Fremdenpolizei heute
Die Aufgaben der Fremdenpolizei hat heute auf nationaler Ebene das Staatssekretariat für Migration (SEM) übernommen. Auf kantonaler Ebene liegen die Zuständigkeiten bei den Migrationsämtern. |