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Schon jetzt laufen Vorbereitungen, um die drohende Gaslücke zu vermeiden
Aus Regionaljournal Zentralschweiz vom 28.07.2022. Bild: Keystone
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Abhängig vom Gas Wie Schweizer Städte mit der drohenden Gaslücke umgehen

In Schweizer Städten werden Hundertausende Wohnungen mit Gas beheizt. Was, wenn im Winter das Gas ausbleibt?

Als Mitte vergangener Woche durch die Pipeline Nord Stream 1 wieder Gas von Russland nach Deutschland strömte, ging ein erleichtertes Aufatmen durch die Büros der Energieversorger der Schweizer Städte. Auch bei der EWL in Luzern. Es sei «positiv», dass Russland nach einem wartungsbedingten zehntägigen Unterbruch die Gaslieferungen in den Westen planmässig wieder aufgenommen habe, sagte Mediensprecherin Gabriela Hübscher. Trotzdem: «Wir bereiten uns intensiv auf das Szenario vor, dass im Winter zu wenig Gas verfügbar ist.»

Gasempfangsstation in Lubim, Mecklenburg-Vorpommern.
Legende: Lubim in Mecklenburg-Vorpommern: Hier kommt das russische Gas, das durch die Pipeline Nord Stream 1 strömt, im Westen an – im Moment deutlich weniger als üblich. Keystone

Völlig zu Recht, wie sich einige Tage darauf zeigte: Bereits am Dienstag dieser Woche kündigte der russische Gaskonzer Gazprom an, die Liefermenge nochmals zu drosseln, auf noch 20 Prozent der eigentlichen Kapazität – angeblich wegen Reparaturarbeiten an Nord Stream 1.

Schweizer Städte sind auf Gas ausgerichtet

Rund 45 Prozent der Gasmenge, die die Schweiz verbraucht, wird in Russland gefördert – und dass Schweizer Städte die Gaslieferungen von dort so genau beobachten, kommt nicht von ungefähr. Sie sind nämlich besonders stark von Gas abhängig.

Darum heizen vor allem Städte mit Gas

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Legende: In Bern entstand das erste Gaswerk der Schweiz – hier auf einer Aufnahme von 1943. Keystone

Die Städte waren die ersten Gemeinwesen in der Schweiz, die Mitte des 19. Jahrhunderts Gaswerke errichteten – darum sind es bis heute meist städtische Gebiete, die ans Gasnetz angeschlossen sind.

Den Anfang machte Bern, wo die Polizei aus Sicherheitsgründen besser beleuchtete Strassen forderte: 1843 nahm dort das erste Gaswerk der Schweiz den Betrieb auf. Genf, Lausanne und Basel folgten in den Jahren darauf, weitere Städte zogen bald nach.

Eisenbahnbau beeinflusste Gasnetze

Der Ausbau der Gasversorgung ging dabei Hand in Hand mit dem Ausbau des Eisenbahnnetzes: Gas wurde aus der Destillation von Kohle gewonnen – und weil die Schweiz kaum über Kohlevorkommen verfügte, war sie auf Kohle aus Deutschland und Frankreich angewiesen, die per Eisenbahn günstig importiert werden konnte.

Das sogenannte «Stadtgas» wurde hauptsächlich zur Beleuchtung von Strassen und öffentlichen Plätzen eingesetzt, wo Gaslaternen etwa ab 1860 in den boomenden Städten flächendeckend das schummrige Licht der vereinzelten Öllampen ersetzten. In Zürich waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis zu 250 Stadtbedienstete mit dem Velo unterwegs, um die rund 7000 Gaslaternen abends anzuzünden und morgens wieder auszulöschen.

Strom zur Beleuchtung, Gas zum Heizen

Um 1900 begann sich jedoch die Elektrizität durchzusetzen. Die Städte stellten ihre Beleuchtung auf den als sauberer geltenden elektrischen Strom um, schlossen aber ganze Quartiere ans bestehende Gasnetz an, um den Menschen einen Energieträger zum Heizen und Kochen zur Verfügung zu stellen.

Bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg war Kohle der Rohstoff zur Gasgewinnung – aber nach der Entdeckung von grossen Vorkommen in Frankreich und den Niederlanden setzte sich ab den 1970er-Jahren Erdgas durch. Seit 1974 verläuft eine transeuropäische Transportleitung durch die Schweiz.

Im bereits erwähnten Luzern etwa werden 55 Prozent aller Wohngebäude mit Gas beheizt. In Chur sind es 51 Prozent, in Biel 60, in Solothurn gar 65 Prozent. In den grossen Städten ist der Anteil zwar etwas tiefer – in Basel etwa sind es 43, in Bern 47 und in Zürich 51 Prozent. Doch rechnet man das hoch auf die Einwohnerzahl, wird auch dort klar: Fehlt das Gas, kann es im Winter in den Wohnungen vieler Stadtbewohnerinnen und -bewohner ungemütlich kühl werden.

Soweit sei es aber noch lange nicht, das betonen sämtliche angefragten Energieversorger. Private Wohnungen und Häuser gehören laut Stufenplan des Bundes zu den «geschützten Verbrauchsanlagen», genau wie etwa auch Spitäler und Heime – sie würden auch dann noch beliefert, wenn «ungeschützte Verbrauchsanlagen» wie Industrie- und Bürogebäude, Sportanlagen, Schulen und Verwaltungsgebäude kein Gas mehr erhielten.

Dennoch heisst es etwa bei den Industriellen Werken Basel IWB, die über 400'000 Menschen in den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft mit Gas versorgen: «Ganz ausschliessen, dass es schlimmstenfalls zu solch einem Szenario kommt, kann derzeit niemand. Die Versorgungssituation für den kommenden Winter ist von vielen Unsicherheiten bestimmt.»

Der Schweiz fehlen grosse Gasspeicher

Diese Unsicherheiten haben ihren Ursprung darin, dass die Schweiz nicht über eigene grössere Gasspeicher verfügt. Die Energieversorger können lediglich die Gasmenge, die sie im Winter voraussichtlich benötigen, bei den Lieferanten vertraglich absichern – oder bereits geliefertes Gas in Speicheranlagen in den Nachbarländern zwischenlagern.

Erdgastanks im zürcherischen Schlieren.
Legende: Erdgastanks im zürcherischen Schlieren: Möglichkeiten, um grosse Mengen Gas zu speichern, fehlen in der Schweiz – die Unternehmen müssen ihr Gas in Nachbarländern zwischenspeichern. Keystone

Das tun sie zwar bereits: Die Aare Energie etwa – zuständig unter anderem für die Gasversorgung der Stadt Olten – teilt auf Anfrage mit, der Bedarf für den kommenden Winter sei «praktisch gedeckt». Die Zürcher Energie 360° hat bereits «dafür gesorgt, dass die für den Winter relevanten Mengen eingekauft sind, um damit auch die im Ausland gemieteten Speicher zu füllen», wie sie schreibt. Die Stadtwerke St. Gallen wiederum sind bei den Füllständen ihrer Speicher auf Kurs, ebenso die Luzerner EWL.

Deren Sprecherin Gabriela Hübscher spricht aber das Hauptproblem an: «Bei einem gesamteuropäischen Lieferengpass besteht trotzdem das Risiko, dass dann nur ein Teil geliefert wird.» Sprich: Ob das gekaufte Gas dann auch wirklich in die Schweiz fliesst, ist alles andere als sicher.

Unternehmen sollen für Wechsel auf Öl bereit sein

In den Städten sind darum Bemühungen angelaufen, um den Gasverbrauch im Notfall senken zu können, bevor die Menschen in ihren Wohnungen allzu viel davon mitbekommen. Im Fokus sind hier Gewerbe und Industrie, das Stichwort lautet: Zweitstoffkunden. Unternehmen, die für ihre Arbeitsprozesse von Gas auf Öl umstellen können – womit Gas für andere Verwendungszwecke verfügbar würde.

Die Industriellen Werke Basel haben diese Firmen in ihrem Versorgungsgebiet aufgerufen, ihre Ölvorräte zu überprüfen und aufzufüllen, falls nötig. Auch in Solothurn hat Gasversorger Regio Energie eine Informationskampagne lanciert. In Chur hat die Energieversorgerin IBC die Zweitstoffanlagen bereits auf ihre Funktionstüchtigkeit überprüft. Der Füllstand der Zweitstoffkunden mit Öl betrage im Schnitt derzeit 60 Prozent, so IBC.

Weniger heiss duschen, Waschmaschine anders einstellen

Den Gasverbrauch senken können aber auch Privatpersonen, und zwar bereits jetzt, wo Heizen noch gar kein Thema ist. «Das Gas, das wir heute sparen, steht uns dann im Winter zur Verfügung», sagt Gabriela Hübscher, Sprecherin des Luzerner Energieversorgers EWL. In Häusern, in denen das Wasser mit Gas erhitzt werde, lohne es sich, nur kurz und weniger heiss zu duschen oder die Waschmaschine bei nicht stark verschmutzter Wäsche auf 30 statt auf 40 Grad einzustellen.

Das Gas, das wir heute sparen, steht uns dann im Winter zur Verfügung.
Autor: Gabriela Hübscher EWL Energie Wasser Luzern

Wenn es wieder kühler wird, zahlt sich zudem der Griff zu den Thermostaten an den Heizkörpern aus. Wer die Wohnung um ein Grad weniger heize, senke den Energieverbrauch gleich um 6 Prozent, heisst es bei den Industriellen Werken Basel. Sie empfehlen daher, die Heizungen «konsequent beim Verlassen der Wohnung herunterzudrehen», zudem könnten etwa bessere Fensterdichtungen die Wärmeeffizienz steigern.

Thermostat an einem Heizkörper.
Legende: Die Heizung nicht ganz hochdrehen: Schon mit einem Grad weniger lässt sich der Energieverbrauch deutlich senken. Keystone

Auf ihren Webseiten oder in direkten Schreiben an ihre Kundinnen und Kunden liefern die Energieversorger solche und ähnliche Tipps, um Gas zu sparen. Aber: «Der kurzfristige Handlungsspielraum für lokale Gasversorger ist sehr klein», wie es bei IBC in Chur heisst. Tatsächlich ist es schliesslich der Bund, der bei einer Gas-Mangellage sagt, wo's lang geht – von Sparappellen über die Umschaltung von Zweitstoffanlagen bis hin zu Einschränkungen oder gar Kontingentierungen.

Die Städte können einzig die Umstellung weg von fossilen Energieträgern forcieren, um längerfristig weniger auf Erdgas angewiesen zu sein. Die Bemühungen zum Klimaschutz haben hier schon einiges ausgelöst, von der Nutzung der Seewärme in Luzern bis zur geplanten Biogasanlage in Chur. Nur: Bis Wintereinbruch werden all diese Projekte das Erdgas nicht ersetzen.

Von der Gas- zur Stromknappheit

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Die europaweit angespannte Versorgungslage mit Gas könnte auch dazu führen, dass der Strom knapp wird. Der Zürcher Energieversorger EWZ beobachtet die Situation am Gasmarkt daher aufmerksam, wie es auf Anfrage heisst. Europaweit werde rund 18 Prozent des Stroms in Gaskraftwerken produziert. «Können die Gaslager nicht genügend gefüllt werden bis zum Winter, hat dies allenfalls Einfluss auf den Stromimport, denn im Winter muss die Schweiz Strom einführen», so die EWZ. Zudem seien aktuell rund die Hälfte der französischen Atomkraftwerke nicht am Netz. Eine Strommagellage im Winter sei daher ein «nicht auszuschliessendes Risiko».

Radio SRF 1, Regionaljournal Zentralschweiz, 27.07.2022, 17:30 Uhr

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