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«Der Entzug von Sexualität ist weisse Folter»
Aus Rendez-vous vom 22.11.2017. Bild: Keystone
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Aufstand auf dem Thorberg Häftlinge haben zwar ein Recht auf Ehe, nicht aber auf Sex

  • Seit einer Woche streiken rund 50 der 180 Häftlinge in der Berner Justizvollzugsanstalt Thorberg.
  • Sie fordern mehr Lohn, besseres Essen und einen Begegnungsraum für intime Kontakte – sprich Sex.
  • In wenigen anderen Schweizer Strafanstalten gibt es solche Kontaktzimmer bereits. Aber auch dort hat nicht jeder Insasse Anspruch darauf.
  • Die Voraussetzungen für legalen Sex im Gefängnis sind streng.

Die Forderung nach einem «Intimzimmer» sei kein Luxus, sondern ein Grundrecht, sagt Peter Zimmermann. Er setzt sich als Präsident der Organisation Reform 21 für die Rechte der Häftlinge ein. «Wenn man einem Gefangenen über Monate, Jahre Sexualität entzieht, ist das nichts anderes als weisse Folter.»

Dem widerspricht Strafvollzugsexperte Benjamin Brägger: Insassen hätten keinen Rechtsanspruch auf ein Beziehungszimmer. «Haft bedeutet immer auch Einschränkung der persönlichen Freiheiten.»

Ein Kontaktzimmer verhindert auch, dass die Sexualität im Untergrund der Anstalt ausgelebt wird, etwa mit anderen Insassen im Bereich der Dusche.
Autor: Benjamin Brägger

Trotzdem ist Brägger dafür, dass Langzeitgefangene ihre Beziehung auch während der Haft leben können. «Das verhindert dann auch, dass die Sexualität im Untergrund der Anstalt ausgelebt wird, etwa mit anderen Insassen im Bereich der Dusche.»

«Familienzimmer» in der Pöschwies

In 6 der 110 Schweizer Haftanstalten gibt es «Intimbesuchszimmer» – eine von ihnen ist das Gefängnis Pöschwies in Regensdorf, die grösste geschlossene Haftanstalt des Landes.

Ein Insasse sitzt am Pult vor einem vergitterten Fenster seiner Zelle.
Legende: Gefangene der Strafanstalt Pöschwies können seit 22 Jahren ein «Familienzimmer» benutzen. Doch die Auflagen sind streng. Keystone/Archiv

Dort kennt man bereits seit 22 Jahren ein «Familienzimmer», wie die Sprecherin des Zürcher Amtes für Justizvollzug, Rebecca de Silva, erklärt. Der Raum sehe aus wie eine kleine Wohnung: «Es gibt eine Kochecke, man kann Kaffee oder Tee machen. Man kann sich Kuchen kommen lassen, den der Gefangene bei der Pöschwies-Bäckerei bestellen kann und selbst bezahlt», sagt de Silva.

So wird Familienleben hinter Gefängnismauern simuliert – und dazu gehört eben auch ein Sexualleben. Deshalb gibt es in dieser Gefängniswohnung auch ein separates Schlafzimmer.

Insassen haben keinen Rechtsanspruch auf ein Beziehungszimmer. Haft bedeutet immer auch Einschränkung der persönlichen Freiheiten.
Autor: Benjamin Brägger Strafvollzugsexperte

Strenge Auflagen für die Benutzer

Weil der Aufenthalt im Familienzimmer nicht überwacht wird, werde zuerst ganz genau abgeklärt, wer mit wem hineindürfe, so de Silva weiter. Schwere Gewalttäter oder Vergewaltiger kämen nicht in Frage. Ausgeschlossen ist laut der Amtssprecherin auch, dass ein Gefangener eine Prostituierte ins Gefängnis bestellt, um so zu schnellem Sex zu kommen.

Gerade mal 28 der insgesamt 400 Gefangenen in der Pöschwies können derzeit das «Familienzimmer» nutzen – alle zehn Wochen während drei bis fünf Stunden. Sie erfüllen alle strengen Kriterien:

  • Der Insasse muss sich im Vollzug einwandfrei verhalten haben.
  • Es dürfen nur Personen zu Besuch kommen, zu denen ein kontinuierlicher, langfristiger Kontakt besteht.
  • Mit den Personen müssen zuvor mehrere Besuche im Besucherraum stattgefunden haben, die alle gut gelaufen sind.

Abwarten auf dem Thorberg

In der Strafanstalt Lenzburg, wo etwa 200 Männer im geschlossenen Vollzug ihre Haft verbüssen, kennt man zwar einen Spielplatz für Familien, aber kein Kontaktzimmer. Laut Direktor Marcel Ruf ist das derzeit kein Thema – nur schon aus Platzgründen.

Wenn man einem Gefangenen über Monate, Jahre Sexualität entzieht, ist das nichts anderes als weisse Folter.
Autor: Peter Zimmermann Präsident der Organisation Reform 21

Ob sich das Berner Gefängnis Thorberg überlegt, wegen des Aufstandes ein solches Kontaktzimmer einzurichten, lässt der Direktor offen. Gesetzlich sind solche Einrichtungen auch nicht vorgeschrieben. Das Bundesgericht hält dazu lediglich fest, dass auch Inhaftierte das Recht auf Ehe haben, also sie dürfen während der Haft heiraten – das Sexualleben ist da aber nicht miteingeschlossen.

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