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Angela Merkel tritt ab: Doris Leuthard blickt zurück
Aus Tagesschau am Vorabend vom 07.12.2021.
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Beziehung Schweiz–Deutschland «Merkel ist in vielen Krisen zu einer Stabilitätsfigur geworden»

Angela Merkel tritt nach 16 Jahren als Deutschlands erste Bundeskanzlerin ab. Doris Leuthard hat in ihren 12 Jahren als Bundesrätin eine enge Beziehung zu Merkel gepflegt. Im Interview erzählt Leuthard, wie sie die Ära Merkel erlebt hat und dass von Merkel mehr als Symbolkraft bleibt.

Doris Leuthard

Doris Leuthard

Alt Bundesrätin

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Die CVP-Politikerin war von 2006 bis 2018 Mitglied der Schweizer Landesregierung – zunächst als Vorsteherin des Volkswirtschaftsdepartementes, danach als Umwelt-, Verkehrs, Energie- und Kommunikationsministerin.

SRF News: Welche Begegnung mit Merkel ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Doris Leuthard: In meinem ersten Präsidialjahr 2010 gab es eine lustige Episode. Auf Staatsbesuchen gibt es ein striktes Protokoll, wann man mit der Limousine vorfährt. In der Regel steht das andere Staatsoberhaupt schon bereit. Ich fuhr vor, stieg aus und niemand war da. Einige Minuten stand ich alleine auf dem roten Teppich, bis Angela Merkel lachend kam. Wegen eines Defekts blieb sie im Lift stecken und musste die Treppen zu Fuss runter. Ihr war das peinlich und wir haben gelacht darüber.

Wie haben Sie Angela Merkel im persönlichen Gespräch erlebt?

Sie ist sehr herzlich und aufmerksam. Natürlich ist Merkel auch extrem dossierfest – sie kennt so viele Themen der Innen- und Aussenpolitik. Es macht Spass, sich mit ihr zu unterhalten, denn sie ist gescheit, sie kennt die Materie, sie hört zu. Das war immer ein echter Austausch und nicht wie mit anderen Ministern oder Präsidenten ein bisschen eintönig.

Es ist wichtig, dass die Schweiz und Deutschland den Austausch pflegen und die gegenseitige Bedeutung immer wieder betonen.

Wie eng war dieser Austausch während Ihrer Zeit als Bundesrätin oder Bundespräsidentin?

Wenn man nicht Bundespräsidentin ist, hat man nicht den direkten Zugang zu anderen Staatsoberhäuptern wie Premierministern oder eben der deutschen Bundeskanzlerin. Insofern half mir unsere gemeinsame Mutterpartei zusätzlich, die Europäische Volkspartei (EVP), in deren Rahmen man sich auch treffen und austauschen konnte.

Sie sagen, Sie hätten Merkel als interessierte Zuhörerin erlebt. Wie sehr hat sie sich für die Schweiz interessiert?

Da muss man relativieren. Zwischen Deutschland und der Schweiz gibt es keine grossen Probleme. Die grössten sind vielleicht der Flughafen Zürich und das Stromnetz, die Infrastruktur und jetzt natürlich europäischen Fragen. Sonst hat man im bilateralen Verhältnis keine gravierenden Probleme. Deshalb muss man bei einem Austausch schauen, dass man nicht mit klitzekleinen Problemen ihre Zeit beansprucht, sondern über globale Themen sprechen kann.

Sie waren zwölf Jahre Bundesrätin. Hat sich das Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland in dieser Zeit verändert?

In der Ära von Bundeskanzler Helmut Kohl war die Beziehung zwischen den Ländern intensiver. Kohl war ein erklärter Schweiz-Freund. Wir hatten relativ viele Minister, die ihre Ferien in der Schweiz verbrachten oder die Entwicklung der Schweiz im Auge hatten. Das flacht ab, je länger man sich zeitlich von diesen Entwicklungen fortbewegt und je weniger Menschen zur Schweiz einen Bezug haben. Angela Merkel hat immer im Winter Ferien in der Schweiz gemacht, sie hatte diesen Bezug noch. Sonst ist das eher abgeflacht.

Was bedeutet das für die Beziehungen mit der neuen Regierung, mit der Ampelkoalition unter Bundeskanzler Olaf Scholz?

Ich glaube nicht, dass sich unter der neuen Regierung das Verhältnis Schweiz–Deutschland verändern wird. Die neue Regierung ist unter Druck und muss innenpolitische Reformen, die sie versprochen hat und die im Koalitionsvertrag stehen, umsetzen. Deutschland wird zuerst beschäftigt sein mit der Bildung der Ministerien und der Umsetzung des Programms. Dann kommen europäische Agenden wie G7 und G20. Die Schweiz kommt unter «ferner liefen» – dessen muss man sich im Klaren sein.

Ich weiss nicht, ob gewisse «Kampfhähne» ohne Merkel nicht zu drastischeren Massnahmen gegriffen hätten.

Unsere ersten Partner bleiben Bayern und Baden-Württemberg. Die Bundesräte müssen aber unbedingt schauen, dass sie möglichst im nächsten Jahr erste Kontakte knüpfen, damit die Ministerien die Schweiz nicht vergessen. Es ist wichtig, dass beide Länder den Austausch pflegen und die gegenseitige Bedeutung immer wieder betonen. Die Schweiz ist und bleibt ein zentraler Handelspartner für Deutschland.

Zurück zu Angela Merkel: Was bleibt von ihrer langen Kanzlerschaft?

Ihr Hauptverdienst ist, dass sie in der geopolitischen Lage immer wieder für Ausgleich gesorgt hat. Ich weiss nicht, ob gewisse «Kampfhähne» ohne Merkel nicht zu drastischeren Massnahmen gegriffen hätten. Sie konnte mit den Russen sprechen, sie konnte mit den Amerikanern sprechen, mit den Chinesen. Merkel hat immer wieder den Dialog gesucht und versucht, zu beruhigen. In vielen Krisen ist sie zu einer Stabilitätsfigur geworden.

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Symbolkraft hat auch die Tatsache, dass sie die erste weibliche Bundeskanzlerin war. Hat sie auch etwas für die Frauen erreichen können?

Allein in Deutschland ist die Zahl der Frauen in der Politik stark gestiegen. Ich erinnere mich etwa an die UNO-Konferenz «Rio+20» im Jahr 2012, als sich Präsidentinnen vereinigt haben. Wir waren damals etwa 17 Frauen weltweit. Auch dort hat Merkel alle ermuntert und gezeigt, dass man bei den G20 als Frau bestehen und sich mit Dossierfestigkeit und Glaubwürdigkeit Respekt verschaffen kann. Angela Merkel hat eine grosse Vorbildfunktion.

Das Gespräch führte Claudio Spescha.

Tagesschau, 07.12.2021, 18:00 Uhr;

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