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Interview mit Michael Hengartner, Rektor der Universität Zürich
Aus SRF 4 News aktuell vom 29.01.2018.
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Bologna-System in der Kritik «Es bringt manche Studenten dazu, in Schachteln zu denken»

  • Studierende würden heutzutage zu wenig vernetzt denken. Ihr Wissen sei zu oberflächlich, lautet die Kritik in einem Artikel der «Sonntagszeitung».
  • Auslöser ist der Fall eines Studenten an der Universität Zürich, der es beinahe geschafft hätte, sein Masterstudium in Rechtswissenschaften in einem einzigen statt wie vorgesehen in drei Semestern abzuschliessen.
  • Michael Hengartner, Rektor der Universität Zürich, fand die Einführung des Bologna-Systems zwar richtig, nun sei es aber Zeit für «Bologna 2.0».

Statt sich vertieft mit ihren Fächern auseinanderzusetzen, versuchen viele, ihr Studium möglichst schnell hinter sich zu bringen. Dieser Eindruck entsteht beim Fall von «Rico», den die Zürcher Studierendenzeitung aufgedeckt und die «Sonntagszeitung» aufgegriffen hat. Der junge Mann hat in einem einzigen Semester beinahe so viele Credits gesammelt, wie für einen Master in Rechtswissenschaften nötig sind – nämlich 84 von 90.

Laut der Universität Zürich sei dies ein Einzelfall. «Grundsätzlich ist die Bildung unserer Absolventen sehr hoch. Es ist aber so, dass das jetzige System gewisse Studenten dazu bringt, oberflächlich und in Schachteln zu denken», gibt Michael Hengartner zu. Er ist Rektor der Universität Zürich und Präsident der Rektorenkonferenz der schweizerischen Hochschulen.

Man hat das Gefühl, wenn man mit einem Modul fertig ist, muss man sich nicht mehr mit dem Thema auseinandersetzen. Das ist natürlich absolut falsch.
Autor: Michael Hengartner Rektor Universität Zürich

Kritik richtet sich vor allem gegen das Bologna-System, das Anfang der 2000er-Jahre in der Schweiz eingeführt wurde. Eine Folge davon ist, dass die Studierenden im Laufe ihres Studiums Kreditpunkte sammeln müssen. Einige verleitet das offenbar dazu, möglichst rasch viele Punkte mit dem Abschluss von Modulen zu holen, statt sich intensiv mit dem Stoff zu befassen.

Hengartner verteidigt das System jedoch: «Bologna war grundsätzlich eine gute Idee: Es bietet äquivalente Abschlüsse überall in Europa, so dass studentische Mobilität erleichtert wird, und die Möglichkeit, dank Kreditsystem an einem Ort Gelerntes an einen anderen Ort zu transferieren.»

So funktioniert das System

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Die Bologna-Reform an Universitäten und Fachhochschulen ist Teil eines europäischen Abkommens, welches die Schweiz Ende der 90er Jahre mitunterzeichnet hat. Sie basiert auf einem dreistufigen Studiensystem mit Bachelor, Master und Doktorat und einem Leistungspunktesystem (European Credit Transfer System, ECTS).

Die Einführung habe aber in vielen Studiengängen dazu geführt, dass man nur noch in Modulen denke, hat auch der Zürcher Rektor beobachtet: «Man hat das Gefühl, wenn man mit einem Modul fertig ist, muss man sich nicht mehr mit dem Thema auseinandersetzen. Das ist natürlich absolut falsch.»

In der «Sonntagszeitung» werden auch Vertreter der kantonalen Anwaltsprüfungskommissionen zitiert. Das Niveau habe sich verschlechtert, oft fehle ein solides Grundwissen, wird moniert. Auch dieses Problem kann Hengartner nachvollziehen: «Das Grundwissen wird meist am Anfang des Studiums vermittelt. Wer es drei Jahre lang beiseite gelegt hat, müsste es wieder neu lernen oder mindestens vor der Prüfung wieder auffrischen.»

Rektor schlägt Gesamtprüfung vor

Müssten die Universitäten also woanders ansetzen? Hengartner sieht mehrere Verbesserungsmöglichkeiten: «Erstens könnte man die Studiengänge so aufeinander aufbauen, dass sie zum Beispiel das Grundwissen als Pflichtmodul voraussetzen, bevor weitere Module gemacht werden.» Dies wäre auch als Voraussetzung für den Master vorstellbar.

«Zweites kann man die Studenten verpflichten, eine Vertiefung auf Masterstufe zu machen.» Das hiesse, dass sie ihre Fächer nicht mehr total frei wählen könnten, so der Rektor. Der Effekt: Sie müssten sich konzentriert mit einem Thema auseinandersetzen. «Das Dritte, was man machen könnte, sind Abschlussprüfungen beim Bachelor oder beim Master», schlägt er vor.

«Also eine Gesamtprüfung, bei der man nochmals den Überblick über das ganze Fachgebiet testet, um zu sehen, ob die Person auch wirklich das ganze Wissen miteinander verknüpft.» Denn heute müsse man in vielen Studiengängen lediglich alle Module einzeln abschliessen, so Hengartner.

Was wir heute haben, ist Bologna 1.0. Die Software funktioniert, ist aber möglicherweise etwas ‹buggy›.
Autor: Michael Hengartner Rektor Universität Zürich

Jede Hochschule sei frei, solche Abschlussprüfungen einzuführen, sagt Hengartner. Bei einigen Studiengängen gebe es diese sogar schon. «Jede Doktorprüfung ist eine breite Prüfung. Und in Biologie an der Uni Zürich haben wir Masterprüfungen, bei denen das Gleiche gemacht wird.» Er könne sich auch vorstellen, solche Prüfungen auch beim Bachelor wieder einzuführen.

Fazit: Das geltende Hochschulsystem hat seine Schwächen. Das sieht auch Hengartner so. Er sieht aber Verbesserungspotenzial: «Was wir heute haben, ist Bologna 1.0. Die Software funktioniert, ist aber möglicherweise etwas ‹buggy›. Jetzt müssen wir schnellstmöglich Bologna 2.0 einführen.»

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