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Bund findet keine Hinweise zu Geheimdeal mit PLO
Aus Tagesschau vom 11.05.2016.
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Schweiz Bund findet keine Hinweise auf geheimes Abkommen mit PLO

Die vom Bundesrat eingesetzte Arbeitsgruppe hat keine Hinweise auf ein geheimes Stillhaltebkommen zwischen der Schweiz und der PLO auf dem Höhepunkt der Terroranschläge der 1970er-Jahre gefunden. Dieses Resultat widerspricht den Aussagen im Buch «Schweizer Terrorjahre» von NZZ-Redaktor Marcel Gyr.

«Schweizer Abkommen mit PLO enthüllt.» So titelte am 20. Januar die «Neue Zürcher Zeitung»: Bundesrat Pierre Graber, damaliger Vorsteher des Aussendepartements, habe im Herbst 1970 in Genf mit PLO-Vertretern ein Stillhalteabkommen abgeschlossen, das die Schweiz vor weiteren Terroranschlägen bewahrt habe, behauptet NZZ-Redaktor Marcel Gyr in seinem Buch «Schweizer Terrorjahre».

Zuvor war die Schweiz von mehreren Terroranschlägen betroffen. Der schwerste war der Bombenanschlag auf eine Swissair-Maschine, die im Februar 1970 bei Würenlingen AG abstürzte. 47 Menschen verloren dabei ihr Leben.

Keine Hinweise

Graber
Legende: Aussenminister Graber soll das Abkommen geschlossen haben, um Anschläge zu verhindern. Belege fehlen angeblich. Keystone

Nun stellt eine interdepartementale Arbeitsgruppe im Auftrag des Bundesrates fest, dass es ein solches Abkommen nie gegeben habe. Zum einen finde sich in den Archiven nirgends ein Hinweis darauf. Zum anderen wüssten alle noch lebenden möglichen Beteiligten nichts davon.

Die Arbeitsgruppe hatte Zugang zu allen Dossiers, die sie einsehen wollte. Ihre Recherchen stützte sie ausserdem auf Fichen der Bundespolizei, auf Unterlagen aus dem Privatbestand von alt Bundesrat Pierre Graber sowie auf Aussagen von Grabers persönlichem Berater Pierre-Yves Simonin und des damaligen Vizekanzlers Walter Buser.

Sicherheit gegen diplomatische Hilfe?

Die Arbeitsgruppe hatte sodann schriftlichen Kontakt zu Farouk Kaddoumi, der allerdings keine Informationen preisgab. Als Repräsentant der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) soll er gemäss Gyr das damalige Abkommen abgeschlossen haben.

Laut Gyr sicherte damals die Schweiz der damals als Terrororganisation eingestuften PLO Unterstützung auf internationalem Parkett zu. Im Gegenzug soll die PLO dafür gesorgt haben, dass die militanten palästinensischen Gruppen keine weiteren Anschläge auf Schweizer Ziele verübten.

Kaddoumi: «I don't remember»

Gemäss dem Bericht fand die Arbeitsgruppe keine Quelle, die ein Treffen zwischen Graber und Kaddoumi bestätigt oder glaubhaft erscheinen lässt. Kaddoumi selber gibt an, sich an nichts zu erinnern. «I don't remember», lautet die Antwort auf jede Frage. Nach Erkenntnissen der Arbeitsgruppe soll er erst 1976 erstmals in die Schweiz gereist sein. Mit einer anonymen Quelle des Buchautors war kein Kontakt möglich.

Und der Fall Würenlingen?

Gyr warf in seinem Buch auch die Frage auf, ob das Abkommen einen Einfluss auf die Ermittlungen zum Attentat von Würenlingen hatte. Als Hinweise darauf wertete er die angebliche Anwesenheit des damaligen Bundesanwalts Hans Walder in Genf und das mögliche Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem palästinensischen Unterhändler und den mutmasslichen Urhebern des Anschlags von Würenlingen.

Die Bundesanwaltschaft verdächtigte die beiden jordanischen Staatsangehörigen Kaddoumi Sufian Radi und Mass Badawi Jahwe. Die Ermittlungen verliefen allerdings im Sand. Gemäss dem Bericht der Arbeitsgruppe gibt es aber keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Ermittlungen behindert worden wären.

Aus den konsultierten Dossiers hätten sich keine Hinweise auf eine mögliche, politisch motivierte Einflussnahme des Bundesrats auf das gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren ergeben, heisst es in dem Bericht. Das bestätigte auch die ehemalige Bundesanwältin Carla Del Ponte, die die Akten 1995 noch einmal hervorgeholt hat. Nach eigenen Angaben wurden ihr bei den Untersuchungen keine Steine in den Weg gelegt.

Dispositiv mit Blick auf allfällige Geiselnahmen

Auch wenn es kein Geheimabkommen gab und die Ermittlungen nicht verschleppt wurden – Hinweise auf einen gewissen politischen Pragmatismus Grabers liefert der Bericht durchaus. Er befürchtete, dass die Palästinenser Terroranschläge verüben könnten, um die Freilassung dreier in Zürich inhaftierter Mitglieder der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) zu erwirken.

Sein Departement versuchte daher, «sehr diskrete Kontakte zu palästinensischen Organisationen herzustellen, auch durch Vermittlung von Personen ausserhalb der Bundesverwaltung», wie es in dem Bericht heisst. Zudem verabschiedeten die Zürcher Behörden und die Bundesbehörden ein gemeinsames Dispositiv zur Freilassung der drei Gefangenen im Falle einer Geiselnahme.

Audio
Keine Hinweise auf Schweizer Geheimabkommen mit der PLO
aus Rendez-vous vom 11.05.2016. Bild: Keystone
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Genau dieser Fall trat mit der Entführung einer Swissair-Maschine in die jordanische Wüste bei Zerqa ein. Die drei PFLP-Mitglieder wurden daraufhin freigelassen. Gemäss dem Bericht informierte Graber den Bundesrat über die getroffenen Vorbereitungen.

Die Arbeitsgruppe bestand aus Vertretern von EDA, EJPD, VBS und Bundesarchiv sowie der Bundesanwaltschaft. Sie konsultierte in den letzten Monaten rund 400 Dossiers, wobei alle Unterlagen von zwei Personen aus verschiedenen Ämtern geprüft wurden. Der Bericht wird nun den Geschäftsprüfungskommissionen der beiden Räte (GPK) weitergeleitet.

Stellungnahme der NZZ zum Bericht der Arbeitsgruppe

Die Recherchen von NZZ-Reporter Marcel Gyr über ein angebliches Geheimabkommen der Schweiz mit der PLO seien nicht aus der Luft gegriffen, sondern profund. Sie schlecht zu reden, diene der Sache nicht. Das schreibt René Zeller, stellvertretender Chefredaktor der NZZ, in einer Stellungnahme auf der Website der Zeitung. Die Arbeitsgruppe des Bundesrates habe zwar einen substanziellen Zwischenbericht erstellt, hält Zeller fest. Doch dass sie keine mündlichen Anhörungen organisiert habe, sei suboptimal. Unverständlich sei überdies, dass NZZ-Buchautor Gyr nicht zum persönlichen Gespräch, sondern nur zu einer schriftlichen Stellungnahme eingeladen worden sei. Der Ball liege nun bei den eidgenössischen Räten, konkret bei den Geschäftsprüfungskommissionen, findet Zeller. Sollten sich diese mit dem Schlussbericht des bundesrätlichen Arbeitsgruppe begnügen, so müsse dies als «leichtfertig» qualifiziert werden, heisst es in dem Text des stellvertretenden Chefredaktors.

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