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Die Profiteure der Krise
Aus Kassensturz vom 05.05.2020.
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Epidemieversicherung Müssen Versicherungen doch zahlen?

Epidemie-Versicherer wollen keine Entschädigungen zahlen. Ein Rechtsgutachter sagt, ob entsprechende AVBs korrekt sind.

Darauf warten alle: Auf das Rechtsgutachten*, das Klarheit schafft in der Frage, ob Epidemie- und Reiseversicherungen in der Pflicht stehen oder nicht. Kurz: Ob die aktuelle Pandemie in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen AVB abgedeckt oder ausgeschlossen wird. Das Gutachten ist da – und liegt «Kassensturz» vor.

Nach meiner Einschätzung liegt […] kein Ausschluss vor.
Autor: Walter Fellmann Gutachter

Klares Rechtsgutachten

Gutachter Professor Walter Fellmann von der Universität Luzern schlägt klare Töne an: «Nach meiner Einschätzung liegt […] kein Ausschluss vor, der bei grundsätzlicher Deckung von Epidemien Pandemien in bestimmter, unzweideutiger Fassung von der Versicherung ausschliessen würde. Nach Art. 33 VVG ist der Ausschluss daher nicht gültig.»

Damit ist klar: Geht es nach dem Gutachten, das Martin Lorenzon, Ombudsman der Privatversicherung und Suva, in Auftrag gegeben hat, können Versicherungen sich nicht hinter dem Begriff Pandemie verstecken. Und das wiederum bedeutet: Versicherungen müssen die versicherten Leistungen erbringen.

Versicherungen lehnen die Deckung ab

«Kassensturz» haben in den letzten Wochen immer wieder Nachrichten von verzweifelten Wirten erreicht, die ums Überleben kämpfen. Eigentlich haben sie vorgesorgt: Sie haben Epidemieversicherungen abgeschlossen, die im Falle einer Betriebsschliessung finanziell in die Bresche springen. «Ich habe meine Versicherungspolice hervorgeholt und festgestellt: Wir sind ganz gut versichert!», sagt Roland Staudenmann vom Restaurant «Casa Marcello» in Bern. Ausgeschlossen seien nur Influenza und Geschlechtskrankheiten aller Art.

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Wirt Roland Staudenmann über die Begründung der Versicherung
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Seine Versicherung, die TSM, lehnt die Deckung dennoch ab. Begründung: Eine Pandemie sei keine Epidemie. Und später schiebt die TSM nach, die Schliessung des Restaurants habe nichts mit der Coronapandemie zu tun. Die Massnahmen des Bundesrates seien schuld.

Eine Pandemie erfüllt alle Merkmale einer Epidemie auch.
Autor: Stephan Fuhrer Professor für Privatversicherungsrecht der Universität Basel

Eine Pandemie ist eine Epidemie

Stephan Fuhrer, Professor für Privatversicherungsrecht der Universität Basel, findet diese Argumentation unhaltbar. Ebenso die Unterscheidung zwischen Epidemie und Pandemie. «Eine Pandemie erfüllt alle Merkmale einer Epidemie auch», sagt er. Der unabhängige Gutachter Fellmann kommt zum selben Schluss. Er erklärt in seinem über 40-seitigen Gutachten, dass eine Pandemie und eine Epidemie sich «bloss durch ihren Umfang» unterscheiden.

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Laut Stephan Fuhrer, Professor für Privatversicherungsrecht, hält die Argumentation nicht stand
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Das Gesetz schützt den Konsumenten

«Bei uns verweist die Axa auf die WHO-Pandemiestufen 5 oder 6. Gelten diese, sei das ein Ausschluss», sagt Gastronomin Derya Kilic. Ihr Vater und ihr Onkel besitzen gemeinsam die Pizzeria Bahnhof in Lotzwil (BE). Auch sie dachten, dass sie mit ihrer Epidemieversicherung gut abgedeckt seien. Auch sie mussten feststellen, dass ihre Versicherung nicht zahlt. «Da bröckelt das Vertrauen», sagt Derya Kilic.

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Wirtin Derya Kilic ist unglaublich enttäuscht von der Versicherung
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Die Meinungen beider Experten sind auch in diesem Fall praktisch identisch: Die Klausel mit den Pandemiestufen sei überraschend. «Das Gesetz schützt den Konsumenten vor überraschenden Klauseln», sagt Stephan Fuhrer. «Wenn ich eine Epidemieversicherung kaufe, muss ich nicht damit rechnen, dass bei einer ganz schlimmen Epidemie keine Leistung erhalte.»

*Das Gutachten von Walter Fellmann, Professor für Privatrecht an der Universität Luzern, bildet die Grundlage des Berichts von Martin Lorenzon, Ombudsman der Privatversicherung und Suva. Dieser verfasst einen unabhängigen Bericht, nach Anhörung verschiedener Parteien. Der Bericht sollte in den nächsten Tagen erscheinen.

Das sagen Versicherungen

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  • TSM

Betreffend den Deckungsumfang, bzw. dessen Geltungsbereich im Rahmen dieses unvorhersehbaren und noch nie dagewesenen Ereignisses gehen die Expertenmeinungen weit auseinander. Es könnte davon ausgegangen werden, dass die Versicherung die Folgen eines solchen allgemeinen und unvorhersehbaren Ereignisses, das sich gleichzeitig schweizweit und auf der ganzen Welt ereignet, nicht abdecken kann. Eine solche globale Naturkatastrophe stellt ein unerwartetes und nicht versicherbares Risiko dar, dessen Folgen z.B. durch den Schweizerischen Fonds für Hilfe bei nicht versicherbaren Elementarschäden gedeckt werden müssten (wie dies bereits bei Schäden aus Naturkatastrophen von begrenzterem Ausmass wie Lawinen, Frost, Überschwemmungen usw. der Fall ist).

Eine solche Lösung wäre umso mehr gerechtfertigt, als die vom Bundesrat im öffentlichen Interesse getroffenen Entscheide zur Bekämpfung der zu raschen Ausbreitung von Covid-19 und zur Vermeidung einer Implosion des Spitalwesens alle Unternehmen des Gaststättengewerbes, ob versichert oder nicht, gleichzeitig betroffen haben, ohne dass sie konkret von Fällen von Coronavirus betroffen waren.

Die Versicherer die schädlichen wirtschaftlichen Folgen einer allgemeinen und abstrakten politischen Entscheidung tragen zu lassen, die alle Akteure eines ganzen Wirtschaftszweiges gleichermassen betrifft, würde das Solidaritätsprinzip, das dem Konzept des Poolings der Risiken zugrunde liegt, aus den Angeln heben, solange die Versicherungsgesellschaften die Risiken all ihrer Versicherungsnehmer gleichzeitig tragen müssten. Dies würde darauf hinauslaufen, dass Versicherungsgesellschaften für Risiken einstehen müssten, welche nicht jenen entsprechen, für welche eine Versicherung abgeschlossen wurde, sondern jene des Staates.

  • Axa

Wir bedauern die schwierige Situation der Gastrobetriebe und haben deshalb auch Verständnis, dass der Pandemie-Ausschluss aus unterschiedlichen Blickwinkeln kritisch hinterfragt wird.

Wir müssen aber klar festhalten, dass unser Epidemieversicherungsprodukt nie dafür gedacht war und deshalb auch nicht darauf ausgelegt ist, die finanziellen Folgen einer Pandemie zu tragen. Zweck der Epidemieversicherung der AXA ist es, einzelne Betriebe vor den Folgen von Hygieneproblemen und eines örtlich begrenzten Ausbruchs eines Krankheitserregers zu schützen, etwa wenn in einem Restaurant die Kühlung versagt und deshalb Lebensmittel vernichtet werden müssen oder ein verdorbenes Gericht zu Salmonellenvergiftungen führt. Eine Epidemie ist gemäss Definition des BAG als lokal und zeitlich begrenztes Krankheitsgeschehen definiert und damit berechenbar. Eine Pandemie im Gegensatz ist unbegrenzt und damit unberechenbar, was etwas fundamental anderes ist. Pandemien dennoch einzuschliessen, würde die für viele Gastronomiebetriebe wichtige Epidemieversicherung unbezahlbar machen. Pandemien wurden von uns – wie übrigens zum Beispiel auch die Folgen einer Grippe – deshalb von vornherein ausdrücklich ausgeschlossen, was in den Vertragsbedingungen klar und unmissverständlich festgehalten ist.

  • Helvetia

Helvetia hat eine Vergleichslösung für Schweizer Gastro-Unternehmen erarbeitet, die bei ihr eine Epidemie-Versicherung mit Pandemie-Ausschluss abgeschlossen haben. Mit der Vergleichslösung reagiert Helvetia darauf, dass es unterschiedliche Auffassungen über die Wirksamkeit des Pandemie-Ausschlusses in der Epidemie-Versicherung gibt: Helvetia erachtet eine Pandemie als ein nur beschränkt versicherbares Risiko und hat daher in der Epidemie-Versicherung dieses Ereignis ausgeschlossen. Besteht keine Versicherungsdeckung, muss Helvetia keine Schäden vergüten. Diese Ansicht wird auch von einem Rechtsgutachten gestützt, das Helvetia bei einer renommierten Anwaltskanzlei hat erstellen lassen. Bis zur Beurteilung des Pandemie-Ausschlusses durch das Bundesgericht herrscht jedoch Unsicherheit über dessen Auslegung. Eine solche Beurteilung dürfte frühestens in ein bis zwei Jahren erfolgen, was in der aktuellen Situation niemandem hilft. Mit der Vergleichslösung will Helvetia umgehend für Sicherheit sorgen und Hand für eine pragmatische Lösung bieten, mit der betroffene Betriebe sofort für ihre Ausfälle aufgrund der zur Eindämmung von Covid-19 verordneten Betriebsschliessungen mittels einer Pauschale entschädigt werden.

  • Generali

Generali sah sich bei der Lancierung seiner Hygiene-Versicherung im Jahr 2017 nicht im Stande, die Folgen einer Betriebsschliessung beim Auftreten eines systemisches Risiko wie eine weltweite Pandemie zu einer für die Zielkundschaft (Restaurateurs und Hotels) tragbaren Prämie einzuschliessen. Deshalb wurden solche Folgen aus unserer Deckung ausgeschlossen, was in den Vertragsbedingungen ausdrücklich so festgehalten ist. Unseren Kunden wurde für solch ein Risiko demzufolge auch keine Prämie verrechnet.

Angesichts der für uns alle neuen und aussergewöhnlichen Situation stehen wir in verstärktem Kontakt mit unseren Versicherungsnehmenden und sind bemüht, wo immer möglich individuelle Lösungen für deren sehr individuellen Probleme zu finden. Der vom Bundesrat verordnete Lockdown hat je nach Gastrokonzept (Klassische Restaurants, Take Aways etc.) sehr unterschiedliche wirtschaftliche Auswirkungen auf unsere Kundinnen und Kunden. Wir prüfen daher jeden gemeldeten Schadenfall individuell und gehen direkt auf die betroffenen Betriebe zu.

Kassensturz, 05.05.2020, 21.05 Uhr

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