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Schweiz «Nun braucht es innenpolitische Massnahmen»

Das Nein aus Brüssel zu Verhandlungen über die Personenfreizügigkeit löst bei Schweizer Politikern unterschiedliche Reaktionen aus. Einige fordern eine neue Volksabstimmung, um den freien Personenverkehr zu retten. Andere wollen das Abkommen kündigen, sollte die EU nicht auf die Schweiz eingehen.

Das Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative kam in Brüssel schlecht an. Das weiss man schon lange. Jetzt hat der Bundesrat die offizielle Reaktion der EU auch schwarz auf weiss: «Die Freizügigkeit ist nicht verhandelbar», heisst es im Schreiben, das nun im Wortlaut vorliegt. Der Brief wurde am Donnerstagmorgen verabschiedet und dürfte in den nächsten Tagen in Bern eintreffen, sagt Oliver Washington, SRF-Korrespondent in Brüssel.

«Diskussion ja, aber nicht über das Abkommen»

«Über die Personenfreizügigkeit gibt es keinen Handlungsspielraum», ist Washington überzeugt. Der Brief sei von den Botschaftern aller 28 EU-Mitgliedstaaten einstimmig verabschiedet worden. Alle wüssten, wenn die EU die Personenfreizügigkeit einschränke, beginnt sie an der eigenen Basis zu sägen und das wolle niemand.

Zwar sei die EU immer noch gesprächsbereit, allerdings nur, um über die Umsetzung, aber nicht über das Abkommen selber zu diskutieren, sagt Washington.

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Einschätzungen von SRF-Bundeshausredaktor Hanspeter Forster
Aus Tagesschau vom 24.07.2014.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 33 Sekunden.

Auch Hanspeter Forster, SRF-Bundeshaus-Korrespondent, sieht das offerierte Verhandlungsangebot der EU als reine Formsache, weil man das so vereinbart habe.

«Aber die Positionen sind derart festgefahren, dass das Personenfreizügigkeitsabkommen nicht mehr zu retten ist.»Aus Schweizer Sicht wäre das zu verschmerzen, aber die EU drohe, alle anderen bilateralen Abkommen zu kündigen. «Das zu verhindern wird das Hauptaugenmerk des Bundesrats sein für die weiteren Verhandlungen.»

Der Bundesrat bleibt stumm

Diese Nachricht erreicht die Schweizer Politiker in der Sommerpause. «Das ist keine Überraschung», töne es von allen Seiten, sagt SRF-Bundeshauskorrespondent Dominik Meier.

Der Bundesrat selber bleibt stumm. Solange der Brief aus Brüssel nicht eingetroffen sei, gebe es nichts zu sagen, heisst es im Aussendepartement.

Porträt Andy Tschümperlin
Legende: SP-Fraktionspräsident Andy Tschümperlin sieht die Zeit reif für innenpolitische Massnahmen. Keystone

Die Parteien seien da schon forscher, sagt Meier. Für die SP sei das Konzept des Bundesrats für die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative mit dem heutigen Tag gescheitert. Es sei klar, sagt SP-Fraktionschef Andy Tschümperlin, «dass die Personenfreizügigkeit nicht verhandelbar ist und die Kontingentlösungen, die der Bundesrat vorschlägt, hier nicht umsetzbar sind.»

Neue Volksabstimmung gefordert

Statt mit der EU zu verhandeln, brauche es nun innenpolitische Massnahmen, ist Tschümperlin überzeugt. Damit Firmen von sich aus mehr Einheimische anstellten, statt Zuwanderer ins Land zu holen.

Auch die BDP setzt nicht mehr auf Verhandlungen mit Brüssel: Sie will sofort eine neue Volksabstimmung über den freien Personenverkehr – um diesen zu retten.

FDP und CVP sind optimistisch

Für CVP und FDP aber ist es zu früh für eine Abstimmung. Beide Parteien wollen vorerst mit Brüssel weiter verhandeln. «Es kann durchaus sein, dass die EU pokert und doch noch etwas möglich ist», glaubt Nationalrätin Elisabeth Schneider (CVP/BL). Die EU lasse im Brief ja ein Hintertürchen offen, ergänzt Aussenpolitiker und Ständerat Felix Gutzwiller (FDP/ZH): Die EU zeige sich offen für Gespräche in praktischen Fragen.

«Das lässt die Hoffnung offen, dass man miteinander ins Gespräch kommt. Wenn der Dialog beginnt, lässt sich das vielleicht auch auf andere EU-Länder ausweiten, die ähnliche Probleme haben», sagt Gutzwiller. Vielleicht sei am Schluss eine neue Ventilklausel möglich, eine Art absolute Obergrenze für die gesamte Zuwanderung.

«Nichtmitglied kann anderes vereinbaren»

Auch die SVP, Begründerin der Masseneinwanderungs-Initiative, setzt trotz des Absage-Briefes auf Verhandlungen: Der Bundesrat müsse jetzt in Brüssel alle Hebel in Bewegung setzen, sagt SVP-Vizepräsident Luzi Stamm: «Es ist selbstverständlich, dass ein Nichtmitglied betreffend Einwanderung mit der EU etwas anderes vereinbaren kann. Da wird auch die EU Ja sagen. Sollte sie dies nicht tun, müsste man das Abkommen kündigen, nach drei Jahren und einem Tag.»

Video
Das Nein der EU
Aus 10 vor 10 vom 24.07.2014.
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 47 Sekunden.

SVP-Vizepräsident Christoh Blocher ist gleicher Meinung. Wenn die EU nicht verhandeln wolle, müsse der Bundesrat sagen, wir kündigen das Personenfreizügigkeitsabkommen.

Bilateralen sind im Interesse der EU

Die dadurch gefährdeten bilateralen Verträge lägen aber vor allem auch im Interesse der EU, sagt Blocher. «Denken Sie an den Landverkehrsvertrag. Der ist für die EU entscheidend. Wenn sie den Vertrag kündigt, hängt alles in der Luft. Wir könnten ja den Verkehr sperren.»

Im Personenfreizügigkeitsabkommen ist im Artikel 14 festgehalten, dass bei schwerwiegenden wirtschaftlichen oder sozialen Problemen Abhilfemassnahmen geprüft werden können. Für den Europa-Experten Gilbert Casasus, Professor für Europastudien besteht aber derzeit kein Grund zur Anwendung dieses Artikels 14. «Es besteht derzeit keine schwerwiegende Situation, bei der die ganze Schweizer Wirtschaft am seidenen Faden hängt.»

Blocher widerspricht: Wenn über 80'000 Personen pro Jahr in die Schweiz kommen, sei das ein schwerwiegendes Problem. Kein Land der EU habe verhältnismässig eine so grosse Einwanderung. «Wir haben ein Problem, und über 50 Prozent der Bevölkerung findet, wir haben ein Problem.»

SRF-Korrespondent Oliver Washington hält die Erwartungen, dass über Gesprächsbereitschaft so etwas wie Verhandlungen entstehen könnten, für wenig realistisch. Wenn die Gegenseite nicht verhandeln wolle, liege der Ball bei der Schweiz. Dann müsse sich die Schweiz überlegen: «Was dann?»

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