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Schweiz Schweiz-EU: Wer soll im Streitfall Recht sprechen?

Jahrelang kam man nicht vom Fleck, jetzt laufen die Gespräche heiss. Der Knackpunkt: Wer überwacht, ob bilaterale Abkommen eingehalten werden? Die Chefunterhändler der EU und der Schweiz haben mögliche Lösungen dieses Problems skizziert – in einem Bericht zuhanden der EU und des Bundesrates.

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Keine fremden Richter erwünscht
aus Echo der Zeit vom 17.05.2013.
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Seit Jahren schon streiten die EU und die Schweiz sich um die Zukunft des bilateralen Weges. Jahrelang waren die Gespräche faktisch blockiert. Jetzt ist offenbar eine Einigung in Sicht: Die Chefunterhändler der EU und der Schweiz, David O'Sullivan und Yves Rossier, haben in einem Bericht mehrere Lösungen auf den Tisch gelegt. Gemäss Recherchen von SRF-Korrespondent Urs Bruderer in Brüssel favorisieren beide dieselbe Lösung.

SRF: Urs Bruderer, was ist denn genau das Problem, das gelöst werden muss?

Urs Bruderer: Es ist aus EU-Sicht grob gesagt das: Die Schweiz kann dank der bilateralen Abkommen in vielen Bereichen vom EU-Binnenmarkt profitieren wie ein EU-Land. Sie ist aber als Nicht-EU-Land nicht denselben Behörden unterworfen. Und die Probleme fangen an, wenn die EU die Marktregeln verändert. Die EU-Länder müssen die Auflagen umsetzen. Schert ein Land aus, wird die EU-Kommission als Überwachungsbehörde aktiv, und zuletzt könnte der Europäische Gerichtshof als oberste juristische Instanz das Land gar zur Durchsetzung der Auflagen zwingen.

Und wie läuft das mit der Schweiz?

Der Schweiz muss man sagen, dass sie sich anpassen soll, und dann setzt üblicherweise das ein, was wir autonomen Nachvollzug nennen. Das heisst, die Schweiz passt sich an. Was aber, wenn die Anpassung aus Sicht der EU ungenügend ist? Wenn die Schweiz dadurch einen Vorteil hat gegenüber der EU-Konkurrenz? Heute kann die EU nur das Gespräch suchen, und theoretisch kann sie, wenn man sich nicht einigt, ein Abkommen auch aufkündigen. Tatsächlich bleiben diese Gespräche heute aber meist folgenlos.

Mann in Sennentracht schultert eine Schweizer und eine EU-Fahne vor blauem Himmel.
Legende: Die Unterhändler sind sich offenbar einig, wie es mit dem bilateralen Weg weitergehen soll. Keystone

Es fehlt also eine Überwachungsbehörde für die bilateralen Abkommen. Ein Vorschlag, über den der Bundesrat jetzt beraten muss, schlägt offenbar vor, auch in Zukunft keine solche Behörde zu schaffen. Warum das?

Das liegt meines Erachtens in der Natur des Bilateralismus. Ein Gebilde wie die EU, ein Zusammenschluss von 27 Ländern, braucht eine einzige Überwachungsbehörde, sonst müssten alle 27 je 26 andere überwachen. Das wäre unsinnig und würde ins Chaos führen. Bei einem Vertrag zwischen zwei Parteien hingegen ist es anders. Da überwacht man sich gegenseitig. Das heisst aber auch: Die EU-Kommission wird die Schweiz überwachen. Das ist hart, weil der Bundesrat bisher immer von einer nationalen Überwachungsbehörde gesprochen hat. Doch faktisch überwacht die EU-Kommission heute schon die Schweiz.

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Einschätzung von EU-Korrespondent Urs Bruderer
aus Rendez-vous vom 17.05.2013.
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Da ist also politischer Zündstoff drin. Noch mehr Zündstoff enthält aber wohl die Lösung in der Frage des obersten Gerichtes. Diese Rolle überlässt die Schweiz laut dem Vorschlag dem Europäischen Gerichtshof – also fremden Richtern ...

Genau. Kommt es heute im gemischten Ausschuss zu einem Streit zwischen der EU und der Schweiz, gibt es kein Gericht, das als Schiedsrichter auftreten könnte. Neu wäre das dann der Europäische Gerichtshof. Er würde seine Meinung dazu abgeben, ob zum Beispiel die Schweizer Umsetzung neuer Hygiene-Auflagen für Zahnpasta den EU-Binnenmarktregeln entspricht oder nicht. Der Gerichtshof gibt aber nur eine Meinung ab, kein eigentliches Urteil. Das heisst, die Schweiz bleibt frei, diese Meinung zu akzeptieren und sich anzupassen – oder eben nicht.

Neuer Vertrag mit Brüssel

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Zankapfel zwischen Bern und Brüssel ist die Übernahme und Auslegung von EU-Recht. Die Chefunterhändler haben deshalb drei Vorschläge für ein neues Institutionen-Abkommen mit der EU ausgearbeitet. Sie empfehlen die Option, bei der die Schweiz formal über die Übernahme entscheidet, vorab aber die Meinung des Europäischen Gerichtshofs einholen muss.

Und wenn sie das nicht tut?

Dann kann die EU – wie heute schon – das betreffende bilaterale Abkommen aufkündigen oder den Streit, wie so oft bisher, ungelöst weiter wabern lassen. In Wirklichkeit glaube ich aber, dass der Druck für die Schweiz sehr gross ist, diesen Meinungen Folge zu leisten. Weil umgekehrt der Druck für die EU sehr gross wäre, einer solchen Meinung Taten folgen zu lassen. Die EU kann es kaum dulden, dass ein Land wie die Schweiz am EU-Binnenmarkt teilnimmt, obwohl der Gerichtshof zum Schluss kommt, dass das Land sich nicht an die Binnenmarktregeln hält.

Bleibt die Schweiz so souverän?

Auf dem Papier ja. In der Wirklichkeit eher nein. Faktisch würde die Schweiz mit diesem Vorschlag sagen, wir organisieren unsere Beziehung mit der EU weiterhin über bilaterale Verträge, aber wir akzeptieren, dass die rechtliche Interpretation dieser Verträge Sache der EU ist. Aber wie gesagt, das ist ein Vorschlag der beiden Chefunterhändler. Jetzt müssen sich beide Seiten überlegen, ob sie sich darauf einlassen wollen.

Das Interview mit EU-Korrespondent Urs Bruderer wurde geführt von SRF-Rendez-vous-Redaktor Simon Leu.

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