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Frau Weichelt, hat Sie das Attentat verändert?
Aus Tagesschau am Vorabend vom 27.09.2021.
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Zuger Attentat: 20. Jahrestag «Habe deutlich gemerkt: Das Leben kann jede Sekunde fertig sein»

Das Zuger Attentat jährt sich zum 20. Mal. Damals im Raum war auch die ehemalige Kantonsrätin Manuela Weichelt. Heute blickt sie auf den Tag zurück, den das ganze Land schockierte.

Manuela Weichelt

Manuela Weichelt

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Manuela Weichelt ist eine Schweizer Politikerin. Seit 2019 vertritt sie die «Alternative – die Grünen Zug» im Nationalrat. Von 1994 bis 2002 war sie Zuger Kantonsrätin. 2001 überlebte sie das Zuger Attentat, als während einer Sitzung des Kantonsrates im Parlamentsgebäude des Kantons Zug ein Attentäter 14 Politiker erschoss.

SRF: Vor 20 Jahren ist das Attentat im Zuger Kantonsrat verübt worden. Heute ist es für Sie wohl noch etwas präsenter als sonst.

Manuela Weichelt: Das ist so – auch wegen des grossen Medieninteresses und den Filmen, die gedreht wurden. Das ganze geht mir näher, als ich gedacht hätte.

Sie sind ganz in Schwarz gekleidet, ich denke, das hat etwas damit zu tun.

Ich habe mir gut überlegt, was ich heute anziehen soll. Ich habe mich dafür entschieden, dass ich auch mit der Kleidung meine Anteilnahme am Schicksal jener Menschen – meiner Kolleginnen und Kollegen –, die das Leben lassen mussten, zeige. Das gilt auch für jene, die verletzt wurden.

Ich bin sehr froh, konnte ich damals funktionieren.

Es waren zweieinhalb Minuten, in denen in nächster Nähe von Ihnen 14 Menschen getötet wurden, die sie gut kannten. Wie präsent ist das noch in Ihrem Leben?

Neben den Toten sind viele auch körperlich verletzt worden. Und alle wurden psychisch verletzt. Für mich ist dieser Tag fast täglich eine Zehntelsekunde präsent. Ich konnte es aber dank einer Traumatherapie gut in mein Leben integrieren. Es ist ein Bestandteil meines Lebens, den ich nie mehr ausradieren kann. Und es gibt Momente, bei Sitzungen zum Beispiel, in denen ich nicht gerne mit dem Rücken zur Türe sitze, weil mir dann der Fluchtweg genommen wird.

Parmelin an Gedenkanlass in Zug

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Legende: Keystone

Zum 20. Jahrestag des Zuger Attentats hat am Montagabend in Zug ein Gedenkanlass stattgefunden. Die besinnlichen Momente wurden musikalisch umrahmt von der Zuger Sinfonietta und dem Chor Audite Nova Zug.

Gemeinsam lasse sich das Unaussprechbare besser ertragen, sagte der Zuger Landammann Martin Pfister (Mitte) zu Beginn des ökumenischen Gedenkanlasses in der Kirche St. Michael, zu dem rund 250 Personen gekommen waren. Die Besinnung wurde per Livestream übertragen.

«Der Attentäter hat unser Grundvertrauen zwar gestört, nicht aber zerstört», sagte Pfister. Und: Vergessen helfe, Wunden zu heilen. Aber es gebe auch Wunden, an die sich eine Gesellschaft erinnern müsse.

«Angriff auf die offene Demokratie»


Auch Bundespräsident Parmelin war an diesem Abend nach Zug gereist, um der Opfer zu gedenken und sein Mitgefühl auszusprechen. Er richte es an alle, die bei diesem Anschlag einen lieben Menschen verloren hätten oder die selber körperlich oder seelisch verletzt worden seien, sagte er.

«Es war ein Angriff auf die offene Demokratie, auf die Eigenart unseres Landes, auf die wir alle so stolz sind», sagte Parmelin. Doch durch die erlebte Solidarität habe die Demokratie auch an Stärke gewonnen.

Nur wer sich erinnere, könne verhindern, dass sich die Geschichte wiederhole, sagte die Zuger Kantonsratspräsidentin Esther Haas (ALG). Sie rief dazu auf, der Verletzlichkeit mit Achtsamkeit und gegenseitigem Wohlwollen zu begegnen.

Ich las in einem Porträt über Sie, dass Sie in den ersten Minuten und Stunden nach dem Attentat «einfach funktioniert haben». Als ausgebildete Pflegefachfrau konnten Sie Hilfe leisten.

Ich bin sehr froh, konnte ich damals funktionieren. Das heisst aber nicht, dass das bei einem nächsten Ereignis wieder so wäre. Es heisst auch nicht, dass, nur weil man ausgebildet ist, man funktionieren kann. Ich bin froh, konnte ich das in dem Moment tun. Ab dem nächsten Tag benötigte ich aber wirklich die Unterstützung einer Traumatherapie während mehr als einem Jahr.

Ich will zurück, ich will wieder mitentscheiden und nicht nur passiv darüber lesen.

Sie hatten Ihre politische Karriere 2002 vorerst beendet. Unterdessen haben Sie aber trotzdem politische Karriere gemacht. Hätten Sie sich das nach dem Attentat noch vorstellen können?

Ich habe es nicht ausgeschlossen. Es war für mich damals wichtig, die Legislatur fertig zu machen. Meine Fraktion als Chefin noch zu begleiten, auch in dem Trauma mit einem Regierungsrat von uns, der einen Lungendurchschuss erlitten hatte und mit einer Kollegin, die seither im Rollstuhl ist. Ich brauchte dann aber eine Pause, um mich persönlich zu stabilisieren. Ich stieg dann wieder als Kantonalpräsidentin meiner Partei ein und wurde 2007 in die Regierung gewählt. Wo ich mich dann auch einsetzen konnte für ein schärferes Waffengesetz, für Sicherheit und für Ombudsstellen.

Ich habe sehr deutlich gemerkt, wie das Leben in jeder Sekunde fertig sein kann.

Das Attentat spielte beim Entscheid, weiter zu politisieren, also eine Rolle?

Ja, in den zwei Jahren, in denen ich für mich schaute, habe ich zum Beispiel, wenn ich in der Zeitung das politische Geschehen verfolgte, gemerkt: Ich will zurück, ich will wieder mitentscheiden und nicht nur passiv darüber lesen.

Hat Sie das Attentat verändert?

Auf jeden Fall. Ich habe sehr deutlich gemerkt, wie das Leben in jeder Sekunde fertig sein kann. Ich habe gelernt, das Leben eben heute zu geniessen und nicht zu denken, das mach ich dann in einem Monat oder nach der Pensionierung – das ist das eine. Das andere: Als ich dann Kinder hatte, habe ich gemerkt, dass es wichtig ist, dass sie auch andere enge Bezugspersonen haben, weil ich nie weiss, wann mein Leben fertig ist.

Das Gespräch führte Gion-Duri Vincenz.

Video
Gedenkanlass zum Attentat von Zug vor 20 Jahren
Aus 10 vor 10 vom 27.09.2021.
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SRF 1, Tagesschau am Vorabend, 27.09.2021, 18:00 Uhr;

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