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Wirtschaft Die Schweiz und Island: «Zwei Inseln in Europa»

Im Jahr 2008 drohte Island der Staatsbankrott. Heute scheint die Wende geschafft. Der isländische Premierminister Sigmundur Gunnlaugsson äussert sich zur Wirtschaftslage Islands, der Griechenland-Krise und seiner Beziehung zur Schweiz.

Wenn man heute über einen allfälligen europäischen Staatsbankrott spricht, denken wohl die wenigsten an Island, den kleinen Inselstaat mitten im Atlantik. Vor sechseinhalb Jahren allerdings sah die Welt noch anders aus. Kurz nachdem Ende September 2008 die amerikanische Investmentbank Lehman Brothers Insolvenz anmeldete, musste mit Glitnir die drittgrösste isländische Bank verstaatlicht werden. Zwei Tage später erfuhr dem grössten Kreditinstitut der Insel, der Kaupthing Bank, das gleiche Schicksal.

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Islands Rezepte aus der Krise
Aus Tagesschau vom 07.05.2015.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 27 Sekunden.

Da der Wert des isländischen Bankensektors das Bruttoinlandprodukt gut zehnmal übertraf, bestand die Gefahr, dass die isländische Wirtschaft im Sog der Bankenkrise untergehen könnte. Ein Staatsbankrott wäre die Folge gewesen. Mit strengen Kapitalverkehrskontrollen, einem internationalen Rettungspaket und einem rigorosen Sparprogramm konnte das Schlimmste abgewendet werden. Das Massnahmenpaket hatte Erfolg und brachte Island die wirtschaftliche Wende.

Gegenüber SRF äussert sich der isländische Premierminister Sigmundur Davíð Gunnlaugson am Rande des Symposiums der Universität St. Gallen, wie Island den Umschwung schaffen konnte, welche Ratschläge er Griechenland erteilen würde und welche Beziehungen er zur Schweiz pflegt.

Wirtschaft heute auf gutem Weg

Der Premierminister weiss, warum sich das Land so gut erholt seit der Krise: «Wir sind ein kleines, leicht manövrierbares Land mit einer eigenen Währung. Das hat unsere Exportindustrie angekurbelt.» Es sei wichtig gewesen, dass sich die Wirtschaft nach Ausbruch der Krise diversifiziert habe. Heute würden Fischerei, Pharma und vor allem Tourismus das Fundament der isländischen Wirtschaft bilden.

Der Bankensektor hingegen sei auf ein Bruchteil der ursprünglichen Grösse geschrumpft und könne so der isländischen Wirtschaft auch besser dienen: «Die Banken konzentrieren sich wieder auf das wesentliche Geschäft. Sie leihen Geld für Projekte, die echten Wert erzielen.»

Wenig Vertrauen, aber sehr glücklich

Nur die Zinsen seien «noch etwas hoch», bemängelt Gunnlaugson. Er sei aber trotzdem froh, dass die isländische Nationalbank eine vorsichtige Geldpolitik praktiziere, denn mit diesem Kurs hätten sie das Problem der Inflation gelöst, die Island seit Jahrzehnten zu schaffen machte. Die Leitzinsen der isländischen Nationalbank betragen derzeit gut 4 Prozent

Die Arbeitslosigkeit beträgt heute weniger als drei Prozent und die Teuerung liegt knapp über der 0-Prozent-Grenze. Die wirtschaftlichen Probleme seien weitgehend gelöst, so der isländische Premier. Island würde aber «unter einer Art psychologischem Problem» leiden. Es herrsche ein grosses Misstrauen gegenüber Wirtschafts- und Politikvertretern. Auch der wirtschaftliche Erfolg habe den Versöhnungsprozess nur langsam vorangetrieben.

Steigende Löhne haben Island letztes Jahr europaweit kaufkraftbereinigt das grösste Wachstum beschert. Aufgrund der tiefen Inflation seien diese Löhne nun auch mehr wert. Gunnlaugsons Wahlkampagne versprach mehr wirtschaftliche Gleichberechtigung: Er wolle die Lohnschere in Island weiter schliessen und die Wirtschaftsverhältnisse für die gesamte Bevölkerung fairer gestalten.

Ob nun aufgrund dieser neuen Verhältnisse oder der atemberaubenden Natur auf der Insel: Die Isländer gehören zu den glücklichsten Menschen in Europa. Auf dem Ende April veröffentlichten Glücks-Index der UNO belegt Island den zweiten Platz – hinter der Schweiz.

Island und Griechenland: Ein schwieriger Vergleich

Ein Vergleich Islands, das fast bankrott war, mit dem schuldgeplagten Griechenland, dem derzeit dieses Schicksal droht, liegt nahe. Sigmundur Davíð Gunnlaugsson aber widerspricht: «Es ist schwierig Griechenland mit Island zu vergleichen. Die Situation ist grundverschieden.» Griechenland sei im Gegensatz zu Island EU-Mitglied und habe den Euro. Dies schränke die Möglichkeiten, die Krise zu überwinden, merklich ein.

Einen Ratschlag an die Griechen kann er sich dann aber doch nicht verkneifen: «Zahlt diese Schuld so schnell wie möglich zurück. Eine hohe Staatsschuld ist toxisch.» Er nimmt aber auch die EU-Mitgliedsstaaten in die Pflicht: «Wenn die Schuld so hoch bleibt, ist es nicht angemessen, Griechenland einen so engen Zeitrahmen vorzugeben. Die EU-Staaten sollten sich etwas erkenntlicher zeigen.»

Vergleich mit der Schweiz

Geo- und demografisch lassen sich auch die Schweiz und Island nicht wirklich vergleichen. Sigmundur Davíð Gunnlaugsson wagt den Vergleich trotzdem: «Wir sind beide Inseln – Island im Atlantik und die Schweiz mitten in Europa.» Beide Völker seien naturverbunden und misstrauisch gegenüber fremden Obrigkeiten.

Die Schweiz solle ihre starke Unabhängigkeit in Europa wahren, ihre Kooperation mit der EU aber fortsetzen, rät Gunnlaugson. Auch Island sträubt sich gegen eine EU-Mitgliedschaft und hat ein entsprechendes Beitrittsgesuch letztes Jahr zurückgezogen. Der Grund: Das Gesuch sei ohnehin nur wegen der wirtschaftlich schlechten Lage während der Krise eingereicht worden. Die Bevölkerung Islands wolle aber Herr über das eigene Schicksal bleiben.

Zur Schweiz pflegt Sigmundur Davíð Gunnlaugsson ein spezielles Verhältnis. Er sei schon in seiner Kindheit von dem kleinen Land in Europas Mitte sehr angetan gewesen. Er habe in der Schule Aufsätze über die Schweiz verfasst und zu Hause Schweizer Landschaften gemalt. Auch zu Besuch wahr er schon oft.

Premierminister wider Willen

Eine Berufung zum höchsten Amt Islands habe er nie verspürt – im Gegenteil: Er habe «früh das Vertrauen in die Politik verloren», obwohl sein Vater Politiker war. Sigmundur Davíð Gunnlaugsson verbrachte nach abgeschlossenem Studium rund fünf Jahre an der englischen Universität Oxford mit dem Ziel, einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften zu erlangen. Zum Abschluss kam es nie. Nebenbei arbeitete er während acht Jahren als TV-Journalist beim isländischen Staatsender RÚV.

Als die Wirtschaftskrise Island ins Chaos stürzte, wurden Mitglieder der Fortschrittspartei bei Sigmundur Davíð Gunnlaugsson vorstellig, um ihn zu überzeugen, sich für das Amt des Parteivorsitzenden zu bewerben. Zu diesem Zeitpunkt war er noch nicht einmal Mitglied der Partei. Er gewann den Parteivorsitz im Januar 2009. Und nach der Wahl im April 2013 wurde er vom isländischen Präsidenten Ólafur Ragnar Grímsson mit der Regierungsbildung betraut.

Sendebezug: Tagesschau vom 7.5.2015

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