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Im Schlafwagen durch Europa Das schwierige Geschäft mit den Nachtzügen

In Europa fahren immer weniger Nachtzüge. Billige Flüge und Fernbusse erschweren das Geschäft.

Es ist kalt und dunkel, die grosse runde Uhr zeigt kurz nach Mitternacht. Über 20 Personen stehen rum, tigern auf und ab. Viele mit Gepäck: Rollkoffer, Rucksack oder Tragtaschen. Sie stehen am Bahnhof in Naumburg, eine Kleinstadt in Sachsen-Anhalt und warten auf den Zug, konkret auf den Nachtzug der von Berlin nach Zürich fährt.

«Heutzutage ist es furchtbar mit dem Nachtzug zu fahren», sagt einer der Wartenden. Er fährt fast jede Woche mit dem Nachtzug zur Arbeit in Frankfurt. Denn er möchte so spät wie möglich von zu Hause weg, und dennoch früh genug bei der Arbeit ankommen. Früher hielt der Nachtzug noch in Leipzig, heute muss er zwei Mal umsteigen, um an den Nachtzug-Abfahrtsort zu gelangen.

Immer weniger Nachtzüge

Ein Problem, das heute viele haben. Denn es gibt immer weniger Nachtzug-Verbindungen in Europa: Die SBB hatte bereits 2009 ihre Linien eingestellt, und Ende 2016 gab auch die Deutsche Bahn (DB) auf. Am 10. November 2016 fuhr der letzte «CityNightLine» der Deutschen Bahn von Berlin nach Basel.

Eingestellt wurden in den Jahren zuvor die Linien nach Brüssel, Rom, Barcelona, Moskau und Kopenhagen. Laut DB ist das Geld der Grund, warum sie keine Nachtzüge mehr anbietet. Denn laut eigenen Angaben machte die Bahn zuletzt bei 90 Millionen Jahresumsatz mit dem Nachtzug «CityNightLine» 30 Millionen Euro Verlust. Seit die Deutschen nicht mehr fahren, haben die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) übernommen und bieten heute 15 Linien in Europa an.

Österreich übernimmt

Um Punkt 1 Uhr fährt der lange Zug von Naumburg los. Der Nachtzug kommt von Berlin und fährt bis Zürich. Laut ÖBB ist das die am meist befahrene Strecke: Im vergangenen Jahr wurden 200'000 Personen zwischen Berlin und Zürich transportiert. Der Zug ist gut gebucht, die Schlafwagen grösstenteils voll. Die Personen, die in Naumburg gewartet haben, verteilen sich auf die sieben Zugwaggons.

Die ÖBB zeigt sich mit dem Nachtzug-Geschäft zufrieden: Laut eigenen Angaben konnten sie im vergangenen Jahr eine schwarze Null schreiben. Ausserdem planen sie einen Ausbau.

Neue Linien ab 2021

2021 sollen neue Schlafwagons angeschafft und neue Linien in Betrieb genommen werden. «Welche Linien wissen wir aber noch nicht», sagt ÖBB-Sprecher Bernhard Rieder.

Wie ist es möglich, dass die ÖBB das schafft, was weder der DB noch der SBB gelingen mochte – einen rentablen Nachtzug zu betreiben, oder mindestens dabei kein Geld zu verlieren? «Das Nachtzug-Segment macht bei den Österreichern rund 20 Prozent des Gesamtumsatzes aus – ein ziemlich grosser Teil», sagt der Professor für Verkehr und Mobilität an der Hochschule Luzern Widar von Arx.

Für die Deutsche Bahn jedoch war es ein vernachlässigbares Segment, und sie hätten sich stattdessen auf ihre schnellen Verbindungen mit dem ICE fokussiert.

ÖBB haben anderes Betriebskonzept

Die ÖBB widmet dem Nachtzug demnach mehr Aufmerksamkeit als die DB zuvor, so von Arx. Zudem hat die ÖBB wohl ein anderes Betriebskonzept gefunden: «Die ÖBB hat viele Dienstleistungen an Drittanbieter ausgelagert, zu billigeren und flexibleren Arbeitskräfte», so von Arx. Und auch Glück spiele mit. Die ÖBB konnte günstiges Rollmaterial übernehmen.

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Gespräch mit Widar von Arx von der Hochschule Luzern
aus SRF 4 News aktuell vom 30.03.2018. Bild: SRF
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 3 Sekunden.

«Der Zug ist gegenüber Airlines benachteiligt»

Dennoch: In den letzten 15 Jahren wurden immer mehr Nachtzug-Linien in Europa eingestellt. Laut von Arx ist der Betrieb von grenzüberschreitenden Zügen generell sehr komplex. «Es braucht Zulassungen für das Rollmaterial in den verschiedenen Ländern, es müssen unterschiedliche Prozesse eingehalten werden und das Personal muss an den Grenzen ausgewechselt werden – es ist also sehr aufwendig», sagt der Verkehrsexperte.

Ein weiterer Faktor ist die grosse und vor allem billige Konkurrenz: Fliegen wird immer günstiger und immer mehr Fernbusse fahren für sehr wenig Geld durch Europa. Bei diesen Tiefpreisen kann der Nachtzug nicht mithalten. Für David Costantino, Leiter der Kampagne «Rettet den Nachtzug» von der Umweltorganisation Umverkehr, ist klar, dass der Zug gegenüber den Airlines benachteiligt werde.

«Nachtzugreisende müssen Mehrwertsteuern auf die Tickets bezahlen, die Flugreisenden nicht. Nachtzug-Betreiber müssen den Trassenpreis bezahlen – Fluggesellschaften nicht einmal eine Kerosinsteuer.» Der Trassenpreis ist der Preis, den die Bahn für die Benutzung der Schienen bezahlen muss.

Nachteil für Nachtzüge

Sowohl Verkehrsexperte von Arx als auch der Leiter der Kampagne «Rettet den Nachtzug» von Umverkehr sehen den Nachtzug gegenüber anderen Verkehrsmittel benachteiligt.

Eine Meinung, die Gregor Saladin, Pressesprecher des Bundesamtes für Verkehr (BAV), nicht verstehen kann. Denn der Bund gibt für die Infrastruktur und Betrieb der Eisenbahn bereits jährlich 5,5 Milliarden Franken aus. «Der Steuerzahler bezahlt für die Erstellung der Bahninfrastruktur, und die Bahnen müssen nur für die Nutzung den definierten Trassenpreis bezahlen», erklärt Saladin.

Flugbetrieb nicht subventioniert

Der Flugbetrieb jedoch werde in der Schweiz nicht subventioniert und die Strasse werde von den Nutzern durch Abgaben auf den Treibstoffen finanziert. «Und wenn man die Trassenpreise senken würde, müssten diese Einnahmen an einem anderen Ort wieder reingeholt werden», so der BAV-Sprecher.

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Gespräch mit Gregor Saladin vom Bundesamt für Verkehr
aus SRF 4 News aktuell vom 30.03.2018. Bild: BAV
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 38 Sekunden.

Im Nachtzug von Naumburg ist es ruhig. Man hört nur das Rattern der Geleise und manchmal ein lautes Schnaufen der Mitfahrenden. Ob es den Nachtzug in zehn Jahren überhaupt noch gibt? Das kann niemand mit Sicherheit sagen. Aber sowohl die ÖBB, die Experten und die Zugfahrer sind zuversichtlich.

Wer die ganze Reise hören will, oder wissen möchte, wie private Unternehmen Nachtzüge anbieten, kann das hier nachhören.

Audio
Mit dem Nachtzug unterwegs – eine Reportage
aus SRF 4 News aktuell vom 30.03.2018.
abspielen. Laufzeit 25 Minuten 33 Sekunden.

(Sendebezug: SRF 4 News, 30.03.2018)

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